Panorama

Bisher vor allem Junge infiziert Briten fürchten Omikron-Welle bei Älteren

London.jpg

In London könnte der Höhepunkt der Omikron-Welle zwar schon erreicht sein, die Stadt ist aber noch nicht aus dem Schneider.

(Foto: picture alliance / AA)

Bei sehr hohen Inzidenzen steigt in Großbritannien zwar die Zahl der Hospitalisierungen deutlich an, doch es gibt dort bisher noch relativ wenig Omikron-Intensivfälle. Das könnte sich aber ändern, fürchtet ein führender Epidemiologe. Bisher hätten sich vor allem junge Menschen infiziert.

Aktuell beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz in Großbritannien rund 1800 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, fast alle durch die Omikron-Variante. Seit Anfang Dezember hat sich dort auch die Zahl der Corona-Hospitalisierungen nahezu verdoppelt. Trotzdem ist das Vereinigte Königreich bisher glimpflich davongekommen, denn die Anzahl der Covid-19-Intensivfälle ist relativ niedrig geblieben. Die Situation der britischen Krankenhäuser könnte sich aber schon bald deutlich verschärfen, fürchtet Epidemiologe Neil Ferguson, der unter anderem die britische Regierung berät.

Omikron habe sich vor allem rasch unter den 18- bis 50-Jährigen verbreiten können, zitiert "The Guardian" aus einem BBC-Interview mit dem Wissenschaftler. Der Modellierer des Imperial College London geht davon aus, dass die Fallzahlen sogar noch "viel höher" als offiziell ausgewiesen sind. Sie würden derzeit nicht vollständig erfasst, da in einigen Gegenden aufgrund der enorm vielen Neuinfektionen das Testmaterial ausgegangen sei. Außerdem handele es sich bei 10 bis 15 Prozent der Ansteckungen um Reinfektionen, die nicht in die offiziellen Statistiken einflössen.

Aber "eine Epidemie, die so hohe Zahlen erreicht, kann dieses Niveau nicht ewig aufrechterhalten. Wir erwarten daher, dass die Fallzahlen in der nächsten Woche zurückgehen. In London tun sie dies vielleicht jetzt schon, aber in anderen Regionen erst in einer Woche bis drei Wochen." Außerdem sieht Ferguson noch einen deutlichen Anstieg von "leichten" Omikron-Infektionen bei Kindern und Jugendlichen auf das Königreich zukommen, da die Weihnachtsferien zu Ende sind. Das Virus habe kaum Zeit gehabt, sich in den Schulen auszubreiten, bevor diese geschlossen wurden.

Immer mehr Alte im Krankenhaus

Bis auch der Anstieg der Hospitalisierungen zurückgehe, werde es noch eine Weile dauern, sagte Ferguson. Omikron habe noch keine Zeit gehabt, "sich in den älteren Altersgruppen auszubreiten, die ein viel, viel größeres Risiko für einen schweren Verlauf und Krankenhausaufenthalte haben. Wir könnten also ein anderes Muster bei den Hospitalisierungen sehen. Die Zahl der Krankenhausaufenthalte steigt landesweit weiter an, und es kann sein, dass wir noch einige Wochen lang hohe Werte sehen werden."

Die Londoner Zahlen bestätigen den von Ferguson skizzierten Trend. Während die Neuinfektionen bei den 15- bis 39-Jährigen stark sinken, steigen sie bei den Älteren zum Teil deutlich an. Besonders problematisch ist eine sehr kräftige Zunahme der Hospitalisierungen der über 85-Jährigen, die bereits bei über 300 pro 100.000 Einwohner liegt. An zweiter Stelle folgen die 65- bis 84-Jährigen, während es bei den anderen Altersgruppen so gut wie keinen Anstieg gibt. Ähnlich sieht es bei den Todesfällen aus, die fast ausschließlich aus den Reihen der über 70-Jährigen kommen.

Laut dem größten britischen karitativen Dienstleister mha sind rund 15,5 Millionen Briten älter als 60 Jahre, was etwa 23 Prozent der Bevölkerung entspricht. 3,2 Millionen von ihnen sind über 80, fast 600.000 über 90 Jahre alt. Das Virus könnte also noch großen Schaden anrichten. Allerdings sind der britischen Gesundheitsbehörde UK Health Security Agency (UKHSA) zufolge die 60- bis 64-Jährigen im Vereinigten Königreich fast zu 90 Prozent doppelt geimpft, bei den Altersgruppen darüber sind es bis zu 95 Prozent. Bereits zu Weihnachten hatten sogar schon 75 Prozent der 60- bis 64-Jährigen die dritte Dosis erhalten, bei den 65- bis 69-Jährigen sind fast 85 Prozent geboostert, bei den noch Älteren nahezu 90 Prozent.

