Im Fall russischen Angriffs Baltikum schmiedet Massenevakuierungspläne
10.10.2025, 10:36 Uhr Artikel anhören
Der Suwalki-Korridor verbindet Litauen mit Polen und so mit den anderen europäischen Nato-Staaten.
(Foto: picture alliance/dpa)
Mit Vorräten und Zufluchtskarten wappnen sich die Balten gegen eine potenzielle Bedrohung durch Russland. Hunderttausende Menschen sollen im Ernstfall evakuiert werden. Besonders der Suwalki-Korridor könnte bei einem Angriff eine entscheidende Rolle spielen.
Die baltischen Staaten bereiten sich mit Plänen für die Evakuierung Hunderttausender Menschen auf einen möglichen russischen Truppenaufmarsch oder Angriff vor. Estland, Lettland und Litauen warnen seit Langem ihre Nato-Verbündeten vor einer russischen Aggression. Sie verweisen dabei auf russische Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und das Eindringen russischer Kampfflugzeuge und Drohnen in den Luftraum mehrerer EU- und Nato-Staaten in den vergangenen Monaten. Russland hat wiederholt erklärt, es hege keine Pläne, die Nato anzugreifen.
Die baltischen Staaten, die im Zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion annektiert und im Zuge von deren Zusammenbruch 1990 ihre Unabhängigkeit erklärten, haben ihre Verteidigungsausgaben seit Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine im Februar 2022 verdoppelt.
Estland und Lettland teilen eine Grenze mit Russland. Lettland, Litauen und Polen grenzen an Belarus, das eng mit Russland verbündet ist und bei dessen Invasion der Ukraine als Aufmarschgebiet diente. Zudem liegt an der Ostsee zwischen Polen und Litauen die russische Exklave Kaliningrad.
Vorräte, Sammelpunkte, Zufluchtskarten
Allein in Litauen wird für eine mögliche Flucht von 400.000 Menschen aus der Grenzregion geplant. Die westlitauische Stadt Kaunas bereitet sich darauf vor, 300.000 Menschen in Schulen, Kirchen und Veranstaltungshallen unterzubringen. Ähnliche Anstrengungen werden in anderen Städten unternommen.
Laut Feuerwehr wurden Sammelpunkte bestimmt, Züge und Busse zugewiesen und Vorräte wie Toilettenpapier und Feldbetten in Lagerhäusern eingelagert. Wer mit dem Auto flieht, soll auf Nebenstraßen umgeleitet werden, um die Hauptstraßen für die eigenen Truppen freizuhalten. Es gibt bereits eine Karte, die die Städte zeigt, in denen die Menschen Zuflucht suchen können. Die Planungen wurden verstärkt, nachdem die drei baltischen Staaten im Mai eine engere Zusammenarbeit im Zivilschutz vereinbart hatten.
Die Szenarien reichen von Sabotageakten und einem plötzlichen Zustrom von Migranten bis hin zu einem direkten militärischen Angriff. "Es ist möglich, dass wir eine gewaltige Armee an den Grenzen des Baltikums sehen werden, mit dem offensichtlichen Ziel, alle drei Länder in drei Tagen bis zu einer Woche einzunehmen", sagte Renatas Pozela, der als Leiter der litauischen Feuerwehr an den Planungen beteiligt ist.
Suwalki-Korridor ist empfindliches Ziel
Eine besondere Sorge gilt dem sogenannten Suwalki-Korridor, dem Landstreifen, der Litauen mit Polen und so mit den anderen europäischen Nato-Staaten verbindet. Die Grenze ist etwa hundert Kilometer lang. Sie verläuft zwischen dem Dreiländereck Litauen-Polen-Belarus im Südosten und dem Dreiländereck Litauen-Polen-Russland - also Kaliningrad - im Nordwesten. Russland könnte versuchen, diese Verbindung zu durchtrennen.
Auch Estland plant für die Evakuierung eines Zehntels seiner 1,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Lettland schätzt, dass ein Drittel seiner 1,9 Millionen Menschen im Ernstfall ihre Häuser verlassen könnte.
Die Vorbereitungen seien eine "sehr beruhigende Botschaft an unsere Gesellschaft, dass wir bereit sind und planen", sagte der litauische Vize-Innenminister Kestutis Budrys. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht."
Quelle: ntv.de, lno/rts