Politik

Politologin zur Causa Aiwanger "Söder hatte keine andere Wahl, als ihn zu halten"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Durch die frühe Festlegung auf die Freien Wähler als Koalitionspartner ging Söder ein Risiko ein - wie sich jetzt zeigt.

Durch die frühe Festlegung auf die Freien Wähler als Koalitionspartner ging Söder ein Risiko ein - wie sich jetzt zeigt.

(Foto: IMAGO/Sven Simon)

Hubert Aiwanger bleibt bayerischer Wirtschaftsminister - diese Entscheidung gibt Ministerpräsident Söder in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt am Vormittag bekannt. Er begründet das sorgfältig in der Sache. Doch in Wahrheit hatte er kaum eine andere Wahl, wie die Politologin Jasmin Riedl, Professorin an der Universität der Bundeswehr in München, im ntv.de-Interview sagt.

ntv.de: Frau Riedl, Ministerpräsident Markus Söder hat sich entschieden, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger nicht zu entlassen. Er sagte, es gebe keinen Beweis, dass dieser das Flugblatt verfasst hat, er habe sich seitdem nichts zuschulden kommen lassen und habe Reue gezeigt. Fanden Sie das überzeugend?

Jasmin Riedl: Ich fand es nachvollziehbar, dass Markus Söder die Sachlage für die CSU und für sich so ausgelegt hat. In Bayern sagen viele genau das: Dass es 35 Jahre her ist, dass das Flugblatt geschrieben wurde, dass er sich seitdem nichts hat zuschulden kommen lassen. Viele erkennen auch an, dass Aiwanger sich entschuldigt hat. Dass die Opposition, also SPD, Grüne und FDP, nicht damit zufrieden sind, ist ebenso nachvollziehbar. Das ist eine Frage der politischen Perspektive.

Aber das sind zwei Ebenen: Die Sache selbst und die Frage: Was nützt mir, also was ist parteitaktisch klug? Also, wie viel Parteitaktik steckt in dieser Entscheidung?

Diese beiden Ebenen lassen sich in diesem Wahlkampf gar nicht mehr trennen. Alles, was Söder sagt, muss man auch vor dem Hintergrund des Wahlkampfes sehen. Und dabei ist die Lage für Söder und die CSU enorm schwierig.

Sie spielen darauf an, dass die CSU keinen anderen Koalitionspartner als Aiwangers Freie Wähler hätte.

Oder keinen anderen will. Söders Problem ist, dass er sich sehr früh auf die Freien Wähler als Koalitionspartner festgelegt hat. Das war zwar nachvollziehbar, weil beide Parteien sich programmatisch nahe sind, bereits zusammen regieren und gemeinsames Vertrauen aufgebaut haben. Außerdem ist es ja auch offen, ob er mit anderen Parteien, zum Beispiel der FDP, überhaupt eine Mehrheit hätte. Die frühe Festlegung hat aber auch einen strategischen Nachteil. Das zeigt sich jetzt: Wenn der gewünschte Partner Bockmist baut, kann man nicht einfach einen Rückzieher machen.

Hatte er also gar keine andere Wahl als Aiwanger zu halten?

Meines Erachtens ja. Er hätte ein enormes Problem, wenn er die Freien Wähler als Koalitionspartner verlöre. Aber es gibt noch einen anderen Punkt. Wir haben in Bayern eine durchaus relevante Gruppe, die einfach nicht den großen Skandal sieht. Die sagen: "Das ist 35 Jahre her, wir haben mit 17 auch mal Dinge gesagt, die heute besser nicht in der Zeitung stehen. Man sollte nicht alten Schmutz unterm Teppich hervorholen." Hinzu kommt, dass Aiwanger eine regelrecht eingeschworene Gefolgschaft hat. Viele wählen die Freien Wähler, weil Aiwanger genauso ist, wie er ist. Die sagen erst recht: "Lasst mal Fünfe gerade sein". Wenn Aiwanger jetzt abgesägt worden wäre, bestünde die Gefahr, dass er zum Märtyrer geworden wäre. Das hätte den Freien Wählern womöglich noch einen Schub gegeben. Das wäre fünf Wochen vor der Landtagswahl am 8. Oktober ein viel zu großes Risiko für Markus Söder gewesen.

Ihn zu halten, ist also die sichere Variante für Söder?

Genau. Es gibt aber noch eine Unbekannte in der Gleichung. Söder hat argumentiert, es gebe aktuell keinen Beweis, dass Aiwanger das Flugblatt verfasst hat, und er habe sich seitdem nichts zuschulden kommen lassen. Aber was ist denn, wenn sich die Beweislage in den kommenden Wochen ändert? Dann läge das Problem wieder auf dem Tisch.

Aiwangers Antworten auf die 25 Fragen waren sehr dünn, seine Entschuldigung empfanden viele als halbherzig und seine Reue kaufen ihm auch viele nicht ab, zumal er sich gleich als Opfer einer Hexenjagd dargestellt hat. Geht das spurlos an seinen Unterstützern vorbei?

Das Team Aiwanger ist sehr eingeschworen. Die sagen: "Der Aiwanger ist einer von uns." Sie sehen in ihm das Opfer, gegen den eine Kampagne läuft, die von grünenfreundlichen Journalisten im fernen München gesteuert wird. Aber es gibt ja auch immer noch Leute, die die Freien Wähler wählen, weil sie die Freien Wähler gut finden, und nicht nur wegen Aiwanger. Was ist mit denen? Da bin ich mir nicht so sicher. Das gilt auch für die Partei selbst. Vor der Wahl halten alle die Füße still. Es wird aber spannend, ob das nach dem 8. Oktober so bleibt.

Ist die Affäre jetzt ausgeräumt?

Den Eindruck wollte Söder heute erwecken. Seine Botschaft war für mich: Jetzt ist es gut und jetzt konzentrieren wir uns auf die wirklich wichtigen Dinge. Die Opposition wird das anders sehen und das Thema im Wahlkampf weiter ansprechen. Aber es kann ja auch durchaus sein, dass noch ein neues Puzzlestück auftaucht, das die ganze Angelegenheit wieder in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Für Söder beginnt also jetzt eine Zitterpartie, dass bis zur Wahl bloß nicht noch etwas Belastendes herauskommt.

Mit Jasmin Riedl sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen