Panorama

Inzidenz bei 1400 Was passiert in Spanien?

Auch bei Omikron sind ältere Menschen ohne Impfschutz besonders gefährdet.

Auch bei Omikron sind ältere Menschen ohne Impfschutz besonders gefährdet.

(Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire)

In Spanien explodieren die Corona-Fallzahlen, die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei knapp 1400. Noch sind die Krankenhäuser in dem Land nicht überlastet, doch sie füllen sich zunehmend mit Covid-19-Patienten. Wie lange kann das gut gehen?

Im Herbst war Spanien in Sachen Corona noch der EU-Musterschüler. Während Deutschland am 6. November bereits 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche zählte, lag die Sieben-Tage-Inzidenz dort gerade mal bei 30. Doch dann stiegen auch in Spanien die Fallzahlen an und explodierten im vergangenen Monat geradezu. Innerhalb von 30 Tagen verzehnfachten sie sich auf jetzt rund 1400 Neuinfektionen, und die Kurve zeigt weiter fast senkrecht nach oben. Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch, da Kontaktpersonen von Infizierten nicht aufgespürt und ohne Symptome auch nicht getestet werden. Hinzu komme, dass viele Spanier zu Hause Schnelltests durchführten und positive Ergebnisse oft nicht meldeten, berichtet "El País".

Omikron breitet sich rasch aus

Der rasante Anstieg ist in jüngster Zeit auch auf eine rasche Ausbreitung von Omikron in Spanien zurückzuführen. Am 13. Dezember meldete das spanische Gesundheitsministerium erst 36 Fälle, sechs Tage später waren bereits 47 Prozent der sequenzierten Proben auf die neue Variante zurückzuführen. Am 3. Januar waren 43 Prozent der analysierten Tests in Spanien auf Omikron zurückzuführen, allerdings hat das Land in den letzten Dezemberwochen sehr wenig Proben sequenziert.

Zwar dürfte die neue Variante inzwischen dominant sein, aber es ist auch klar, dass die Corona-Lage schon vorher mit Delta außer Kontrolle zu geraten begann. So gab es in Spanien keinen vorübergehenden Rückgang der Fallzahlen wie in Deutschland, sondern "zwei Wellen in einer", wie es die Computerbiologin Clara Prats "El País" erklärte. "Im Herbst stieg die Kurve Stück für Stück an, wie in Zeitlupe und mit einem Spielraum, um zu reagieren. Doch dann tauchte plötzlich Omikron auf und veränderte von einem Tag auf den anderen alles. Zuerst kam es in Madrid an, dann in Katalonien, und es verbreitete sich weiter. Sobald man 40 Prozent Omikron erreicht hat, steigen die Infektionen sprunghaft an."

Spielraum nicht genutzt

Ein Grund für die explodierende Inzidenz dürfte sein, dass die Regierungen in Madrid und den Regionen ihren Spielraum zu reagieren nicht genutzt haben. So wurde eine 3G-Regelung nicht landesweit eingeführt oder nicht konsequent umgesetzt und über 2G wurde kaum nachgedacht. So feierte noch Mitte Dezember trotz bereits stark steigender Fallzahlen nicht nur die Hauptstadt, als gäbe es keine Pandemie. Ob die Wiedereinführung einer Maskenpflicht im Freien effektiv ist, darf bezweifelt werden.

Die Zurückhaltung der Regierungen ist nicht nur auf eine angespannte politische Lage in Teilen Spaniens zurückzuführen, in der man der Bevölkerung nur ungern neue Einschränkungen zumuten möchte. Das Land wog sich auch durch eine hohe Impfquote in falscher Sicherheit, die eigentlich schon mit der Ausbreitung der Delta-Variante im Sommer obsolet war. Auch bei ihr gab es bereits mit zunehmendem Abstand zur zweiten Dosis vermehrt Impfdurchbrüche, was zu der Erkenntnis führte, dass eine dritte Dosis nötig ist.

Hohe Impfquote hilft auch gegen Omikron

Trotzdem nützt die hohe Impfquote Spanien auch in der jetzigen Situation. Denn die Vakzine verhindern bei Omikron zwar nur unzureichend Infektionen, ihr Schutz vor schweren Verläufen mit Krankenhauseinweisung ist aber nach wie vor sehr hoch. Bis zu einem halben Jahr nach der zweiten Dosis schätzt die britische Gesundheitsbehörde UKHSA die Effektivität hier noch auf 72 Prozent. Nach der Booster-Impfung beträgt die Schutzwirkung sogar 88 Prozent.

In Spanien sind laut Gesundheitsministerium rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung beziehungsweise etwa 90 Prozent der über 12-Jährigen "vollständig" geimpft. Bei den über 40-Jährigen haben insgesamt 95 Prozent zwei Dosen erhalten, die über 60-Jährigen sind sogar zu fast 100 Prozent doppelt geimpft. Die geringste Quote weisen die 30- bis 39-Jährigen auf, die nur auf knapp 79 Prozent kommen.

