Holt man so AfD-Wähler zurück? Beim "Stadtbild" legt Merz noch einen drauf


Merz lässt keine Zweifel daran: Mit der AfD soll es keine Zusammenarbeit geben. Zugleich setzt er in der "Stadtbild"-Debatte noch einen drauf.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Bundesregierung findet, sie mache einen guten Job - doch die meisten Menschen im Land sehen das anders. Stattdessen feiert die AfD Umfrageerfolge. Am Wochenende hielt die CDU Kriegsrat. Jetzt schaltet Kanzler Merz auf Attacke gegen die AfD.
Friedrich Merz wirkt entspannt, als er an diesem Vormittag ans Rednerpult im Konrad-Adenauer-Haus schreitet. Wie immer hat er ein Lächeln aufgesetzt, denn am Anfang einer Pressekonferenz machen die Fotografen immer besonders viele Bilder. Gründe, unruhig zu werden, gäbe es schon: Schlechte Umfragewerte für die Union, eine neue Debatte zum Umgang mit der AfD, ein ziemlich dumm gelaufener Wehrdienst-Aufschlag, so könnte man eine Aufzählung beginnen. Rezession, Rentenprobleme, Haushaltslöcher, so ließe sie sich fortsetzen.
Reicht eigentlich, um ernst zu gucken. So wie es NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Unionsfraktionschef Jens Spahn tun, die die Pressekonferenz von der Balustrade weiter oben verfolgen. Seit vergangener Woche gibt es noch ein Problem-Thema: die "Stadtbild"-Debatte, die Merz vergangene Woche auslöste. Bei einem Termin in Potsdam sagte er, seine Regierung habe die Zahl der Asylbewerber gedrückt, aber man sehe das Problem noch "im Stadtbild", zum Beispiel an den Bahnhöfen.
Das stieß vielen ziemlich sauer auf. Denn ob gewollt oder nicht, Merz schien alle Asylbewerber, ja vielleicht sogar alle Migranten, mit den Drogenabhängigen, Alkoholikern und Kleinkriminellen in einen Topf zu werfen, die an deutschen Bahnhöfen herumhängen. Ganz dünnes Eis also, der Rassismus-Vorwurf ließ nicht lange auf sich warten. Am Wochenende gab es sogar eine Demo am Brandenburger Tor dagegen. Eine Demonstrantin warf ihm bei ntv vor, Rechtsextremismus "nachzuplappern".
Klare Ansage: Nicht mit der AfD
An diesem Montag hat Merz zur Pressekonferenz geladen, weil er das Gegenteil vorhat - die AfD bekämpfen. Am Sonntag hatte er sich mit der CDU-Spitze nach Berlin-Grunewald zurückgezogen, um über die Konkurrenz von rechts zu reden, die seit Wochen im Trendbarometer von RTL und ntv vor den Unionsparteien CDU und CSU liegt. Dazu hatte sich die Partei den Psychologen und Buchautor Stephan Grünewald eingeladen. Eine Erkenntnis: Deutschland brauche Orte, an denen sich die Menschen begegnen, sagt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der am Rednerpult neben Merz steht. Wenn alle nur im eigenen Saft schmoren, in den eigenen sozialen Netzwerken unterwegs sind, verstärken sich Wut und Hass nur. Nicht gerade ein fruchtbarer Boden für Dialog, Verständnis und Toleranz.
Sicher eine richtige Erkenntnis, aber auch nicht bahnbrechend neu. So könnte man auch die anderen Botschaften zusammenfassen, die Merz zur AfD mitgebracht hat. Zuallererst will er offenbar dem Eindruck entgegentreten, mit der AfD könnte die CDU einfacher eigene Programmpunkte durchsetzen als etwa mit der SPD. "Nein, meine Damen und Herren, das ist nicht so", sagt er entschieden. "Die ausgestreckte Hand der AfD ist eine Hand, die uns vernichten will", warnt er. Die AfD stelle nicht nur die letzten zehn Jahre infrage, sondern auch die Jahre davor. "Es trennen uns nicht nur Details. Es trennen uns von der AfD grundsätzliche Fragen und Überlegungen." Große Beispiele wären die Haltung zu EU und Nato - und eben die wesentlich differenziertere Haltung zu Migration.
Damit versucht Merz auch einen Brand auszutreten, der im Vorfeld der CDU-Klausur aufgeflammt war. Im "Stern" hatten zwei ehemalige Unions-Promis, Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und Ex-Generalsekretär Peter Tauber, dafür geworben, die AfD inhaltlich zu stellen, aber nicht mehr jede Abstimmung von der Zustimmung der Rechtspopulisten abhängig zu machen. Anschließend gab es mehrere Wortmeldungen, etwa von den CDU-Fraktionsvorsitzenden aus Thüringen und Sachsen, Andreas Bühl und Christian Hartmann, die als Zustimmung gedeutet wurden. Bühl distanzierte sich dann davon und sagte, er habe damit nicht die Brandmauer infrage stellen wollen.