Omikron grundsätzlich milder als Delta

Zwar gibt es bei der Omikron-Variante sehr viele Durchbruchsinfektionen, doch der Schutz der Impfstoffe vor schweren Verläufen mit Krankenhauseinweisung ist nach wie vor sehr hoch. Bis zu einem halben Jahr nach der zweiten Dosis schätzt die UKHSA die Effektivität noch auf 72 Prozent. Nach der Booster-Impfung beträgt die Schutzwirkung sogar 88 Prozent.

Außerdem haben viele Briten bereits eine Corona-Infektion hinter sich, weshalb insgesamt fast alle einen gewissen Grad der Immunisierung aufweisen. Die britische Statistikbehörde schätzt, dass 94 bis 95 Prozent der Bevölkerung Antikörper im Blut haben.

Ferguson ist aber nicht nur wegen der hohen Impfquoten Großbritanniens heute optimistischer als noch zu Beginn der Omikron-Welle. Er geht inzwischen davon aus, dass die Variante grundsätzlich seltener zu schweren Krankheitsverläufen führt. Auch bei Menschen, die weder geimpft noch genesen sind, sei die Wahrscheinlichkeit, bei einer Infektion ins Krankenhaus zu kommen, um etwa ein Drittel niedriger als bei Delta. Das Risiko, an Covid-19 zu sterben, sei sogar um rund zwei Drittel geringer, sagte er der BBC.

Nur etwas mehr Intensivpatienten

Das ist eine Erklärung dafür, dass die Corona-Fälle auf den Intensivstationen in London bisher wesentlich weniger zunehmen als die Infektionen und die Hospitalisierungen allgemein. Am 1. Dezember wurden in der Metropole rund 181 Covid-19-Patienten im Sieben-Tage-Schnitt beatmet, aktuell sind es etwa 230. Mitte Januar 2021 wurden in London noch 1200 schwere Corona-Fälle behandelt. In Großbritannien sind die Intensivfälle derzeit sogar noch leicht rückläufig. Hier sank der Sieben-Tage-Schnitt von 907 auf 850 Patienten.

Zwar ist auch ein großer Teil der gezählten Hospitalisierungen aktuell auf Patienten zurückzuführen, deren Infektion erst im Krankenhaus festgestellt wurde - laut "The Telegraph" geht das Gesundheitsministerium derzeit von einem Drittel aus. Doch wenn Omikron nicht deutlich milder als Delta wäre, sähe man trotzdem wesentlich mehr Menschen in Kliniken, so Ferguson.

Katastrophenfall wegen Personalnot

Die Krankenhäuser stehen aber auch ohne volllaufende Intensivstationen vor großen Problemen. Denn durch die hohen Inzidenzen kommt es zu sehr vielen Personalausfällen wegen Infektionen oder Selbstisolierung, die die gesamte Infrastruktur des Vereinigten Königreichs schon jetzt stark schwächen. Am Dienstagabend verzeichnete die britische Regierung erstmals mehr als 200.000 Corona-Neuinfektionen innerhalb eines Tages: Binnen 24 Stunden seien 218.724 Fälle gemeldet worden, hieß es in London.

Laut BBC haben bereits mindestens sieben Krankenhausstiftungen den Katastrophenfall ausgerufen, da sie sich unter anderem nicht mehr in der Lage sehen, Krebs- oder Herzbehandlungen durchzuführen. Hinzu kommt die von Ferguson befürchtete Ausbreitung der Omikron-Welle in den älteren Jahrgängen. Man sähe bereits eine deutliche Zunahme bei den über 60-Jährigen, sagte Sakthi Karunanithi, Leiter des Gesundheitsdienstes der Grafschaft Lancashire, der BBC. "Wir bereiten uns auf einen Omikron-Tsunami vor."

Trotz der wachsenden Personalnot ist der Chef der NHS Confederation, Matthew Taylor, nicht grundsätzlich für eine Verkürzung der Selbstisolation auf fünf Tage. Dies sei nur sinnvoll, wenn es die Wissenschaft als absolut sicher einstufe.

Deutschland vor größeren Problemen

Mehr zum Thema

Auch in Deutschland wird angesichts der sich auftürmenden neuen Corona-Welle bereits eine Verkürzung der Selbstisolation diskutiert. Doch auf die Bundesrepublik könnte mehr als eine Personalnot durch Omikron zukommen. Denn in Deutschland sind bisher nur rund 62 Prozent der über 60-Jährigen geboostert und knapp 3,1 Millionen (13 Prozent) der 24,1 Millionen Menschen dieser Altersgruppen sind gar nicht geschützt.

Außerdem hat Deutschland schon jetzt eine viel höhere Intensiv-Quote bei Covid-19-Patienten als Großbritannien. Laut Our World of Data kommen in der Bundesrepublik trotz deutlich sinkender Tendenz immer noch knapp 45 Fälle auf eine Millionen Einwohner, im Vereinigten Königreich nur 13.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen