Panorama

"Sie dürfen weiterfahren" Mafioso bei der Verkehrskontrolle nicht erkannt

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In Castelvetrano, dem Geburtstort des Mafioso Messina Denaro.

In Castelvetrano, dem Geburtstort des Mafioso Messina Denaro.

(Foto: IMAGO/Andrea Savorani Neri)

Zum Greifen nahe und wieder entwischt, so kann man den Vorfall beschreiben, der sich vor Jahren in der sizilianischen Provinz Trapani ereignete. Hauptdarsteller: ein Carabiniere und ein Mafiaboss.

Es war irgendwann im Laufe des Jahres 2017, als ein Carabiniere, der gerade Straßenkontrollen durchführte, einen Autofahrer in der Nähe der sizilianischen Stadt Trapani an die Seite winkte, ihn bat, seine Dokumente vorzuweisen, diese kontrollierte und den Mann dann weiterfahren ließ. Dass er gerade den damals schon seit 24 Jahren auf der Flucht befindlichen Mafioso Matteo Messina Denaro "durchgewinkt" hatte, wusste der Carabiniere nicht. Die Phantombilder, die es von Messina Denaro gab, beruhten auf älteren Fotos, anhand derer man versucht hatte, sich vorzustellen, wie er gealtert aussehen könnte.

Nach diesem Vorfall dauerte es weitere sechs Jahre, bis Messina Denaro endlich, nach 30-jähriger Fahndung, am 16. Januar 2023 in Palermo verhaftet wurde. Ende September starb er an Darmkrebs.

Erzählt wurde der geschilderte Vorfall letzte Woche Donnerstag von Staatsanwalt Maurizio de Lucia bei einem Treffen mit Schülern einer Schule in Casal di Principe - einer Gemeinde, die zu den Hochburgen der Camorra, der neapolitanischen organisierten Kriminalität zählt. De Lucia war der leitende Staatsanwalt, der zusammen mit dem Kollegen Paolo Guido die Fahndung von Messina Denaro koordinierte, die letztlich zu dessen Verhaftung führte. Der Anlass, mit den Schülern darüber zu sprechen, war das Buch, das der Staatsanwalt zusammen mit dem Journalisten Salvo Palazzolo geschrieben hat. Titel des Buches: "Die Verhaftung - Die Geheimnisse von Mateo Messina und die Mafia im Wandel".

Viele falsche Identitäten

Aufgedeckt wurde dieser Vorfall dadurch, dass im letzten Versteck des Mafiabosses mehrere Ausweise gefunden wurden, aber natürlich alle unter falschem Namen. Auch zur Chemotherapie in der Privatklinik in Palermo, wo er schließlich verhaftet wurde, war er unter dem falschen Namen Andrea Bonafede angemeldet. Diesen Andrea Bonafede gibt es wirklich und er sitzt heute im Gefängnis, weil er dem Padrino seine Identität und seine Krankenkassendaten zur Verfügung gestellt hatte.

Wie der Carabiniere, der ihn nicht erkannt hatte, erkannten ihn auch die Einwohner von Campobello di Mazara, der Gemeinde nicht, in der Messina Denaro zuletzt gewohnt hatte, und die nur acht Kilometer von seinem Geburtsort Castelvertrano entfernt ist, wo seine Mutter und seine Tochter Lorenza lebten. Und das nicht etwa, weil er nicht außer Haus ging - im Gegenteil: nach seiner Verhaftung wurden die Kameras in der Nähe seines Verstecks kontrolliert. Die Aufzeichnungen zeigen ihn sowohl im nahegelegenen Café als auch im Supermarkt.

In Italien brodelt die Gerüchteküche ja gern schon beim kleinsten Anlass. So auch nach der Festnahme von Messina Denaro, der zwar während seiner Flucht zeitweise im Ausland war, meist aber in seiner Heimatprovinz Trapani, fast schon um die Ecke seines Elternhauses, lebte. Wie konnte es also sein, fragt man sich, dass ihn niemand in all den Jahren erkannt hatte? Wie konnte es sein, dass vor allem die Ermittler drei Jahrzehnte nach ihm fahndeten, obwohl er ihnen vor den Augen herumtanzte?

Verräter unter den Ermittlern?

Dass Zweifel aufkommen, ist normal, man darf aber nicht vergessen, dass sogar Totò Riina, einer der blutrünstigsten Mafiosi überhaupt, der Messina Denaro zu seinem Protegé gemacht hatte, nicht wusste, wo sich dieser befand, wie de Lucia in seinem Buch erzählt. Das Netz der Messina Denaro Ergebenen wies nicht die kleinste Lücke auf, wahrscheinlich auch, weil der engste Kreis um ihn vornehmlich aus Familienmitgliedern bestand.

Lücken, genauer gesagt eine Lücke hat es stattdessen unter den Sicherheitskräften gegeben. Entdeckt wurde sie 2003, nach der Festnahme von Michele Aiello, damals der "König Midas" im sizilianischen privaten Gesundheitssystem. Aiello kooperierte mit der Staatsanwaltschaft und verriet, wer ihn seit Jahren über die Ermittlungen im Fall Messina Denaro auf dem Laufenden hielt: Es war Giorgio Riolo, ein Polizist, den seine Kollegen sehr schätzten, weil er im Wanzenlegen ein Meister war.

Riolo war der Frontmann, hinter ihm eine lange Kette von Mithelfern, zu denen auch der damalige Präsident der Region Sizilien Totò Cuffaro gehörte (der deswegen zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war). Weiterhin gab es einen Priester, der dem Padrino seine Grüße zukommen ließ und ihm seine Hilfe anbot, und eine ehemalige Lehrerin, die Messina Denaro abgöttisch verehrte.

Wie Staatsanwalt de Lucia schreibt, war dieser Verrat für alle ein harter Schlag. Er trug maßgeblich dazu bei, dass sie bis zuletzt, bis Messina Denaro die Handschellen angelegt worden waren, Angst hatten, auch diese Operation könnte in einem Fiasko enden. Um 9.12 Uhr am 16. Januar kam der befreiende Anruf: "Wir haben ihn!"

Schon am Nachmittag fand die erste Begegnung zwischen Denaro, de Lucia und seinem Mitarbeiter Paolo Guido statt. Hier die Erzählung des Staatsanwalts: "16. Januar, Nachmittag. Wir stehen vor Matteo Messina Denaro. (...) Ich stelle mich vor: 'Ich bin der leitende Staatsanwalt von Palermo, Maurizio de Lucia.' Er nickt mit dem Kopf, er weiß, wer ich bin. Dann dreht er sich zu Paolo und sagt: 'Sie haben abgenommen." Messina Denaro kennt Paolo Guido gut, dieser hat fast seine ganze Familie verhaftet."

Der meistgesuchte Padrino war also endlich hinter Gittern, doch wie de Lucia schreibt und vorige Woche vor den Schülern mahnend wiederholte, sind noch viele Mittelsmänner und Geheimnisse im Fall Messina Denaro nicht aufgedeckt und die Mafia lange nicht geschlagen. Eine dringende Frage, die sich jetzt stellt, ist: Wer hat Denaros Platz eingenommen? Und was wird noch alles ans Licht kommen?

Quelle: ntv.de

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