
Am Wiener Platz in Köln wurde Mitte Juni eine neue Waffenverbotszone eingeführt. Sie gilt permanent und nicht, wie an anderen Orten in der Domstadt, nur zu bestimmten Zeiten.
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Nach der Messerattacke in Solingen fordert die Politik erneut mehr Waffenverbotszonen. Ihre Wirkung ist jedoch umstritten. Während Nordrhein-Westfalen verstärkt darauf setzt, wird die Verordnung in Leipzig wieder abgeschafft. Auch Anwohner können mitunter Nachteile haben.
Der tödliche Anschlag von Solingen gibt der Debatte um Waffenverbotszonen weiteren Auftrieb. Offenbar wahllos sticht der Angreifer mit einem Messer auf die Besucher des Stadtfests ein, drei Menschen sterben. Als Reaktion darauf sprach sich unter anderem Vizekanzler Robert Habeck für mehr Waffenverbotszonen aus. "Mehr Waffenverbotszonen und strengere Waffengesetze - Hieb- und Stichwaffen braucht niemand in Deutschland in der Öffentlichkeit", sagte er.
Auch nach der Messerattacke von Mannheim im Mai, bei der ein Angreifer einen Polizisten tötete, wurden Forderungen nach mehr Waffenverbotszonen laut. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte sie eine Antwort des Rechtsstaats. Bundesinnenministerin Nancy Faeser nahm zuletzt die Kommunen in die Pflicht, verstärkt auf das Instrument zu setzen. Aber können Städte auf diese Weise wirklich sicherer werden?
Die kriminologische Bewertung sei uneindeutig und die Datenlage dünn, sagt Martin Rettenberger im Gespräch mit ntv.de. "Zunächst muss man sich die Ausgangslage in einem bestimmten Viertel anschauen und beurteilen, ob Waffengewalt dort wirklich das Ausgangsproblem ist, das bekämpft werden soll", so der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle.
Die Einrichtung von Waffenverbotszonen ist über das Waffengesetz und die Polizeigesetze geregelt. Sie erweitern gewissermaßen das Waffengesetz und verbieten Waffen, deren Mitführung nicht grundsätzlich strafbar ist, oder verringern die erlaubte Klingenlänge bei Messern. Die genaue Festlegung ist dabei von Ort zu Ort unterschiedlich, auf dem Kiez in Hamburg St. Pauli fällt darunter sogar ein Glasflaschenverbot. Die Zonen können vorübergehend eingeführt werden, etwa bei Großveranstaltungen, oder gelten dauerhaft für bestimmte Straßen, Plätze oder Stadtteile. Doch auch hier gibt es Abstufungen. Die Düsseldorfer Altstadt ist beispielsweise nur am Wochenende und an und vor Feiertagen Waffenverbotszone.
Nur ein Schild "macht wenig Sinn"
Die tödliche Messerattacke von Mannheim im Mai ereignete sich im Bereich einer Waffenverbotszone. Die ist allerdings beschränkt auf die Abend- und Nachtstunden und das Wochenende. Die Tat fand zur Mittagszeit statt. Ohnehin ließe sich ein zu Gewalt entschlossener Attentäter durch ein Waffenverbot wohl kaum abschrecken. "Irgendwo ein Schild aufzustellen, macht wenig Sinn", sagt Experte Rettenberger.
Nach dem Anschlag von Solingen mahnte auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter eine differenzierte Debatte zur Bekämpfung von Messergewalt an. "Der Täter hätte sich von Messerverbotszonen und von einem generellen Messerverbot nicht aufhalten lassen. Er hat den bisherigen Erkenntnissen zufolge gewusst, was er tut", sagte BDK-Bundeschef Dirk Peglow dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Denn in erster Linie weiten Waffenverbotszonen die Befugnisse der Polizei aus. Beamte können in den Gebieten verdachtsunabhängig kontrollieren. Bei festgestellten Verstößen droht dann ein Bußgeld von bis zu 10.000 Euro. Folglich braucht es Polizeipräsenz, damit eine Waffenverbotszone überhaupt wirken kann.
Die erste Waffenverbotszone wurde 2007 in Hamburg deklariert, seitdem haben mehrere Großstädte nachgezogen. In Nordrhein-Westfalen macht das Instrument seit 2021 Schule, als insgesamt vier Waffenverbotszonen in Düsseldorf und Köln eingeführt wurden. Nach einem Jahr zog NRW-Innenminister Herbert Reul Bilanz: Bei 17.191 Kontrollen seien 349 Waffen und Messer festgestellt, 744 Personen in Gewahrsam genommen worden. "Sollte sich bislang noch jemand die Frage gestellt haben, ob Waffenverbotszonen einen Beitrag zur Sicherheit unserer Innenstädte leisten, dann ist dieses Arsenal die beeindruckende Antwort", sagte er damals.
