Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Als Journalist in Zeiten des Wahnsinns

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Mit der Dresdner Carola-Brücke haben auch wieder ein paar Gewissheiten einen Knacks bekommen.

Mit der Dresdner Carola-Brücke haben auch wieder ein paar Gewissheiten einen Knacks bekommen.

(Foto: picture alliance/dpa)

"Hoffe, n-tv zieht die Konsequenzen und veröffentlicht zukünftig keine weiteren Kommentare mehr aus ihrer Feder." Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber hier besteht keine. Unser Kolumnist schreibt natürlich weiter, denn die Welt wäre ohne "Schmoll-Ecke" nur noch öder.

"Was schreiben Sie für einen stupenden Blödsinn", stand neulich in einer Mail eines Lesers. Obwohl in der Botschaft zweifelsohne Zweifel an meinen geistigen Fähigkeiten durchschimmerten, habe ich mich durchaus gefreut. Denn "stupend" ist ein Synonym für verblüffend oder auch erstaunlich. Es freut mich, dass ich Bürger innen und außen und jene im Dazwischen, die sich gerade oder demnächst anschicken, in den Himmel oder die Hölle zu fahren, überraschen kann. Und außerdem ist es wunderbar, dass es noch Leute gibt, die Worte benutzen, die bald aus dem deutschen Sprachraum abgeschoben werden.

Dafür kommen andere dazu. Seltsame Wortungetüme und Konstrukte im Namen einer besseren Welt. Vor nicht so langer Zeit rief ich bei einem Facharzt an, in der Hoffnung auf einen Termin. Eine Stimme bat um Geduld: "Momentan sind alle Mitarbeiter-innen im Gespräch. Den nächsten freien Mitarbeiter-innen sind gleich für Sie da."

Jau, dachte ich. So sind die Zeiten, in denen man überall via Sprache zum besseren Menschen gemacht werden soll, selbst wenn man - wie ich- schon längst ein Sehr-Gutmensch ist, der - frei nach Erich Mielke - doch alle Menschen liebt. Wobei ich ehrlich sagen muss: In der Ostzone leben schon einige Leute, denen ich mein Herz versagen muss. Die sind mir suspekt. Ich darf das sagen, weil ich Sachse bin.

Sorry, Veganer-innen

Aber ich verliere den Faden, merke ich gerade. Also zurück ans Telefon: Da ich immer wieder aus der Warteschleife flog, musste ich mir die grammatikalisch nicht ganz fehlerfreie Ansage mehrmals anhören, was insofern okay war, weil ich den Wortlaut in der Absicht festhielt, ihn in einer Kolumne zu verwursten. An der Stelle entschuldige ich mich vorsorglich bei allen Vegetarisch- und Vegan-Essenden sowie allen Tierschützenden für den Fall, dass ich durch die Verwendung des Wortes "verwursten" Gefühle verletzt haben sollte. Es tut mir sehr leid, ich bitte - auch wenn ich das hier im Sitzen schreibe - aufrichtig um Pardon. Ich verstehe und akzeptiere, dass ich viele von Ihnen sowie Säue und Kühe beleidigt haben könnte. Das war niemals meine Absicht. Aber mir ist bewusst, dass am Ende zählt, wie die Worte bei den Empfängern ankommen - und nicht, wie sie gemeint waren.

Die Sätze sind ein Plagiat von einer der unzähligen Abbitten der vergangenen Jahre, weil irgendwer was öffentlich sagte, was als beleidigend verstanden worden ist in unserer Gesellschaft der Erniedrigten und Beleidigten. (Sicher haben Sie Dostojewski gelesen und wissen, dass Neurosen auch schon im 19. Jahrhundert das menschliche Dasein und Miteinander beeinflussten.) Ich habe einfach bei Google "entschuldigt sich nach Shitstorm" eingegeben und dann die Sätze abgepinnt. Nun muss mir ntv.de Geld zahlen, obwohl ich nur abgeschrieben habe. Ich hoffe, die Rechtsabteilung meldet sich nicht bei mir. Es ist auch so schon hart genug als Journalist in Zeiten des Wahnsinns.

"Würden Sie diesen geistigen Dünnpfiff auch bezahlt bekommen, wenn nicht der linksgrünlila versiffte Blome 'Chef' der Propaganda… sorry Politikabteilung von RTL wäre?" Ich bin nicht sicher, ob es sich um eine rein rhetorische Frage handelte oder der Leser eine wie auch immer geartete Antwort erwartet hat. Viele machen sich Gedanken über mein Einkommen. "Hoffe, n-tv zieht die Konsequenzen und veröffentlicht zukünftig keine weiteren Kommentare mehr aus ihrer Feder." Berufsverbot! In Deutschen steckt noch immer das Autoritäre, der Hang zum Totalitären. Aber es gibt auch gnädige Leser. Einer "kann verstehen", dass ich als freier Autor "nur das schreibe, was der Verlag (Sender) gerne von ihnen hören bzw. lesen möchte. Sonst wird es nicht veröffentlicht und Sie bekommen kein Honorar!"

