Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Die DDR, eine ostdeutsche (Neu-)Erfindung

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Krenz hat ganz eigene Erinnerungen an die DDR.

Krenz hat ganz eigene Erinnerungen an die DDR.

(Foto: picture alliance/dpa)

Gerade ist es populär, in Erinnerungen an die Ostzone zu schwelgen, gerne mit Wut im Bauch und nostalgisch-verlogen. Exemplarisch dafür steht eine Rede des Erinnerungsschwurblers Egon Krenz. Die hat sehr komische Seiten, obwohl einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

"Ich habe bis zum letzten Tag funktioniert, ich sah es als meine Aufgabe, dass wir Strom in der Steckdose hatten." Nun denken Sie, das ist ein Zitat aus der bisher unveröffentlichten Autobiografie von Robert Habeck, deren Titel "Ich, der Heizungshammer" heißen könnte. Falsch. Gesagt hat es Manfred Dahms, von 1975 bis 1989 Generaldirektor des Volkseigenen Betriebs (VEB) Kombinat Kraftwerksanlagenbau. Der westdeutsche Pferdeflüsterer und der ostzonale Verwalter angeblichen "Volkseigentums" sind zwar nicht Brüder im Geiste, aber im Handeln. Dann ist also doch noch zusammengewachsen, was nicht zusammengehört. Juhu, ein Traum ist wahr geworden.

Das Zitat von Dahms stammt, so habe ich es jedenfalls gelesen, aus dem Dokumentarfilm "Es war da eine Zeit - Erinnerungen an die DDR". Gerade ist es populär, an die Ostzone zu denken, mit Wut im Bauch und gerne nostalgisch-verlogen. Auferstanden aus Ruinen des Unterbewussten und der Vergangenheit zugewandt. Um das zu verstehen, muss man den Text zur melodisch sehr schönen DDR-Nationalhymne kennen, der viel vom Geist des Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg verströmt, als viele Leute in der Ostzone ein "besseres Deutschland" aufbauen wollten, um dann eine Diktatur zu errichten oder ungewollt in dieser landeten. Wer es rechtzeitig schnallte, verließ vor dem 13. August 1961 das Paradies auf Erden (DDR) in Richtung Hölle (BRD).

"Wir, die wir mit dem Herzen dabei waren, wollten die Welt verändern und ein besseres Deutschland schaffen. Damit nie mehr eine Mutter ihren Sohn beweint." So sagte es neulich der Kurzzeit-Staatsratsvorsitzende der Ostzone, Egon Krenz, auf einer Berliner Veranstaltung "75 Jahre DDR. Was bleibt?". Die Rede hat das mäßig lustige Satireblatt "Junge Welt" veröffentlicht. Wer sie liest, sieht die These bestätigt: Die DDR ist eine ostdeutsche Erfindung, die der Osten gerade neu erfindet. Das klingt aus dem Mund von Krenz so: "Sehr herzlich grüße ich euch, die Nachgeborenen, die sich trotz Verleumdung und zahlreicher Geschichtsfälschungen, die sich auch in Schulbüchern wiederfinden, für den deutschen Arbeiter- und Bauernstaat und seine Politik interessieren."

Mensch und Wolf

Das Krenzsche Gerede bestand aus einer einzigen Anreihung von Verleumdungen und Geschichtsfälschungen. Kann es sein, dass Diktatoren generell nicht ganz bei Trost sind? Krenz jedenfalls hat den Schuss an der Mauer nicht gehört. Manch Mutter hat ihren Sohn beweint, nachdem ein Fluchtversuch gescheitert war. "Bewahrt, was man vom Erbe der DDR übrig gelassen hat. Es sind keine Reichtümer, die auf geheim gehaltenen Konten liegen. Es sind soziale Werte wie Respekt, Empathie und Fairness, die eine gerechte Gesellschaft stützen und zusammenhalten, eine Gesellschaft, in der der Mensch nicht der Wolf eines anderen Menschen sein darf."

What? Der Mensch darf nicht der Wolf eines anderen Menschen sein? Mein Gott, wer denkt sich so was aus? Aber halt mal: Warum ist die Ostzone nun so doll? "Es wäre in der DDR einfach undenkbar gewesen, die Bevölkerung aufzufordern, sich 'kriegstüchtig' zu machen. Bei uns, vor allem in der Ausbildung junger Menschen, hatte die Erziehung zum Frieden Priorität." In welchem Land hat der Mann zusammen mit seinen Hirngespinsten gelebt? Ich musste mit ungefähr 15 Jahren in ein Trainingslager, mit Handgranatenattrappen werfen und scharf mit einer Maschinenpistole schießen. Dass Krieg große Scheiße ist, hat mir mein Vater beigebracht, der das Treiben der SED nicht wirklich guthieß - und nur der.

"Kriegspropaganda und Rassenhass einschließlich Russophobie waren in der DDR verboten", behauptete der Erinnerungsschwurbler. Deshalb liebten ja auch alle das Schulfach "Russisch" so sehr. Ich habe den Unterricht sechs Jahre lang dafür genutzt, die Zeit totzuschlagen. Und als ich als junger Mann in Leipzig von der Stasi vernommen worden bin und irgendwo in dem Gebäudekomplex Leute grölten, sagte einer der antirassistisch eingestellten Offiziere: "Das sind die Kameltreiber." Ehrlich, ich habe beim Schreiben mehrfach auf das Datum geschaut, ob ich die richtige Rede vor mir habe, sie wirklich neu ist. Ja, so steht es auf der Webseite der "Junge Welt": "Ausgabe vom 07.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt DDR 75."

Böse Amis, gute Russen

"Die DDR hat niemals Krieg geführt." Wow! Das Land ist ja richtig sympathisch, also so im Nachhinein. Kein Wunder, dass auch junge Ostzonale die Heimat ihrer Eltern mögen. Nur hat das "die BRD" auch nicht getan. Die mag Krenz aber trotzdem nicht. Wegen der NATO und der Amerika-Hörigkeit. Da war das von ihm beherrschte Land anders: "Solange es die Sowjetunion, der wir - mehr als allen anderen - die Befreiung Deutschlands vom Faschismus verdanken, und an ihrer Seite die DDR gab, solange herrschte Frieden in Europa." Wie niedlich. Und gaga.

Dazu wäre zu sagen, dass die superbösen Amerikaner die superguten Russen während des Zweiten Weltkriegs mit Waffen, Rohstoffen, Stahl, Lebensmitteln, Chemikalien, Spreng- und Treibstoffen ohne Ende belieferten und auch finanziell nicht kleinlich waren. Fast eine halbe Million Jeeps und Lkws erhielt die Rote Armee, mehr als 100.000 Maschinengewehre, ungefähr 13.000 Lokomotiven und Güterwaggons, Dutzende Schiffe und Boote, zigtausende Flugzeuge, Panzer und Flakgeschütze sowie mehrere Millionen Paare Feldstiefel. Nicht vergessen: 1953 walzte die Sowjetunion mit Panzern den DDR-Volksaufstand nieder, 1968 den Prager Frühling.

"Euch begegnet in dieser Gesellschaft viel Unwahres über unseren Staat, den es nicht mehr gibt", verkündete Krenz - und sagte endlich mal etwas Wahres, zumindest was den Teil nach dem Komma angeht. Und warum ging es denn nun schief mit dem ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden? Wegen der "eigenen Schwächen: an unzureichender Informationspolitik, mangelnder Nutzung der verfassungsmäßig garantierten demokratischen Rechte, an Versorgungslücken sowie Bürokratie und oftmals auch an Engstirnigkeit". Also noch mehr Gemeinsamkeiten zwischen der Ampelkoalition und der SED-Führung? Könnte man denken. Saskia Esken sagt alle drei Tage, dass die Bundesregierung prächtig ist, es nur wegen miserabler Kommunikation niemand merkt.

Ich bin wirklich erstaunt, dass die Ostzone heute wieder so dick und fett beweihräuchert wird, dass man sie nicht mehr richtig sieht und der Blick auf Russland vernebelt ist. Inzwischen will es auch niemand mehr gewesen sein, die Ostzone war eine einzige Hochburg von Dissidenten. Ich kenne kaum jemanden, der nicht an die Tür einer Bahnhofstoilette "DDR doof" oder so was in der Art geritzt oder irgendwo öffentlich mindestens angedeutet haben will, dass das alles große Scheiße ist, was Honecker, Mielke und Krenz machen. Sahra Wagenknecht etwa: "Ich durfte in der DDR nicht studieren. Ich war alles andere als systemtreu." Jetzt greift sie nach der Macht. Dann hat sich der Widerstand also gelohnt. Und wenn nun noch russisches Gas nach Deutschland fließt, nachdem die Diplomatie Russland via Friedensverhandlungen in die Knie gezwungen hat, ist wieder alles wie früher, also heile. Oder?

Quelle: ntv.de

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