Kanzler-Talk bei Anne Will "Das ist faktisch falsch, Herr Laschet"
10.05.2021, 11:39 Uhr
Neubauer fühlte Laschet bei Anne Will auf den Zahn.
(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)
Kann die Union noch Kanzler? In der Talkrunde bei Anne Will ringt Armin Laschet damit, die passenden Antworten zu liefern. Beim Thema Klimapolitik gerät er heftig mit der "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer aneinander - und muss ordentlich einstecken.
Hat die CDU nach 16 Jahren an der Regierung noch frische - und vor allem die richtigen - Ideen und ist Armin Laschet dafür der bestmögliche Anwärter? Der Kanzlerkandidat der Union erhält am Sonntagabend in der ARD-Talkshow bei Anne Will die Bühne, die Bevölkerung zu überzeugen. Laschet versucht nicht anzuecken und ringt um eine klare Linie. Beim Thema Klimapolitik wird es hitzig.
"Wir haben geklagt, weil über Jahre und Jahrzehnte Deutschland und die CDU ökologische Krisen produziert und nicht abgewendet haben", prangert Luisa Neubauer in der Talkrunde den Nachholbedarf der Christdemokraten in Sachen Klimaschutz an. Die erfolgreiche Klage der "Fridays for Future"-Aktivistin und ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter vor dem Bundesverfassungsgericht kippte jüngst Teile des Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung. Schnell besserte Schwarz-Rot daraufhin im Gesetzestext nach - und auf einmal macht die Union auf Klimapartei. Schließlich stehen die Grünen (Umfragen zufolge, auf die Laschet bei Anne Will nichts geben will) schon mit den Umzugskisten vor dem Kanzleramt.
Das alles missfällt Neubauer sichtlich. Engagiert attackiert sie Laschet: "Auch jetzt werden wieder nur Klimaziele gesetzt, die dem Pariser Abkommen nicht gerecht werden." Der CDU-Vorsitzende will antworten, doch die Aktivistin ist mit ihrem Tadel noch nicht fertig. Ob die Regierung überhaupt bereit sei, "1,5-konforme Politik zu machen", will sie wissen. Also Politik, die es sich als Ziel setzt, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Laschet antwortet, dass die gesetzten Ziele des Pariser Abkommens umgesetzt werden und bis 2050 netto null Emissionen erreichen werden sollen.
Laschet wirkt überfordert
Doch dann fliegen die Fetzen, Neubauer weist Laschet zurecht: "Das Ziel bis 2050 gilt nur global und nicht für Deutschland", erklärt die Aktivistin, die auch Mitglied bei den Grünen ist. Deutschland müsste die netto null Emissionen eher bis 2030 oder 2035 erreichen. "Wir müssen endlich über Emissionsbudgets sprechen", warnt sie im Hinblick auf die wohl wichtigste Zahl der Klimapolitik, die die erlaubte Restmenge an CO2-Emissionen für die Erde definiert, wenn die Erderhitzung auf eine bestimmte Temperatur begrenzt werden soll. Doch Laschet wirkt überfordert mit dem Thema und seiner angriffslustigen Kontrahentin. Der CDU-Mann bleibt vage, man müsse eben "in den Zielen ambitiöser werden“.
"Sie müssen nach vorne schauen und nicht zurück", fährt Neubauer Laschet an. Dieser will aber "noch eine Stahlindustrie in Deutschland haben". Schließlich bringe es dem Klimawandel nichts, wenn die Industrie nach China abwandere und dort weitaus klimaunfreundlicher betrieben würde. "Wooow", entfährt es Neubauer. "Sie hätten ja alle Möglichkeiten gehabt, in den letzten 15 Jahren ein Umfeld zu schaffen" für grüne Industrie, faltet die Aktivisten den Kanzlerkandidaten regelrecht zusammen: "Stattdessen haben Sie den Kohleausstieg verschleppt und der Industrie Milliarden hinterhergeworfen." Laschet weist sie fast schon kleinlaut daraufhin, dass er aber nicht an der Macht gewesen sei in Berlin und sackt immer mehr auf seinem Stuhl zusammen.
