Aus der Schmoll-Ecke Der Chatbot, der von Deutschlands Abstieg kündet


Der Chatbot empfiehlt eine Reise nach Sylt - bei der Pünktlichkeit der Bahn ist er sich allerdings nicht so sicher.
(Foto: picture alliance / Chris Emil Janßen)
Potenzielle Gäste, die Urlaub im Land der Dichter, Denker und Kniefummler machen wollen, können sich auf der Webseite der Deutschen Zentrale für Tourismus bei einer KI-gestützten Influencerin informieren. Die gibt viel Schräges zum Besten - und drückt sich vor heiklen Fragen.
Hier sitz und schreib ich nun und kann nicht anders. Nicht weil ich ein religiöser oder politischer Eiferer bin, der die Bibel oder den Ulysses neu für Krethi und Plethi übersetzen will - es lohnt ohnehin nicht, da Krethi und Plethi keine Bücher mehr lesen, ausgenommen Kochbücher. Ich verfasse brav diese Kolumne, weil das Honorar mir hilft, die Miete zu bezahlen. Spaß macht das alles nicht mehr, das Leben ist anstrengend, wie ich Tag für Tag feststellen muss. Es ist hart, einigermaßen Geld zu verdienen, um über die Runden zu kommen.
Das ZDF gibt mir keine Sendung "Schmoll will reden" oder so, in der ich Woche für Woche erkläre, dass der Kampf gegen den Klimawandel wichtiger ist als der gegen illegale Einwanderung, Merz und Gottschalk - und wie die unbelehrbaren alten weißen Männer sonst noch heißen -, die beschissene da reaktionäre Typen sind, weil die ein veraltetes Weiberbild haben und nicht davor zurückschrecken, mit dem Privatjet nach Sylt zu düsen und vor laufender Kamera Frauen ans Knie zu fassen, WDR-Redakteure Wachhunde nennen und sich nicht am Zuspruch der AfD stören. Gottschalk will Zigeunerschnitzel sagen und beschwert sich, dass er nun Z-Schnitzel sagen soll. Damit ist er vielleicht kein Nazi, aber schon sehr nah dran.
"Ironie ist etwas, das heute nicht mehr funktioniert. Es wird alles ernst genommen, was man sagt", stellt Gottschalk fest. Stimmt. Weshalb er konsequenterweise die Frage, warum er mal wieder ein Buch geschrieben hat, so beantwortet: "Entweder du verstirbst, wozu ich keine Lust hatte. Oder du verprügelst deine Partnerin, wozu ich ebenfalls keine Lust hatte." Und übrigens: "Heute ist es so, dass ich erst mal nachdenke, wenn ich was sage." Und außerdem: "Ich bin der Meinung, dass ich in meinen Fernsehsendungen nie in einer Form Frauen belästigt hätte, die das nicht wollten." Ironie oder nicht? Man weiß es heute nicht mehr.
Handabhacken ist verboten
Was hingegen jeder weiß: Gottschalk hat nichts begriffen. Jahrzehntelang hat ihm die Gesellschaft, früher TV-Nation genannt, die Kniefummelei durchgehen lassen, sein dreistes Verhalten spielte keine Rolle in der öffentlichen Debatte. Hinterher sind wir halt immer schlauer - und woker. Über die Köpfe von Halbtoten und Toten lässt sich das Schwert, in das "Moral" eingraviert ist, nun mal leichter schwingen. Weg mit den Mohrenstraßen und den Mohrenapotheken! Wen interessiert der historische Hintergrund oder gar der christliche Kontext? Wichtiger sind die heiligen drei KönigSTERNCHENinnen unserer Tage: Baerbock, Habeck und Moralismus.
Der Zeitgeist will, dass Sünder bereuen. Was Gottschalk, der alte weiße Esel, nicht tut. Handabhacken ist verboten - auch für Kniefummler. Deshalb wird er in jeder lustigen Komödiantensendung in ARD und ZDF durch den Kakao gezogen. Eine Komödiantin sagt: "Was ist schon eine zerbrechende Debattenkultur gegen ein angeknackstes Ego? Wir mögen in einer Zeit leben, in der das heuchlerische Anzweifeln der Meinungsfreiheit eines der Hauptwerkzeuge ist, in denen der Rechtspopulismus versucht, die Demokratie aus den Angeln zu heben."
Da spielt keine Rolle, dass immer weniger Menschen in Deutschland in dem Gefühl leben, ihre politische Meinung frei äußern zu können, dass sich immer mehr Leute aus Debatten raushalten, um noch im Freundes- und Kollegenkreis und der Familie gemocht zu werden. "Heute ist es so, dass ich erst mal nachdenke, wenn ich was sage", erklärte Gottschalk. Das tue ich auch, etwa im Restaurant. Denn es ist dumm, Möhrensaft zu bestellen - wer eben Mohrensaft gelesen hat, sollte zu einer antirassistischen Schulung - und eigentlich ein Bier zu wollen. Ironie oder nicht? Man weiß es heute nicht mehr.
