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"The Bibi Files" Netanjahu klagt gegen Filmemacher wegen "sehr explosiver" Doku

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Netanjahu stellte sich am Dienstag zum ersten Mal seit Beginn des Prozesses vor über vier Jahren vor Gericht den Anschuldigungen.

Netanjahu stellte sich am Dienstag zum ersten Mal seit Beginn des Prozesses vor über vier Jahren vor Gericht den Anschuldigungen.

(Foto: picture alliance/dpa/AFP Pool/AP)

Über 1000 Stunden geleaktes Filmmaterial von Polizeiverhören im Korruptionsverfahren gegen Israels Premierminister Netanjahu sind die Grundlage: Jetzt gibt es die Dokumentation "The Bibi Files" zum Streamen. Doch Netanjahu geht gegen den Filmemacher vor.

Einen Film über Israel hatte Alex Gibney nicht auf dem Plan. Als dem Oscar-gekrönten Dokumentarfilmer allerdings durchgesickerte Videos von Verhören Benjamin Netanjahus zugespielt wurden, war schnell klar: Das hatte das Zeug zu einem brisanten neuen Werk.

Über eine Quelle, die ihn über die Messaging-App Signal kontaktiert hatte, erhielt Gibney ein kaum abzulehnendes Angebot - Zugang zu umfangreichen Aufzeichnungen über Polizeiverhöre mit dem israelischen Ministerpräsidenten, seiner Frau Sara, seinem Sohn Jair und einer Reihe von Partnern und Gönnern. Sie waren im Rahmen des Korruptionsverfahrens gegen Benjamin "Bibi" Netanjahu entstanden, insgesamt mehr als 1000 Stunden an Aufnahmen.

Gibney verstand die auf Hebräisch geführten Befragungen nicht und holte den israelischen Enthüllungsreporter Raviv Drucker mit ins Boot. Der habe sich in das Material vertieft und ihm bestätigt, "dass wir hier etwas sehr Explosives hatten", sagt der US-Dokumentarfilmer. Gibney gewann die Israel-erfahrene Kollegin Alexis Bloom als Regisseurin und machte sich an die Arbeit zu "The Bibi Files". Seit dieser Woche ist die Dokumentation auf der Streaming-Plattform Jolt zu sehen.

Benjamin Netanjahu: "Das ist absurd und wahnwitzig"

Bis hierher hatten Gibney und sein Team einige Hürden zu überwinden. So mussten sie Geld für ihr Vorhaben auftreiben, ohne den Gebern preiszugeben, was sie in der Hand hatten. Als der Gaza-Krieg begann und der Nahost-Konflikt eskalierte, wuchs zudem die Zurückhaltung bei den Sponsoren, in eine Doku aus der Region zu investieren.

Und während der Film im Ausland anläuft, darf er in Israel nicht gezeigt werden. Begründet wird dies mit den Datenschutzregeln zu juristischen Verfahren. Viele Israelis suchen sich dennoch Wege, an die Doku heranzukommen, sei es über VPN-Zugänge, um die Streaming-Beschränkungen zu umgehen, oder über durchgesickerte Kopien. "Raubkopien des Films verbreiten sich in Israel wie ein Lauffeuer", sagt Regisseurin Bloom.

Netanjahu werden Betrug, Untreue und Bestechlichkeit vorgeworfen. Zur Last gelegt wird ihm etwa, von einem milliardenschweren Hollywood-Produzenten Zigarren und Champagner im Wert von Zehntausenden Dollar als Gegenleistung für die Unterstützung persönlicher und geschäftlicher Interessen angenommen zu haben.

Am Dienstag stellte sich der 75-Jährige erstmals seit Beginn des Prozesses vor mehr als vier Jahren vor Gericht den Anschuldigungen. Er kündigte an, die "absurden" Vorwürfe zu entkräften.

Auf den Polizeivideos, die Gibney zugespielt wurden, sitzt Netanjahu am Schreibtisch, hinter ihm eine Landkarte der Region. Er äußert sich empört über das Verfahren, bezichtigt Zeugen der Lüge und betont, er müsse sich um viel wichtigere Dinge kümmern. Durchweg zeigt sich der Regierungschef entrüstet: "Das ist absurd und wahnwitzig", hält er den Fragestellern entgegen.

Netanjahu will gegen Journalisten vorgehen

Auf die Frage nach einer Zahl der Champagnerflaschen antwortet Netanjahu, er verbringe seine Zeit nicht damit, Flaschen zu zählen, sondern auf Israel gerichtete Raketen. Immer wieder sagt er, er könne sich nicht erinnern. "Uns haben eine Reihe von Leuten berichtet, was für ein großartiges Gedächtnis er hat", erklärt Gibney dazu. "Und auf fast jede Frage, die ihn möglicherweise belasten könnte, sagt er: 'Ich kann mich nicht erinnern'."

Sara Netanjahu wirft ihren Gegenübern in einer Polizeibefragung vor: "Wie kann es sein, dass Sie sich nicht schämen?" Sie erklärt ihnen, dass ihr Mann im Ausland zu Recht wie ein König empfangen werde. Und ein kämpferischer Jair Netanjahu, der 33-jährige Sohn des Paares, ist zu hören mit den Worten: "Sie ermitteln gegen mich, weil die israelische Polizei zur Stasi-Geheimpolizei geworden ist, die die Regierung stürzen will."

Benjamin Netanjahu indes hat über seinen Anwalt die Generalstaatsanwaltschaft zu Ermittlungen gegen Drucker aufgefordert. Er wirft ihm versuchte Einflussnahme auf das Gerichtsverfahren vor. Zu den Ermittlungen kam es nicht. Zudem war es nicht das erste Mal, dass der Regierungschef gegen Drucker juristisch vorzugehen versuchte. In dem Dokufilm berichtet der Enthüllungsreporter, dass Netanjahu ihn bereits dreimal verklagt habe.

Regisseurin Bloom sagt, sie hoffe, dass das Publikum eine einfache Botschaft mitnehme: "Es ist in Ordnung, den israelischen Ministerpräsidenten zu kritisieren, das ist nicht antisemitisch und nicht israelfeindlich." Oder wie es im Film heißt: "Niemand steht über dem Gesetz."

Quelle: ntv.de, Jocelyn Noveck, AP

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