Politik

Jahrhundertthema zu "grün" Das war keine Klimawahl

Die Parteien der Veränderung - sie konnten keine Mehrheit gewinnen.

Die Parteien der Veränderung - sie konnten keine Mehrheit gewinnen.

(Foto: picture alliance / Goldmann)

Mehr als je zuvor wurde der Klimawandel im Wahlkampf thematisiert. Doch die Ergebnisse zeigen: Für notwendigen Klimaschutz gibt es keine Mehrheit. Das liegt auch daran, dass das Thema parteipolitisch wahrgenommen wird.

Obwohl am Freitag vor der Wahl mehr als 600.000 Menschen in Deutschland auf die Straßen gingen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, war das Thema bei der Bundestagswahl am Sonntag nur eines unter vielen. Eine "Klimawahl", wie von Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock angekündigt, war es nicht. Dieser Befund stützt sich nicht nur auf das Wahlergebnis der Grünen, sondern auch darauf, wie die anderen Parteien die Klimapolitik im Wahlkampf behandelt haben. Die von den Grünen angestrebte "Klimaregierung" wird es auch deshalb nicht geben, weil das Thema Klimaschutz für die Mehrheit der Wähler nicht von zentraler Bedeutung ist.

Klar, Klimawandel wurde noch nie in einem Wahlkampf so ausführlich diskutiert und besprochen. Alle Parteien bekennen sich zu den Pariser Klimazielen. Und jede demokratische Partei in Deutschland hatte mindestens ein Wahlplakat, das den Klimaschutz thematisierte. Dennoch gaben in der Woche vor der Wahl nur 18 Prozent der Wähler an, dass Umwelt und Klima die wichtigsten Themen in Deutschland sind. Das ergab die letzte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von RTL und ntv. Das Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mit vielen Toten und beispiellosen Schäden führte offenbar nicht dazu, dass eine breite Öffentlichkeit den Klimawandel als zentral ansah.

"Eine Klimawahl war es leider nicht", sagt die Wirtschafts- und Klimaexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Kemfert sieht das Problem aber nicht im Desinteresse der Bürger - die seien durchaus besorgt wegen des Klimawandels. Vielmehr sieht sie die Schuld bei den Parteien, die das Thema zu einem parteipolitischen Punkt gemacht hätten, und den Medien, die im Vorfeld der Wahl nicht genug Aufklärungsarbeit geleistet hätten. Es müsse analysiert werden, "warum im Jahr 2021 mit fortschreitendem Klimawandel, es trotz hervorragender Medien in diesem Land nicht gelingt, das Thema Klimawandel und Klimaschutz nicht als 'grünes Thema', sondern als das wichtigste Jahrhundertthema zu adressieren", sagt Kemfert im Gespräch mit ntv.de.

"Ein Thema, ähnlich wie es die Grünen haben"

Natürlich hatten die Grünen ein Interesse daran, den Klimaschutz als "grünes Thema" darzustellen. Ihr Erfolg dabei ist zweischneidig: Einerseits schafften sie es, die anderen Parteien dazu zu bewegen, das Thema auf die Tagesordnung zu nehmen. Zugleich wurde Klimapolitik so stark mit den Grünen identifiziert, dass ein echter Wettbewerb um die besten Ideen hier kaum stattfand. Als es für die Union im Wahlkampf immer schlechter aussah, forderte der CDU-Politiker Herbert Reul, seine Partei brauche "ein Thema, ähnlich wie die Grünen das Klima haben". Diese Einschätzung dürfte ein Grund gewesen sein, warum dem Klima bei den Triellen und anderen Formaten nur wenig Raum gegeben wurde: Die Moderatorinnen und Moderatoren wollten vermutlich den Eindruck vermeiden, dass sie den Grünen einen Vorteil verschaffen wollten.

Auch mit Blick auf die Wahlprogramme der Parteien war diese Wahl nicht wirklich eine Klimawahl. Das DIW hat die klimapolitischen Vorschläge der Parteien ausgewertet - und ein ernüchterndes Fazit gezogen: Keine Partei würde mit den vorgeschlagenen Wahlprogrammen das im Klimaschutzgesetz festgelegte Ziel erreichen, die Treibhausgase bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.

Am nächsten kommen dem noch die Grünen, aber auch ihre Maßnahmen sind nicht ehrgeizig genug, um das auf Druck des Bundesverfassungsgerichts nachgeschärfte Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. An zweiter Stelle steht im DIW-Ranking die Linkspartei, gefolgt von Union und SPD auf dem gleichen Platz.

Eine Mehrheit will keine Veränderung

Offenbar schreckten alle Parteien vor dem Umbruch zurück, der für eine Klimatransformation nötig ist. Trotz des Einbruchs der Union kann man das Wahlergebnis so interpretieren: Die Wähler wollen allenfalls moderate Veränderungen. Das Thema Corona dürfte die diesbezügliche Bereitschaft der Bevölkerung noch geschmälert haben. Genau das haben die beiden Volksparteien angeboten - vorsichtige Maßnahmen, die nicht zu sehr auf einen radikalen Wandel drängten.

Während die Grünen Plakate mit Slogans wie "Zeit für Veränderung" hängten und die FDP mit dem Spruch "Wie es ist, darf es nicht bleiben" warb, setzte die SPD auf "sichere Arbeitsplätze & Klimaschutz". Die Parteien, die einen neuen Kurs einschlagen wollen, Grüne und FDP, konnten zwar zulegen. Eine Mehrheit fanden sie jedoch nicht.

Das gilt vor allem für die ältere Generation, deren starkes demografisches Gewicht hierzulande dafür sorgt, dass die über 65-Jährigen die Wahl entscheiden. Die Jüngeren dagegen wandten sich deutlich gegen ein "Weiter so". Laut einer Nachwahlbefragung von Infratest dimap wählten 23 Prozent der unter 25-Jährigen die Grünen. Knapp dahinter folgte die FDP mit 21 Prozent. Die SPD erreichte nur Platz drei, mit 15 Prozent. Bei den Erstwählern lag die FDP sogar gemeinsam mit den Grünen mit jeweils 23 Prozent auf Platz eins.

Doch selbst unter den Jungwählern war die Bundestagswahl keine Klimawahl: In der DIW-Auswertung der Wahlprogramme schnitt die FDP noch schlechter ab als Union und SPD. Ausgerechnet Grüne und Liberale müssen sich nun einigen, mit wem sie eine neue Regierung bilden werden. Ob das eine "Klimaregierung" wird, ist nun eine Frage der Koalitionsverhandlungen. Wenn die Grünen in diesen Gesprächen ein starkes Mandat für ihre Ziele reklamieren, dann nicht, weil sie bei der Bundestagswahl so erfolgreich gewesen wären - sondern einfach deshalb, weil sie gebraucht werden.

Quelle: ntv.de

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