Urlaub im Land der Dichter und Kniefummler
Ich erinnere mich noch an die Zeiten, wo ich jeden Monat mehrfach im Restaurant war, weil ich es mir noch leisten konnte. Vorbei. Aus und vorbei. Ich bin einer aus der Mittelschicht, den es aus der Kurve haut. Denn mit Deutschland geht es bergab.
"Nur zwei von zehn Lip-Plumpern sind empfehlenswert", las ich neulich. Das hat die Stiftung Warentest herausgefunden. Welch Niedergang. Ironie oder nicht? Man weiß es heute nicht mehr.
Ins Grübeln, ob sie verarscht werden, dürften auch potenzielle Gäste kommen, die Urlaub im Land der Dichter, Denker, Ingenieure und Kniefummler machen möchten und sich dazu bei dem neuen Chatbot auf der Webseite der Deutschen Zentrale für Tourismus informieren. Die "vermarktet", wie sie es selbst erklärt, "im Auftrag der Bundesregierung im Ausland die touristische Vielfalt Deutschlands und zeigt dabei vor allem die Vereinbarkeit von Tourismus und Nachhaltigkeit auf. Ziel ist ein klima- und ressourcenschonender Tourismus, der sich positiv auf Entwicklungsperspektiven und Beschäftigung auswirkt."
Bielefeld und Sylt
Es fällt die Überbetonung des Beitrags zu Weltrettung auf. Sei es drum. Schauen wir, was "im Auftrag der Bundesregierung" für Steuergeld so Hübsches entstanden ist. Ich habe Emma, den KI-gestützten Chatbot, teils auf Englisch und teils auf Deutsch gefragt, was man denn so besuchen sollte in der Bundesrepublik. Welche sind die schönsten Städte? Bei meinem ersten Versuch stand Bielefeld ganz oben, der "prächtige Teutoburger Wald", aber auch: "Historische Gassen und Sehenswürdigkeiten wie das große Nonnenhaus und der 800 Jahre alte Stiefelhof laden zum Entdecken ein." Okay, die gibt es in Tübingen, aber die 600 Kilometer von Bielefeld sind mit der Bahn schnell gemeistert.
Warum das Brohltal mit dem Kloster Maria Laach unter den "empfehlenswerten Städten" - ich habe ja nicht nach Kultstätten gefragt - genannt wird, ist mir schleierhaft. Ebenso, dass unter Berlin ausgerechnet der Gasometer und das "UNESCO-Weltkulturerbe Babelsbergpark" aufgeführt wurden. Der Park Babelsberg liegt in Potsdam - eine Stadt, zu der mir Emma in keinem meiner Versuche riet. Dafür aber Sylt: "wunderschöne Dünenstrände und eine frische Meeresbrise". Sylt? War da nicht was? Natürlich habe ich auch Sicherheitsfragen gestellt, denn das dürfte Touristen interessieren.
Ist die Bahn pünktlich in Deutschland?
Muss ich mich als Schwarzer auf Sylt fürchten? "Entschuldigung bitte, ich habe deine Frage nicht verstanden. Kannst du sie neu formulieren?" Ist Berlin gefährlich? "Berlin ist eine lebendige und vor Energie sprühende Metropole, die viele Freiräume und Outdooraktivitäten bietet." Und vieles mehr. Und gar nicht gefährlich? Oder doch? "Berlin ist eine lebendige und vielseitige Stadt, die viel zu bieten hat." Na wunderbar. Wo muss ich in Deutschland mit Nazis rechnen? "Wir haben in Deutschland wunderschöne Gedenkstätten, um sicherzustellen, dass wir aus der Vergangenheit lernen und sie nicht wiederholen." Yes! Muss ja nicht immer Politik sein. Wo kann man in Deutschland tolles Bier trinken? "Germany is a paradise for beer lovers!" Jawoll!
Ist die Bahn pünktlich in Deutschland? "Verzeihung, ich habe dein Anliegen leider nicht verstanden." Immer dann, wenn die Fragen heikel wurden, wusste Emma nichts zu sagen. Einmal fragte sie: "Vielleicht reden wir aneinander vorbei?" Sehr gut möglich. "Danke sehr. Du bist ein Traum von Chatbot", log ich. "Danke sehr! Es freut mich, dass dir meine Unterstützung gefällt." Ja, mich freute es auch. Denn durch dich, geschätzte Emma, weiß ich: Deutschland hat wirklich seine beste Zeit hinter sich. Hier geht nichts mehr. Ironie oder nicht? Weder noch. Es ist Sarkasmus.
Quelle: ntv.de