Aber die Aktivistin ist vorbereitet und lässt ein regelrechtes Faktengewitter bezüglich Klimaverfehlungen im von Laschet regierten Nordrhein-Westfalen los. Diesmal reagiert der CDU-Vorsitzende mit einem Gegenangriff. Die Grünen vor ihm hätten die "falsche Prioritätenreihenfolge" gehabt, weil sie aus der Kernenergie und nicht aus Kohle rausgewollt hätten. "Die Grünen haben das in NRW in der Regierung mitgetragen", sagt er. "Das ist faktisch falsch, Herr Laschet", kontert Neubauer. Letztlich muss Talkmasterin Anne Will eingreifen und rettet damit den CDU-Mann - der im NRW-Wahlkampf 2017 noch Wahlkampf gegen Windräder machte - bei einem Thema, das ihm sichtlich (immer noch) nicht liegt.
Bloß niemandem auf die Füße treten
Laschet muss zwar als Kanzlerkandidat einer Volkspartei das große Ganze im Blick behalten. Doch den CDU-Wählern dürfte auch nach der Talkrunde nicht ganz klar sein, wofür der auserkorene Merkel-Nachfolger steht. So sehr Will versucht eine klare Haltung aus ihm herauszukitzeln, so sehr gibt er sich weltmännisch. Bloß niemandem auf die Füße treten.
Pandemie-Folgen? "Das ist eine wirtschaftliche Frage", sagt Laschet, "da werde ich einbringen, was ich als Regierungschef eines großen Industrielandes seit Jahren mache". Abneigung gegen ihn aber Zuneigung für Markus Söder und Friedrich Merz in Sachsen-Anhalt, wo bei den Wahlen in vier Wochen der nächste Realitätscheck stattfindet? "Die Klischees stimmen einfach nicht"; "Ich sehe das mit ziemlicher Ruhe"; "Die Menschen im Osten sind oft enttäuscht worden, da muss man Gespür haben." Warum gibt es bisher weder ein Wahlprogramm noch ein mögliches Minister-Team? Die CDU habe das so verabredet, damit man auch noch auf neue Sachen reagieren könne, aber er wolle das schon bis Juni hinbekommen.
Warum also Kanzler? Dabei ginge es ihm um den europäischen Zusammenhalt, sagt Laschet, "finanziell und auch politisch". Und um soziale Gerechtigkeit und die Modernisierung des Landes. Wieder fliegen dem CDU-Mann Giftpfeile entgegen. Diesmal fragt aber die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch: "Warum ist diese Modernisierung nicht in den letzten 16 Jahren nicht geschehen?" Es reiche nicht nur Ziele vorzugeben, sondern Maßnahmen und Aufgaben müssten endlich genau definiert werden: "Daran hat es bisher katastrophal gefehlt".
Mini-Kritik an Merkel
Laschet windet sich, er möchte offenbar Kanzlerin Angela Merkel und ihre Politik nicht direkt kritisieren. Talkmasterin Will hakt nach, bis der Kanzlerkandidat sagt: "Wenn es jetzt nicht optimal ist, hätte man besser sein können." Aber Merkel hätte ja auch viele Krisen durchzustehen gehabt, schiebt Laschet schnell noch hinterher.
Für die Lockdown-müde Gesellschaft schafft es Laschet bei Anne Will nicht, sich als Krisenmanager zu profilieren. Es fehlt an Charisma, konkreten Plänen und Reformen - sowie bei Thema Klimapolitik an Expertise, Kompetenz und dem unbedingten Willen.
Ob Laschet die existenzielle Gefahr der Klimakrise verstanden hat, ist nach der Sendung nicht klar. Klar ist, der Kanzlerkandidat der Union möchte niemanden vergraulen, bleibt lieber vage und ahnt wohl schon, wie steinig sein Weg noch wird. Auf Anne Wills letzte Frage nach seinem Prozentziel bei der Wahl im September antwortet er: "Je mehr, desto besser."
Quelle: ntv.de