In Köln-Mülheim kam im Juni eine permanente Waffenverbotszone hinzu. "Ich glaube nicht, dass eine Waffenverbotszone die eine Lösung für alle Fälle ist. Sie ist ein Mosaikstein", sagte Reul dazu. "Aber jedes Messer, das wir so aus dem Verkehr ziehen, kann niemanden mehr verletzen - und das ist gut." Die Polizei in anderen Bundesländern wie Bremen, Niedersachsen, Hessen oder Baden-Württemberg machte nach eigenen Angaben ebenfalls gute Erfahrungen mit dem Instrument.
Berlin hält sich Zonen offen
In Berlin sei es dagegen schwierig, einzelne Hotspots auszumachen, an denen die Einführung einer Waffenverbotszone sinnvoll wäre, sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Interview mit ntv.de. Bezogen auf Messergewalt verteilten sich Polizeieinsätze nahezu über den gesamten städtischen Raum. "Man sieht einzelne Schwerpunktbereiche, die zum Teil aber in den kriminalitätsbelasteten Orten liegen, wo wir ohnehin schon anlasslos durchsuchen können", so Slowik. "Wir halten uns solche Waffenverbotszonen offen, aber konkret geplant ist im Moment nichts."
Die bislang umfangreichste Evaluation einer Waffenverbotszone stammt aus Leipzig. Seit 2018 sind auf dem Areal um die Eisenbahnstraße Schusswaffen, Messer, Reizgassprays und andere gefährliche Gegenstände verboten. Durch mehr Polizeikontrollen sollte die Sicherheit in dem Gebiet, das als Kriminalitätsschwerpunkt in der sächsischen Großstadt gilt, erhöht werden.
Der 2021 vorgestellten Leipziger Studie zufolge hat die Waffenverbotszone dazu beigetragen, bewaffnete, in der Öffentlichkeit ausgeführte Angriffe zu verringern. Doch Kriminalität und ihre Ursachen seien dadurch nicht nachhaltig zurückgedrängt worden. Die Zahl der Straftaten sei auf einem "unverändert gleichbleibend hohen Niveau geblieben". Selbst aus der Leipziger Polizeidirektion heißt es inzwischen: "Die Waffenverbotszone ist aus unserer Sicht nicht vonnöten." Die Zahl der Auseinandersetzungen habe sich nicht geändert. Der Stadtrat hat die Abschaffung der Waffenverbotszone beschlossen, an ihrer Stelle soll ein fester Polizeiposten eingerichtet werden.
Gefahr der Stigmatisierung
Rettenberger weist darauf hin, dass es neben der kriminologischen auch eine subjektive Wirkung gebe. "Wenn sich das Sicherheitsempfinden der Anwohner durch Waffenverbotszonen verbessert, dann ist das schon ein positiver Effekt." Zugleich könne jedoch auch das Gegenteil eintreffen. "Waffenverbotszonen können zur Stigmatisierung eines Wohnviertels beitragen", so der Experte. "Auch in der Leipziger Studie gaben Menschen an, der Ruf ihres Lebensmittelpunkts habe sich verschlechtert."
Das Gefühl, jederzeit in eine Kontrolle geraten zu können, wirke sich zudem negativ auf die Lebensqualität aus, sagt Rettenberger. Dies betreffe vor allem junge Männer. "Sie haben das größte Kriminalitätsrisiko, allerdings in beide Richtungen: Täter zu werden wie auch Opfer zu werden." Zusätzlich bestehe die Gefahr von Racial Profiling, dass also bestimmte migrantische Gruppen wegen ihres Aussehens durchsucht werden.
Am Ende lande man immer bei einer Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit, resümiert der Experte. Es gebe keine kriminologische Maßnahme, die sofort eine ausschließlich positive Wirkung und keine negativen Begleiterscheinungen habe. Rettenberger plädiert darum für eine differenziert geführte Debatte, bei der Polizei, Anwohner und Lokalpolitik mit an Bord sind. "Es braucht Zeit und Ruhe bei der Diskussion um eine Umsetzung von Waffenverbotszonen."
Quelle: ntv.de