Wagner-Aufstand in Russland "Das ist der Anfang vom Ende"
26.06.2023, 05:15 Uhr Artikel anhören
"Wir müssen jetzt Putins Schwäche nutzen", sagt Roderich Kiesewetter.
(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)
Am Freitagabend ruft Wagner-Chef Prigoschin zum Sturm auf Moskau, am Samstagabend pfeift er seine Männer wieder zurück. Der Showdown im Kreml bleibt aus. Moskau verliert über die Ereignisse nicht viele Worte. Doch Präsident Putin ist angeschlagen, da sind sich die Gäste bei Anne Will einig.
Eigentlich sollte es bei Anne Will am Sonntagabend um die deutsch-chinesischen Konsultationen in der vergangenen Woche gehen. Doch dann rebelliert in der Nacht zum Samstag die Wagner-Söldnertruppe in Russland. Schnell dringt sie in die südrussische Stadt Rostow am Don vor, gelangt fast ohne Probleme bis nach Woronesh. Dann der Stopp, etwa 200 Kilometer vor Moskau. Der Oberbefehlshaber der Wagner-Armee, Jewgeni Prigoschin, verhandelt. Wenige Stunden zuvor hatte Russlands Präsident Wladimir Putin eine Rede gehalten, die das russische Fernsehen bis in den Abend hinein in Dauerschleife wiederholt. Darin spricht er von einer Meuterei von Neonazis, die dafür bestraft würden.
Nach den Verhandlungen am Samstagnachmittag steht fest: die rebellierenden Wagner-Söldner werden amnestiert, Wagner-Chef Prigoschin geht ins belarussische Exil. Die Verhandlungen führt jedoch nicht Putin, sondern der belarussische Präsident Lukaschenko. Und so sprechen die Gäste bei Anne Will nicht über China, sondern über Russland. Welche Folgen hat der Aufstand? Und welche Konsequenzen sollte der Westen ziehen?
"Wenn ich Prigoschin wäre, würde ich jede Nacht dreimal das Bett wechseln"
Zu den Gästen gehört Carlo Masala von der Bundeswehruniversität in München. Der hatte Prigoschins Rückzug zuvor bei ntv damit erklärt, dass die erhoffte Unterstützung aus dem Sicherheitsapparat und der Armee ausgeblieben sei. Auch wenn der Militärunternehmer nun ins belarussische Exil gehe, bleibe er der Anführer der Wagner-Truppe. "Er wird vermutlich versuchen, aus Belarus Politik zu machen. Aber das wird Präsident Lukaschenko nicht zulassen. Das Thema Prigoschin ist vorbei." Bei Anne Will geht Masala sogar noch weiter. "Wenn ich Prigoschin wäre, würde ich jede Nacht dreimal das Bett wechseln in den nächsten drei Jahren", sagt er. Ganz falsch liegt er sicher nicht. Der russische Geheimdienst hat schon des Öfteren demonstriert, dass das Leben eines untreuen Russen nicht viel wert ist.
Bei Anne Will äußert sich Masala auch zu Putin: "Der Mann, der sich gerne mit nacktem Oberkörper zeigt und auf Bären und Pferden reitet, wird von einer Privatarmee in die Ecke gedrängt. Das ist für ihn ein Schlag ins Gesicht." Im Fundament von Putins Machtapparat seien am Samstag Risse sichtbar geworden.
"Putins Macht bröckelt", sagt auch SPD-Chef Lars Klingbeil. Putin habe seine militärischen Ziele in der Ukraine nicht erreicht, und es gelinge ihm nicht, die korrupten Eliten in seinem Land zu bekämpfen. Das werde am Ende dazu führen, dass Putin seine Macht weiter verlieren werde. "Wie schnell das geht, weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass der Aufstand am Samstag ein Wendepunkt in der russischen Geschichte und vielleicht des Krieges in der Ukraine ist."
"Putin handelt auf Druck"
Für den CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter zeigen die Ereignisse vom Samstag: "Putin handelt auf Druck. Er hat eine Schwäche erlebt, und dann verhandelt er." Das lasse für den Krieg in der Ukraine hoffen. Die russischen Streitkräfte seien schwach. "Wir wissen, dass sie zwar das Personal haben, aber nicht die Ausstattung." Die Verhandlungsbereitschaft gegenüber Prigoschin müsse für den Westen ein Signal sein. "Das ist der Anfang vom Ende, und es ist für uns ein Appell: Wir dürfen bei der Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen, und wir müssen jetzt Putins Schwäche nutzen, damit sein Gravitationszentrum, also die Krim, befreit werden kann." Dazu müssten die russischen Versorgungslinien zerstört werden, aber nicht blutig, sondern mit weit reichenden Waffen, Raketen und Kampfflugzeugen. Das müsse die Konsequenz des Westens sein, mit Blick auf den NATO-Gipfel im litauischen Vilnius am 11. und 12. Juli. Gleichzeitig sei es die Aufgabe Europas, die USA bei ihren Waffenlieferungen zu entlasten.
Europa werde Waffen liefern, sagt Klingbeil. Zudem sollen bis Ende des Jahres 10.000 ukrainische Soldaten ausgebildet werden. Die Bundesregierung beschäftige sich damit, was man sonst noch leisten könne. Kiesewetter weiß, was: "Es müssen weitere finanzielle Mittel freigemacht werden für die Produktion." Das sei die Aufgabe der Bundesregierung und ihrer Partner in Europa. "Das ist eine schwere politische Entscheidung", so Kiesewetter, "und ich erwarte vom Bundeskanzler, dass er sich da klarer positioniert."
Quelle: ntv.de