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Aus der Schmoll-Ecke Sind die irre oder bin ich es?

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Können Millionen Amerikaner irren?

Können Millionen Amerikaner irren?

(Foto: REUTERS)

Versteht noch irgendwer, was auf er Welt vor sich geht? Das Irrationale, das Schizophrene bricht sich Bahn. Viele in Deutschland fürchten eine Diktatur und huldigen Putin, einem Diktator. Unser Kolumnist kommt da nicht mehr mit und macht sich Gedanken über die Spaltung der Gesellschaft.

A: "Man sollte dies gar nicht lesen, geistiger Dünnschiss." B: "Arbeiten Sie wieder als Drechsler!" C: "Das ist die Schaffung von 'Nachrichten' auf der Grundlage ausgewählter Argumente und damit Fake News, die die Meinungsbildung der Menschen manipulieren." Der Klassiker: "Ich dachte immer, dass verantwortlicher Journalismus neutral und objektiv sein sollte. Alles andere nennt man wohl Propaganda."

Geschätzte Leserinnen und Leser, bevor Sie mir weitere Mails schicken mit A: Ferndiagnosen zu meiner - zugegebenermaßen angegriffenen - Psyche, B: Berufsberatungen aller Art oder C: Tipps - natürlich unter Verweis auf die Aussage von Hajo Friedrichs -, wie ich doch noch in diesem Leben ein seriöser Journalist werden könnte, bitte ich darum, das Folgende zu beachten: Ich verfasse für ntv.de fast immer Kommentare und Kolumnen, also Meinungsstücke, was heißt, dass es extrem schwierig ist, "neutral und objektiv" zu sein, da das Niedergeschriebene mit dem zu tun hat, was ich so meine (meinen = Meinung).

Ich weiß nicht, warum das viele Menschen nicht verstehen. Ich könnte sagen: Das sind Idioten. Das aber ist nicht mein Stil, da ich bekanntlich ein Sehr-Gutmensch von tadelloser Gestalt bin, jedenfalls im Inneren. (Über mein Äußeres, etwa die Auswahl meiner Kleidung und die Qualität meiner Zähne, kann diskutiert werden.) Vor allem: Es ist sehr wohl möglich, dass nicht DIE, sondern ICH der Idiot bin. Es gibt da nämlich Unterschiede. Damit meine ich nicht nur, dass die einen in der BRD GmbH, einer Diktatur oder beidem wohnen und ich in der Bundesrepublik Deutschland, einer Demokratie. Sind die irre oder bin ich es? Wer hat einen Dachschaden, dass Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen so unterschiedlich sind?

Leute, was ist los?

Es ist ganz einfach so, dass ich die Welt nicht mehr verstehe. Tag für Tag wundere ich mich, dass so vieles, was bei mir Kopfschütteln oder Kopfschmerzen verursacht, bei anderen Freude und Jubel auslöst. Das Irrationale, das Schizophrene bricht sich Bahn. Viele betrachten Deutschland als Diktatur und huldigen Putin, einem Diktator. Sind die irre oder bin ich es? Leute, was ist los? Noch vor wenigen Jahren war ich sicher, dass die Menschheit dazugelernt hat, dass es immer nur besser wird - um nun festzustellen, dass dem nicht so ist. Sie degeneriert. Ein paar alte weiße und gelbe Männer haben die Erde fest im Griff, betrachten sie als Spielwiese ihrer Machenschaften, ihrer Eitelkeiten, ihrer Machtinteressen, ihres Geltungsdrangs, ihrer Großmannssucht, ihres Kontostandes.

Mir scheint, dass sich alles wiederholt. Endlos. Einer meiner besten Freunde schickte mir neulich die Aussage eines offenbar recht klugen Beobachters zur US-Wahl: "Die Chancen stehen gut für den Mann, der von Natur aus am hinterhältigsten und mittelmäßigsten ist - der Mann, der am cleversten die Vorstellung zerstreuen kann, dass er ein Hohlkopf ist. Die Präsidentschaft geht tendenziell immer wieder an solche Männer. In dem Maße, in dem die Demokratie perfektioniert wird, repräsentiert das Amt mehr und mehr die innere Seele des Volkes. Wir bewegen uns auf ein erhabenes Ideal zu. An einem großen und glorreichen Tag wird der Herzenswunsch der einfachen Leute endlich erfüllt und das Weiße Haus wird von einem ausgesprochenen Schwachkopf geschmückt werden."