"Inhaltlich klar abgrenzen"
Aber ein bisschen wirkte es so, als sei der Geist aus der Flasche entwichen. Denn insbesondere in den ostdeutschen Ländern sind die Übergänge zwischen CDU und AfD mitunter fließend. Die Abgeordnete Saskia Ludwig ist so ein Fall - sie forderte gerade erst in der "Bild"-Zeitung, AfD-Abgeordneten "erstmal ihre demokratischen Rechte zuzugestehen", wie Ausschussvorsitze und Vizepräsidenten. Ludwig hatte sich im Sommer mit Alice Weidel am Rande einer Veranstaltung in Budapest getroffen und sich schon davor offen für eine Koalition mit der AfD gezeigt.
Davon will Merz nichts wissen. "Wir werden uns inhaltlich sehr klar abgrenzen", sagt er im Adenauer-Haus. Der AfD wolle die CDU eine erfolgreiche Regierungsarbeit entgegensetzen. "Wenn wir gemeinsam erfolgreich regieren, wird es keine Notwendigkeit für die sogenannte Alternative für Deutschland geben", sagt er. Die Frage ist nicht nur wegen der Umfragen aktuell - sondern auch mit Blick auf das kommende Jahr. Dann wird in fünf Bundesländern ein neuer Landtag gewählt - in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Berlin hat die AfD keine Chance auf den Sieg. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern dagegen schon. Mehr noch, sie liegt dort klar vorn.
Merz sagt das, was er sagen muss, was er immer sagt: "Wir wollen und wir können bei allen diesen Wahlen die stärkste politische Kraft sein und bleiben." Auch wenn man in den beiden Ost-Ländern noch aufholen müsse. "Die AfD wird wahrscheinlich der Hauptgegner sein", sagt Merz. Auf Nachfrage fügt er - stark vereinfachend - hinzu: Er habe mal die Grünen als Hauptgegner bezeichnet - und dann hätten sie ein schlechtes Wahlergebnis eingefahren. "Ich kann nur jedem raten, es ernst zu nehmen, wenn wir jemanden als Hauptgegner bezeichnen, dann bekämpfen wir ihn wirklich." Deutlicher kann der CDU-Chef kaum werden.
Nicht um die Themen "drumherumschwurbeln"
Sich klar von der AfD abgrenzen, gut regieren, die Brandmauer hochhalten - das sagt die Union seit Jahren. Wobei ihr Kritiker vorwerfen, selbst die Themen der Rechten mit groß gemacht zu haben: die Angst vor Migranten, zum Beispiel. Merz sieht das anders - es gehe ihm darum, das Problem mit der Migration aus der Mitte der Gesellschaft heraus zu lösen, sagt er häufig. Ohne Schaum vor dem Mund.
Doch den hatten dann seine Gegner, wegen der Sache mit dem Stadtbild. Merz hat sich vorgenommen, jetzt nicht zurückzurudern. Im Gegenteil, er setzt noch einen drauf: "Wenn Sie Kinder haben und wenn unter diesen Kinder Töchter sind, fragen Sie die mal, was ich gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort. Ich habe gar nichts zurückzunehmen. Wir müssen daran etwas ändern." Später sagt er, viele Zuschriften und Nachrichten hätten ihn bestätigt. "Ich werde nicht zu denen gehören, die um solche Themen drumherumschwurbeln und nicht zu klaren Äußerungen in der Lage sind, wenn es darum geht, Probleme anzusprechen."
Was wollte er damit sagen? Vielleicht: "Mädchen können nachts nicht mehr über die Straße gehen, denn dann kommen die bösen Ausländer und vergewaltigen sie"? Oder doch eher: "Wir haben ein Kriminalitätsproblem an Bahnhöfen, auch durch Ausländer, und wir wollen etwas dagegen tun"? Ersteres würde Alice Weidel freudestrahlend unterschreiben, Letzeres wäre die Variante: ohne Schaum vorm Mund. Merz blieb doppeldeutig, ob bewusst oder nicht. Gewinnt man so AfD-Wähler zurück? Oder bleiben die beim Original? Fakt ist wohl eines: Merz weckt Erwartungen, was die Lage an Bahnhöfen angeht. Und wie alles, was mit der Bahn zu tun hat, sind auch die schwer zu erfüllen.
Quelle: ntv.de