Noch zu wenig Alte geboostert

Auch bei den Auffrischungen kommt Spanien voran, ist aber nicht ausreichend auf Omikron vorbereitet, da vor allem die Quoten bei den vulnerablen Älteren noch zu niedrig sind. Mit einem Altersmedian von 44,3 Jahren hat das Land eine der ältesten Bevölkerungen der EU. 19,6 Prozent der rund 47,4 Millionen Spanier sind älter als 65 Jahre, das sind rund 9,2 Millionen Menschen.

Etwa 88 Prozent der über 70-Jährigen sind geboostert, bei den 60- bis 69-Jährigen 77 Prozent. Die Quote bei den Menschen von 50 bis 59 Jahren beträgt 34 Prozent, von den 40- bis 49-Jährigen haben bisher knapp 19 Prozent eine Auffrischimpfung erhalten.

Durch die Impfungen, vorangegangene Infektionen und weil Omikron auch insgesamt seltener zu schweren Verläufen führt als Delta, sind die spanischen Krankenhäuser trotz der enorm hohen Inzidenzen noch nicht überlastet. Durch die Masse der Fälle und die Booster-Lücken füllen sie sich aber zunehmend.

Personal wird knapp

Anfang Dezember kamen im Sieben-Tage-Schnitt in Spanien etwa 400 Menschen mit Covid-19 ins Krankenhaus, jetzt sind es bereits fast 950. Damit ist ungefähr der Stand der Sommerwelle erreicht, aber die Hospitalisierungen sind noch weit von den katastrophalen Zuständen im Januar 2021 entfernt, wo zum Höhepunkt täglich mehr als 2200 Corona-Patienten eingeliefert wurden.

Doch in Spanien gilt wie in Großbritannien und anderen Hochinzidenz-Ländern, dass durch Infektionen und Quarantäne das Personal gefährlich knapp ist und daher auch leichte Fälle oder Patienten, deren Infektion erst im Krankenhaus festgestellt wurde, eine hohe Belastung darstellen. Denn sie müssen in gesonderten Bereichen mit hohem Aufwand getrennt von "normalen" Patienten versorgt werden.

Das gilt erst recht für die Intensivstationen, wo die Covid-19-Fälle oft mehrere Wochen statt üblicherweise Tage verbringen und auch mehr Personal benötigen als herkömmliche Patienten. Laut Our World of Data wurden am 1. Dezember in Spanien pro Woche 10 Corona-Fälle pro einer Million Einwohner eingewiesen, aktuell sind es rund 23.

Deutlich weniger Tote als vor einem Jahr

Die Zahl hat sich also innerhalb eines Monats mehr als verdoppelt, prozentual ist der Anteil der Corona-Patienten laut "rtv" auf den Intensivstationen von 8,5 auf 21 Prozent gestiegen. Damit ist ebenfalls der Stand der Sommerwelle erreicht. Ende Januar 2021 waren allerdings fast 45 Prozent der Intensivfälle mit Covid-19 infiziert, und die wöchentlichen Einweisungen waren mehr als doppelt so hoch.

Am deutlichsten wirken sich die Impfungen auf die Todeszahlen aus. Zum Jahresende registrierten die spanischen Behörden täglich 50 bis 60 neue Covid-19-Opfer. Mitte August waren es rund doppelt so viele, im Januar 2021 musste das Land täglich 500 bis 600 Corona-Tote hinnehmen.

Omikron-Welle schadet anders

Mehr zum Thema

Wie geht es weiter? Nach Berechnungen von Álex Arenas, Professor für Informatik und Mathematik an der Universität Rovira i Virgili, wird der Höhepunkt dieser Welle voraussichtlich Mitte Januar erreicht. "Der Rückgang wird wahrscheinlich schnell sein, ebenso wie der Anstieg, aber den Krankenhäusern stehen sehr harte Wochen bevor", sagte er "El País". Durch viele Infektionen im Gesundheitswesen müsse wenig Personal sehr viele Covid-19-Patienten versorgen.

Spanien ist ein gutes Beispiel dafür, dass die kurze, aber heftige Omikron-Welle kaum mit vorangegangenen zu vergleichen ist. Die Variante führt zwar vermutlich deutlich seltener zu schweren Verläufen, und vor allem Länder mit hohen Impfquoten müssen wahrscheinlich mit keinen neuen Höchstständen auf den Intensivstationen rechnen. Aber durch die Masse der "leichten" Infektionen bei Personal und auf den Stationen können die Kliniken trotzdem in höchste Not geraten. Krankheit und Quarantäne können außerdem zu großen Problemen in anderen kritischen Infrastrukturen führen, und es drohen hohe wirtschaftliche Schäden.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen