Verlässt die FDP die Regierung? Christian Lindner steckt in der Ampel-Zwickmühle
05.09.2024, 17:06 Uhr Artikel anhören
Seit der Beteiligung an der Ampel-Regierung erfolglos: Christian Lindner und die FDP
(Foto: picture alliance/dpa)
Die FDP hat seit der Bundestagswahl 2021 nichts mehr zu feiern, Niederlage reiht sich an Niederlage. Inzwischen wird sogar Christian Lindner angezählt. Der Parteichef ist in einer Zwickmühle: Weiter machen in der Ampel oder die Koalition verlassen?
Seit drei Jahren gibt es für die FDP bei Wahlen durchgehend nichts mehr zu feiern. Bei der Bundestagswahl 2021 holte die Partei 11,4 Prozent der Stimmen und bildete danach zusammen mit SPD und Grünen die erste Ampel-Bundesregierung in der Geschichte des Landes. Danach ging es nur noch steil bergab. Der neuerliche Tiefpunkt: In Thüringen ist die Partei am Sonntag bei der Landtagswahl krachend aus dem Parlament geflogen - mit 1,1 Prozent der Stimmen. In Sachsen war die FDP mit 0,9 Prozent so gut wie gar nicht mehr messbar. Die Liberalen haben in beiden Bundesländern nicht um wertvolle Landtagssitze, sondern mit der Tierschutzpartei um hintere Plätze im Bereich "Sonstige" gekämpft.
Die Aufarbeitung des doppelten Wahl-Debakels hat längst angefangen. Vizeparteichef Wolfgang Kubicki ging direkt in die Offensive. Die Ampel habe ihre "Legitimation verloren" und würde der FDP "definitiv schaden", wetterte Kubicki bei X. "Wenn ein beträchtlicher Teil der Wählerinnen und Wähler in dieser Art und Weise die Zustimmung verweigert, muss das Folgen haben."
Das sieht auch der FDP-Spitzenkandidat in Thüringen so. Thomas Kemmerich, der ehemalige Kurzzeit-Ministerpräsident im Freistaat, hat nicht mit Kritik gespart. "Die Ampel schadet in meinen Augen Deutschland, sie schadet Thüringen und sie schadet der FDP. Sie wird auch weiterhin großen Schaden anrichten." Die Bevölkerung würde "nicht einsehen, dass wir diese Regierung tragen", sagte Kemmerich bei der Pressekonferenz am Tag nach der Wahl-Klatsche. Die Ampel würde nur "den Populisten auf der linken und rechten Seite" helfen.
Basis-Gruppierung spricht von "Trümmerkurs"
Die Diskussion über einen Ampel-Austritt der FDP gibt es nicht zum ersten Mal. In den vergangenen Jahren sah es oft danach aus, als würden die Liberalen nur auf den einen entscheidenden Grund warten, um das ungeliebte Bündnis zu verlassen. Die Koalition stand schon mehrmals kurz vor dem Aus, hat sich aber immer wieder zusammengerauft.
Diesmal ist die Diskussion aber nochmal schärfer. Nicht nur von Kubicki und Kemmerich kommen deutliche Worte. An der Basis der Partei schlägt vor allem die Gruppierung "Weckruf" Alarm. Ihre Forderung: Entweder tritt die FDP aus der Ampel-Regierung aus - oder Parteichef Christian Lindner tritt zurück. "Wir respektieren und achten Ihren Einsatz für die Rückkehr der FDP in den Bundestag", formuliert die Gruppe in einem Schreiben, das mehreren Medien vorliegt. "Wenn Sie nun aber nicht erkennen, dass Sie uns mit einem Fortführen dieses Trümmerkurses wieder hinausführen, bitten wir Sie zu gehen."
Die "Weckruf"-Gruppe hatte im Herbst vergangenen Jahres eine Mitgliederbefragung über den Austritt aus der Regierung erwirkt. Eine knappe Mehrheit der teilnehmenden FDP-Mitglieder sprach sich bei der für die Parteispitze nicht bindenden Abstimmung aber dagegen aus.
Ampel-Beteiligung "selbstkritisch aufarbeiten"
Und auch der angeschlagene Parteichef und Bundesfinanzminister will weiter an der Ampel festhalten. Auch wenn Lindner am Tag nach der Wahl auf der Pressekonferenz sagte, dass sich die wegen der Beteiligung an der "äußerst ungeliebten" Ampel in der "Defensive" befindet. Bei der Sitzung des Parteivorstands habe Lindner einen kämpferischen und entschlossenen Eindruck gemacht, berichtet "Table Media". Ein Koalitionsaustritt sei jedenfalls kein Thema gewesen. Unterstützung für den Kurs kommt von Fraktionschef Christian Dürr. "Nach einem bitteren Wahlabend hinzuwerfen und sich aus der Verantwortung zu stehlen, ist keine Option für die FDP", sagte Dürr den Funke-Zeitungen.
Zumindest vorerst will Lindner die Füße stillhalten, weil in Brandenburg am 22. September auch noch gewählt wird. Erst danach könnte das Thema nochmal auf die Tagesordnung kommen. Die Beteiligung an der Ampel müsse "selbstkritisch aufgearbeitet" werden, formulierte Lindner am Montag auf der Pressekonferenz neben den Spitzenkandidaten aus Thüringen und Sachsen stehend, Thomas Kemmerich und Robert Malorny.
Wie ergebnisoffen wird die Aufarbeitung laufen? Ist der Austritt aus der Bundesregierung tatsächlich ein denkbarer Schritt? Hat die Partei den Absprung verpasst und muss sich noch ein Jahr durchwurschteln? Oder steht der Parteichef tatsächlich auch zur Debatte?
Seit der Bundestagswahl flog die FDP aus vier Landtagen
Seit der Bundestagswahl hat die FDP keinen einzigen Wahlerfolg mehr eingefahren. Bei der Landtagswahl im Saarland 2022 gewannen die Freidemokraten zwar Stimmen, für den Landtag hat es aber nicht gereicht. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen schaffte die FDP zwar den Einzug ins Landesparlament, verlor aber etliche Sitze. In Niedersachsen flog die FDP im Oktober 2022 aus dem Landtag, im Jahr darauf auch in Bayern und in Berlin. Bei den Wahlen in Bremen und Hessen schaffte die FDP jeweils nur hauchdünn den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Bei der Europawahl im Juni dieses Jahres kam die FDP immerhin auf 5,2 Prozent, und konnte damit ihr Ergebnis von 2019 ungefähr halten. Dann kamen die beiden Wahlen in Thüringen und Sachsen am vergangenen Wochenende und mit ihnen ein noch tieferer Tiefpunkt.
Angesichts dieser dramatischen Entwicklung wäre eine Personaldebatte eigentlich nicht verwunderlich. Abseits der Basis-Initiative wagt sich in der Partei aber niemand aus der Deckung. Lindner hat seinen Chefplatz nach wie vor sicher.
Aber ob er die Partei aus dem Schlamassel holen kann? Der Finanzminister steckt in einer Zwickmühle. Einerseits lässt auch Lindner selbst selten eine Möglichkeit aus, das eigene Regierungsbündnis zu kritisieren. Andererseits ist er gegen einen Austritt aus der Koalition - das wäre ansonsten nicht gut für die Wirtschaft, argumentiert er. "Die deutsche Wirtschaft muss zurück auf den Erfolgspfad. Deshalb werden wir nicht zulassen, dass es zu Verzögerungen oder Verwässerungen bei unserer Wachstumsinitiative kommt. Wir brauchen eine Politik, die den Menschen das wirtschaftliche Vorankommen erleichtert".
Wer blockiert wen?
Ob das so klappt, wie es sich Lindner wünscht? Eine zielgerichtete Zusammenarbeit der Ampel-Partner mit weniger Streit ist auch für das letzte gemeinsame Regierungsjahr so gut wie ausgeschlossen. So genervt die FDP von ihren Koalitionspartnern ist, so genervt sind Grüne und Sozialdemokraten von der FDP. Die SPD werde es sich "nicht bieten lassen, dass zentrale vereinbarte Projekte einfach ausgesessen werden", kritisiert ihr Generalsekretär Kevin Kühnert die Liberalen und nimmt Bezug auf das Rentenpaket der Regierung. Von Parteien, die krachend am Einzug in Landtage gescheitert sind, werde man sich nicht "auf der Nase herumtanzen" lassen.
Für Lindner bleibt die Lage schwierig. Die Koalitionspartner kritisieren die FDP schon lange als Blockade-Partei. Der Tenor: Die kleinste Ampel-Partei setzt zu viele Dinge erfolgreich nicht durch und muss gezähmt werden. Die FDP-Wählerschaft dürfte sich das Gegenteil wünschen: mehr Durchsetzungskraft und mehr FDP-Handschrift in der Ampel.
Die Bundesregierung verlassen? Könnte kurzfristig bei frustrierten FDP-Wählern gut ankommen. Wenn aber die Lesart entsteht, die FDP hätte Deutschland in ein Neuwahl-Chaos gestürzt, könnte ein Austritt auch negativ auf die Partei abstrahlen.
Die Regierungsarbeit fortsetzen? Braucht viel Überzeugungskraft, um die frustrierte FDP-Wählerschaft mitzunehmen. Steigende Umfragewerte scheinen in der aktuellen Konstellation jedenfalls kaum denkbar. In den aktuellen Sonntagsfragen dümpeln die Freidemokraten um die Fünf-Prozent-Marke herum - mal darüber, mal darunter. Wäre jetzt Bundestagswahl, müssten die Freidemokraten um den erneuten Einzug ins Parlament bangen.
Wann die FDP mal wieder etwas zu feiern hat, ist ungewiss. Auch bei der Landtagswahl in Brandenburg am 22. September dürfte sie es wieder einmal schwer haben.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de