Staat versagt bei Frauenhass "Wer die Beziehung überlebt, hat trotzdem kein Leben mehr"


Rund 80 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind Frauen.
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Isolieren, erniedrigen, prügeln - das erleben auch hierzulande Frauen jeden Tag. Die hohen Zahlen sind längst bekannt - schon vor Jahren hat sich Deutschland verpflichtet, dagegen anzugehen. Die Ampel-Koalition verspricht ein besseres Hilfesystem. Doch bei der Umsetzung hakt es gewaltig.
Alles beginnt rosarot. Als Miriam ihren Partner kennenlernt, ist dieser charmant und fürsorglich. In den ersten Monaten ihrer Beziehung fühlt es sich nach der großen Liebe an. Nur bei ihren Freunden und auch bei ihrer Familie, da fühle er sich, so sagt er, nicht wohl. Ihm zuliebe fährt auch Miriam immer seltener zu ihrer besten Freundin, besucht ihre Mutter kaum noch. Dafür macht sie nun täglich Sport, denn sie sei, so sagt er, "fett" geworden. Irgendwann kommt die erste Tochter zur Welt, dann die zweite. Er flippt nun immer öfter aus: wegen des zu heißen Essens, des Kindergeschreis oder ihres zu kurzen Rocks. Recht machen kann sie es ihm jetzt nicht mehr. Einmal, mitten in seinem Gebrüll, schießt Miriam ein Gedanke in den Kopf: Trennung. Aber wo soll sie denn hin, ohne ausreichend eigenes Geld und mit zwei Kleinkindern? Also bleibt sie. Möglicherweise wird er ja ruhiger, wenn sie sich ändert. Sie versucht es. Immer wieder. Dann schlägt er das erste Mal zu.
Wann genau die psychische Gewalt ihres Partners losging, wann die rosarote Beziehung vorbei war und schließlich zu einem blutroten Albtraum wurde, kann Miriam heute nicht mehr sagen. Sie hat es nicht wahrgenommen. Und ein Korrektiv von außen, eine helfende beste Freundin oder eingreifende Mutter, gab es nicht mehr.
Miriams Geschichte ist fiktiv - und dennoch alltäglich. Sie basiert auf Erfahrungen der Familienrechtlerin und Buchautorin Asha Hedayati. Als Anwältin hat sie zahlreiche Frauen begleitet, denen von ihrem Partner oder Ex-Partner Gewalt angetan wurde. Ein großer Teil dieser Beziehungen hat Parallelen, wie die Juristin im Gespräch mit ntv.de erzählt: die Isolation und Beleidigungen durch den Partner, die eigenen Schuldzuweisungen, die Abhängigkeit, die Gewaltspirale. Deutschland hat sich international zum Kampf gegen Gewalt gegen Frauen verpflichtet. Zudem hat sich die Regierung im Koalitionsvertrag versprochen, das Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen und Kinder auszubauen. Doch bei der Umsetzung dieser Versprechungen hakt es.
Fast täglich versucht ein Mann seine Frau zu töten
Hinter wie vielen Hausfassaden und Wohnungstüren sich Hedayatis Schilderungen in gleicher oder ähnlicher Weise abspielen, zeigt ein Blick auf die Zahlen: 2022 wurde fast alle zwei Minuten ein Mensch in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt, wie die Statistik des Bundeskriminalamtes zeigt. Rund 80 Prozent der Betroffenen sind demnach Frauen. Zudem werden jede Stunde fast 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Ex-Partner seine Frau zu töten. Fast jeden dritten Tag gelingt es ihm.
"Dabei dürfte die Dunkelziffer viel höher liegen", mahnt Hedayati. Denn das BKA erfasst lediglich jene Taten, von denen die Polizei weiß. Gerade im Bereich der Partnerschaftsgewalt komme es allerdings häufig gar nicht zu einer Anzeige. Die Bundesregierung hat daher im vergangenen Jahr eine Dunkelfeldstudie angekündigt. Ein längst überfälliger erster Schritt, um endlich tätig zu werden, sagt Hedayati. Denn momentan gebe es deutliche Defizite bei der Aufklärung von Gewalttaten gegen Frauen sowie bei der Prävention. Vor allem aber mangele es an Unterstützung für Betroffene.
So lässt sich die Geschichte von Miriam, die für viele Schicksale in Deutschland steht, weitererzählen. Der Mutter zweier Mädchen kommt der Gedanke von Trennung nun öfter - gepaart mit enormer Unsicherheit. Für eine eigene Wohnung reicht ihr Geld nicht, zudem wäre sie ihrem Partner schutzlos ausgeliefert. Miriam telefoniert mit sechs Frauenhäusern, bevor sie endlich einen Platz zugesagt bekommt. Ihr Heimatdorf wird sie damit so schnell nicht wiedersehen - die Einrichtung mit dem freien Platz für sich und ihre Kinder ist mehr als 100 Kilometer weit entfernt. Sie muss ihre ältere Tochter aus der gewohnten Schule reißen, die kleinere aus der Kita. Ihren eigenen Teilzeitjob muss sie kündigen. Dafür sind sie nun, erst einmal, in Sicherheit.
Das Dilemma der Überlebenden
"Wer die Beziehung überlebt, hat trotzdem kein Leben mehr", fasst Hedayati das Dilemma vieler von Gewalt betroffenen Frauen zusammen. "Das Schlimme ist, dass die Politik von diesen Zuständen weiß, und zwar schon lange." Die Familienrechtlerin wirft den Entscheidungsträgerinnen und -trägern mangelnden politischen Willen vor. Denn an Ideen im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen fehle es überhaupt nicht. Hedayati verweist auf die Istanbul-Konvention des Europarats zur Verhütung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Deutschland hat das Abkommen 2017 ratifiziert. "Da stehen viele gute und hilfreiche Maßnahmen drin. Wenn Deutschland die nun auch umsetzen würde, wäre das ein erster großer Schritt."
Ein besonders wichtiger Punkt der Konvention betrifft Frauenhäuser. Sie sind eine der ersten Anlaufstellen, wenn sich Frauen entschließen, ihren gewalttätigen Partner zu verlassen oder wenn die Polizei sie aus dem Haus holt. Ohne Frauenhäuser kann ein Gewaltschutzsystem nicht richtig funktionieren, ohne ausreichend Plätze wächst das Risiko für Frauen in Gewaltbeziehungen. Deutschland hat derzeit rund 7000 Plätze in rund 400 Frauenhäusern - und verfehlt seine Verpflichtung damit deutlich. Laut der Istanbul-Konvention bräuchte es hierzulande 21.000 Plätze, also dreimal so viele, wie es derzeit gibt.
"In der Praxis bedeutet das, dass die Häuser eigentlich immer ausgelastet sind", erklärt Dorothea Hecht von der Frauenhauskoordinierung im Gespräch mit ntv.de. 2022 etwa waren die vorhandenen Plätze im Schnitt zu 83 Prozent belegt, wie eine "Correctiv"-Umfrage ergab. Die Überlastung hat verheerende Folgen: "Dass Frauen abgewiesen werden müssen, ist leider der Normalfall", sagt Hecht. "Viele Frauen telefonieren sich die Finger wund, bevor sie einen Platz finden. Und es ist nicht selten so, dass sie erst einmal gar nichts findet."
Frauenhäuser am Limit
Auch für die Frauen und Kinder, die einen Platz bekommen haben, sowie für die Mitarbeiterinnen stellt die Dauerauslastung enormen Stress dar. Häufig müssen sich fremde Frauen und ihre Kinder eine Wohnung teilen. Kommt eine Frau in einer Notsituation in eine volle Einrichtung, bleibt oft nur noch ein Notplatz. "Ich habe schon gesehen, dass Frauen auf der ausziehbaren Couch in dem Gemeinschafts-Spielzimmer der Einrichtung schlafen mussten."
Doch es gehe nicht nur um die reine Anzahl der Betten. "Wir haben es zum Teil mit psychisch und physisch schwer verletzten, mit traumatisierten Menschen zu tun, da reicht es nicht, einfach für einen warmen und trockenen Platz zu sorgen", mahnt Hecht. So bedeute Frauenhausarbeit eben vor allem Unterstützung: sozial-therapeutische Unterstützung, rechtliche Hilfe bei Gewaltschutzanträgen, Kinderbetreuung und Sorgerechtsmaßnahmen, möglicherweise finanzielle Beratung - "all dies muss in hohem Tempo organisiert werden". Dafür brauche es ausreichend Fachkräfte in den Frauenhäusern, sagt Hecht. "Und genau daran mangelt es."
Was ist der Ampel gelungen?
Nun ist diese prekäre Lage in den Frauenhäusern keineswegs neu. In ihrem Koalitionsvertrag legten die Ampelparteien daher fest, das Hilfesystem ausbauen zu wollen. Die Istanbul-Konvention sollte "vorbehaltlos und wirksam" umgesetzt, die Finanzierung von Frauenhäusern reformiert werden. Die Legislaturperiode neigt sich langsam dem Ende - was ist geschehen?
Auf Nachfrage von ntv.de verweist eine Sprecherin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zunächst auf das 2020 aufgelegte Bundesinvestitionsförderprogramm. 349 neue Frauenhausplätze seien so geschaffen worden, 418 bestehende Plätze verbessert worden. Bis zum Programmende im Dezember dieses Jahres sollen weitere 95 Plätze geschaffen werden. "Das Programm ist von der Idee her sicherlich gut", erklärt Hecht dazu. "Aber die hinzugekommenen Plätze sind im Verhältnis zu den 14.000 benötigten natürlich kaum mehr als ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein."
Das BMFSFJ wisse, dass es mehr Plätze in Frauenhäusern sowie einen "bedarfsgerechten Ausbau der Schutz- und Beratungsangebote für Betroffene" braucht, erklärt die Sprecherin weiter. "Deshalb arbeitet das BMFSFJ derzeit entsprechend den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag und den Vorgaben der Istanbul-Konvention an einem Gesetzesentwurf." Verabschiedet werden soll das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode.
Die Sorge vor der Kostenstudie
Ein heikler Punkt dürfte dabei vor allem die Finanzierung sein. Aktuell ist völlig offen, mit welchen und wie hohen Mitteln die Frauenhäuser und Beratungsstellen unterstützt werden sollen. Um "erstmals belastbare und aussagekräftige Daten zu den Kosten des Hilfesystems in Deutschland" zu erhalten, habe das Ministerium daher eine Kostenstudie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sollen in diesem Frühjahr veröffentlicht werden.
In der Praxis erwarte man diese Ergebnisse mit gemischten Gefühlen, erklärt Hecht. Sollten die ermittelten Kosten zu gering kalkuliert worden sein, könnten alle bisherigen Bemühungen, die Lage in den Frauenhäusern relevant zu verbessern, zunichte gemacht werden. Denn am Ende gehe es vor allem darum, den Einrichtungen mehr Geld zur Verfügung zu stellen. "Unsere Sorge ist, dass die in der Studie genannte Zahl realistisch zu gering und für die Politik trotzdem zu hoch sein wird."
"Warum müssen sich die Frauen verstecken, nicht die Täter?"
Nun ist der Ausbau der Frauenhäuser und Beratungsstellen ein wichtiger Punkt der Istanbul-Konvention, aber bei weitem nicht der einzige. Vielmehr fordert das Abkommen eine Gesamtstrategie, die sich durch alle staatlichen Institutionen zieht. "Der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", fasst es Familienrechtlerin Hedayati zusammen.
Doch bisher werde kaum ein Part seiner Verantwortung umfassend gerecht. Das reiche von Polizisten, die "Partnerschaftsgewalt oft nicht ernst nehmen", über strukturell überlastete und überforderte Jugendämter bis hin zu Familienrichtern, die dem prügelnden Ex-Partner Umgangsrechte mit dem Kind gewähren, "weil die Gewalt ja nicht das Kind betreffen würde und alle nun mal nach vorne schauen müssten".
Nicht zuletzt gehe es um die Einstellung der Gesellschaft. "Gewalt gegen Frauen findet nicht in einem luftleeren Raum statt", sagt Hedayati. "Sie findet statt in einer Gesellschaft, in der noch nicht alle gleichgestellt sind und in der männliche Gewalt als Normalität gilt." Warum sonst, so die Anwältin, "sind es die Frauen, die nach einer Gewaltbeziehung aus der Gesellschaft verschwinden müssen, sich in Frauenhäusern verstecken müssen, und nicht die Täter?"
Quelle: ntv.de