Das klingt prophetisch. Das Zitat stammt von dem US-amerikanischen Schriftsteller und Kulturkritiker Henry L. Mencken. Es ist aus dem Jahr 1920. Ja, richtig gelesen. Sie sehen: Die Welt befindet sich in einer Endlosschleife aus Verderben und Erholung. Verderben und Erholung. Verderben und Erholung. Verderben und Erholung. So geht es weiter - bis zum Weltuntergang. Bis es soweit ist, vertreiben wir uns die Zeit. Zum Beispiel mit Forderungen, Menschen, die einen oder mehrere Schwachköpfe wählen, nicht als Schwachköpfe zu bezeichnen, sondern die Gründe zu erforschen, warum sie einen oder mehrere Schwachköpfe gewählt haben. Man soll jene, die von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen, einen oder mehrere Schwachköpfe zu wählen, um Gottes Willen nicht von oben herab behandeln, damit sie sich nicht wie Schwachköpfe fühlen.

Der ehrlichste Mensch Gottes

Ein Präsidentschaftskandidat in den USA sagte: "Joe Biden wurde geistig beeinträchtigt. Kamala wurde so geboren." Über eine Kleinstadt: "In Springfield essen sie die Hunde, die Leute, die hierhergekommen sind, sie essen die Katzen. Sie essen die Haustiere der Menschen, die dort leben." Über Deutschland: "Sie haben überall Windräder aufgestellt, und der Wind wehte nicht so stark. Und wenn sie diesen Prozess fortgesetzt hätten, wäre Deutschland jetzt pleite." Sowie: "Dann haben sie Angela durch jemand anderen ersetzt, und dieser andere baut jetzt jede Woche ein Kohlekraftwerk in Deutschland." Über sich selbst: "Ich bin vielleicht der ehrlichste Mensch, den Gott je geschaffen hat."

Über Gefahren auf See: "Was würde passieren, wenn das Boot durch sein Gewicht sinkt, und Sie sind im Boot, und Sie haben diese unglaublich starke Batterie, und die Batterie ist jetzt unter Wasser. Und da ist ein Hai, der sich knapp zehn Meter entfernt befindet. Ich glaube, das Wasser hat eine Menge elektrischen Strom. Aber weißt du, was ich tun würde?" Keine Ahnung. "Jedes Mal den Stromschlag wählen. Ich werde mich dem Hai nicht nähern." Das klingt nicht nur irre - das ist es auch. Jedenfalls in meiner Welt. Ich kann mich aber auch irren. Denn irren ist menschlich. Schließlich kann man es - wie immer man zu Haien und Elektromotoren auf Wasser steht - so sehen. Außerdem haben den Bewerber mehrere Millionen Amerikaner zum Präsidenten gewählt. Können Millionen irren? Sind die irre oder bin ich es?

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Der oberste Ajatollah im Iran, wo ein brutales Regime an der Macht ist, sagte über Israel: "Jeder Schlag gegen das zionistische Regime ist ein Dienst an der gesamten Menschheit." Ist das irre oder bin ich es? Russland, das sein Nachbarland überfallen hat, klagt über "die Terroristen der ukrainischen Armee, die in die Region Kursk eingedrungen sind". Ist das irre oder bin ich es? Russland, das sämtliche zivilisatorischen Errungenschaften ignoriert, findet, dass der Westen sich nicht an internationale Regeln hält, wenn er der Ukraine erlaubt, russisches Territorium mit westlichen Waffen anzugreifen. Ist das irre oder bin ich es? Russland, das Land, das die Medien gleichgeschaltet und die Pressefreiheit abgeschafft hat, wirft den USA Zensur vor, weil sie sich gegen vom Kreml gesteuerte Propaganda wehrt. Ist das irre oder bin ich es?

Ich könnte hier schier endlos fortfahren. Aber es macht mich wahnsinnig. Und glauben Sie es mir: Ich bin schon kirre und irre genug.

Quelle: ntv.de

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