Brücken und Gewissheiten brechen

Unsinn. Die Redaktion lässt mir vollkommen freie Hand und weiß nie, worüber ich schreibe, ehe ich die neueste Kolumne freitags schicke. Ich würde gerne wissen, ob die Millionen Journalismus-Experten im Lande, die wissen, wie es in Redaktionen zugeht, auch beim Doktor apodiktisch erklären, was zu tun ist, um schnell zu genesen. Ich fragte meine Hausärztin. Die rollte nur mit den Augen und ich spürte, dass Doktor Google mit im Raum steht. So sind die Zeiten, in denen nichts mehr geglaubt, alles hinterfragt wird und unter Verdacht steht. Gewissheiten schwinden in rasender Geschwindigkeit. Das macht auch mir zu schaffen.

Ich kann mich noch bestens daran erinnern, was mir durch den Kopf schoss, als im August 2018 die Autobahnbrücke in Genua kollabierte. 43 Tote. Ich war natürlich schockiert, das auch deshalb, weil ich Wochen zuvor selbst am Steuer eines Mietwagens über das Bauwerk gefahren war. Ich dachte, wie schnell das Leben vorbei sein kann, wenn der Zufall russisches Roulette spielt, man zur falschen Zeit am eigentlich richtigen Ort ist. Aber auch: Wie gut, in einem Land zu leben, in dem so etwas nie nie nie passieren könnte. Denn wenn es etwas gibt, was funktioniert, ist es, dass man sich hierzulande darauf verlassen kann, dass Brücken kontrolliert werden und nicht einstürzen.

Man kann sich über Deutschlands Hang aufregen, die Einhaltung von Auflagen zum Schutz vor Unfällen aller Art ständig zu checken. Aber diese Pingeligkeit und Korinthenkackerei hat ihr Gutes. Sie schützt Menschenleben. Und dann kam der Brückeneinsturz von Dresden, der mich genauso erschaudern ließ, als ich die Überschrift zu der Meldung las, wie 2018 das Unglück von Genua. Obwohl sich schnell Erleichterung hinzugesellte, dass in der sächsischen Landeshauptstadt kein Mensch zu Schaden kam. Aber das ja nur wegen irrsinnigen Glücks. 18 Minuten vor dem Abbruch eines Teils der Überführung war die letzte Straßenbahn über das Bauwerk gerollt.

Ich will niemanden anklagen, dazu weiß ich einfach zu wenig darüber. Vielleicht war es unmöglich, das Unglück zu vermeiden. Trotzdem vermute ich, dass es sehr vielen Menschen wie mir ging, dass mit der Brücke zugleich (wieder) ein Stück Gewissheit weggebrochen ist, dass Deutschland nicht mehr das Land ist, das es einmal war.

Mulmiges Gefühl

Waren Arbeitsplätze bei VW nicht gestern noch mit einer Garantie versehen? War Deutschland nicht eben noch das Land, in dem man sich sicher fühlen und zu einem Straßenfest gehen konnte, ohne fürchten zu müssen, dass man ein Messer in den Hals bekommt? War die Bundesrepublik nicht bis vor Kurzem der Staat, der im Geld schwamm? Konnten nicht noch vor wenigen Jahren Rentner bei uns gut leben, ohne zu einer Tafel zu gehen?

Hätte irgendjemand gedacht, dass hierzulande die Meinungsfreiheit als bedroht empfunden wird? War bis zum 22. Februar 2022 Europa nicht der Kontinent, in dem keine Kriege geführt werden? Gehörte nicht das politische Konzept von Aufrüstung und Abschreckung der Vergangenheit an?

Ich könnte noch viele Fragen zu unterschiedlichen Gebieten anfügen, aber lasse es damit gut sein. Sie haben selbst ein Hirn. Hoffe ich zumindest. Ich will keinesfalls den Teufel an die Wand malen. Das machen andere zur Genüge. Ich werde auch künftig angstfrei mit dem Auto und der Bahn über Brücken fahren und durch Straßen laufen. Doch ein mulmiges Gefühl bleibt. Eben weil Gewissheiten verschwinden, jene Überzeugungen, die unser Land so stark, schön und lebenswert gemacht haben. Bisher jedenfalls.

Quelle: ntv.de

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