China-Expertin Godehardt "Der Krieg ist überhaupt nicht im Interesse der Chinesen"
01.04.2022, 18:39 Uhr
Die chinesische Position zum Ukraine-Krieg beschreibt Politikwissenschaftlerin Godehardt als eine "pro-russische Neutralität".
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Die Erwartungen an den EU-China-Gipfel sind gering. Über allem schwebt die Frage, welchen Beitrag China zu einem Frieden in der Ukraine leisten könnte. Nadine Godehardt von der Stiftung Wissenschaft und Politik analysiert im Interview mit ntv.de die chinesische Interessenlage.
ntv.de: Die Erwartungen an den virtuellen Gipfel der EU mit China scheinen sehr gering zu sein. Wie sehen Sie das?
Nadine Godehardt: Die größte Leistung ist, dass dieser Gipfel überhaupt stattfindet und dies sagt bereits viel über den gegenwärtigen Stand der Beziehungen aus. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass man die Kommunikationskanäle offen hält, auch wenn die Positionen gerade zum Ukraine-Krieg sehr weit auseinanderliegen.
Das klingt jetzt so ein bisschen nach der alten Merkel-Schule, immer weiter reden und am Ende gibt es doch Krieg.
Das würde ich nicht so sehen. Die Positionen zum Ukraine-Krieg sind eindeutig. Die europäische Seite wird sehr deutlich fordern, dass China sich stärker von Russland distanziert. Man wird rote Linien benennen, etwa dass China keine Waffen liefert und die Sanktionen nicht unterwandert. Da wird schon eine deutliche Sprache gesprochen. Das ist etwas anderes als über Wirtschaftsabkommen zu reden. Das ist schon eine deutlich andere Atmosphäre, in der man sich trifft, als es noch unter Merkel der Fall war. Aber ich möchte betonen, es ist wichtig, dass man diese Kommunikationskanäle offen hält, weil China eben doch eine Rolle mit Blick auf die Ukraine spielt, auch geopolitisch.
Auf welcher Seite steht China in dem Konflikt?
China selbst will auf keiner Seite stehen. Aber diese Position ist natürlich nicht haltbar und aus europäischer Sicht ist das eine ganz klare Unterstützung der russischen Position. Was die chinesische Führung in erster Linie mit Russland teilt, ist das geopolitische Narrativ. Beispielsweise, dass die USA eine Mitschuld an dem Krieg in der Ukraine haben und dass auch die NATO-Osterweiterung ein Grund für diesen Krieg ist. Die chinesische und russische Führung treffen sich in ihren Sichtweisen darin, dass sie die Werte der internationalen liberalen Ordnung nicht unterstützen und eine eigene Ordnung mit eigenen Regeln durchsetzen wollen.
Hat China überhaupt ein Interesse an Frieden oder kann es ihm, zynisch formuliert, egal sein, was in Osteuropa passiert?
Nein, überhaupt nicht. Dieser Krieg ist überhaupt nicht im Interesse der Chinesen. Der Widerspruch in der chinesischen Position ist, dass Peking diesen Konflikt geopolitisiert und damit die Situation in der Ukraine ausblendet und auf der anderen Seite immer wieder sagt, dass die UN-Charta, also Prinzipien wie die Aufrechterhaltung der nationalen Integrität und Souveränität, respektiert werden müssten. Und das führt zu einem Schaukelkurs, der sich zu einer pro-russischen Neutralität einpendelt. Die strategische Partnerschaft zwischen China und Russland ist zwar nicht in Stein gemeißelt, aber nach einer Distanzierung Pekings von Moskau sieht es im Moment einfach nicht aus.
Das heißt, China will eigentlich Frieden, aber da es gegen die USA geht, steht man an der Seite Russlands?
Ja. Aber, das ist eine Sichtweise, die die Europäer natürlich nicht übernehmen können. Für uns ist dieser Krieg vor unserer Haustür. Er ist verbunden mit sehr vielen persönlichen Verbindungen. Wir erleben die Auswirkungen des Krieges direkt. Diese persönliche, emotionale Ebene wird in China nicht wahrgenommen, sondern es wird immer direkt geopolitisiert. Peking geht es letztlich um die Zukunft der internationalen Ordnung.
Warum hätte China denn ein Interesse am Frieden? Wegen der Weizen-Importe?
Man muss ganz klar sagen, dass die Chinesen einen schnellen Krieg sehr viel deutlicher unterstützt hätten. Was jetzt passiert, dieses durch die Sanktionen verschärfte globale Durcheinander, die Isolierung und Blockbildung, das ist nicht im Sinne Chinas. Und für Xi Jinping ist das in diesem für ihn so wichtigen Jahr sicherlich ein Dorn im Auge. Es kommt in gewisser Weise zu früh.
Warum?
In diesem Jahr steht der 20. Parteitag an, auf dem sich Xi Jinping weitere fünf Jahre als Generalsekretär der Kommunistischen Partei bestätigen lassen will. Es ist für die Legitimität der Kommunistischen Partei und Xis nach innen unglaublich wichtig, dass dieses Ereignis nicht gestört wird. Was in der Ukraine passiert, ist eine echte Störung. Für China haben die Ereignisse schon jetzt massive Folgen. Denn die Effekte der Sanktionen auf das internationale Wirtschafts- und Finanzsystem sind jetzt schon spürbar. Das sieht man am Anstieg der Preise von Energieressourcen genauso wie von Weizen und Mais. Diese wirtschaftlichen Auswirkungen sind absolut nicht im chinesischen Interesse. Und wir sehen zusätzlich jetzt durch den erneuten Corona-Ausbruch in China, dass das Land schon innenpolitisch sehr unter Druck ist, für Stabilität zu sorgen.
Welche Rolle spielt die Wirtschaft?
Wirtschaftlich müsste China eigentlich ein Interesse daran haben, diesen Krieg nicht zu unterstützen, sondern sich stärker an die Seite der EU und auch der USA zu stellen, das ist völlig klar. Wenn man sich zum Beispiel das Projekt der Neuen Seidenstraße anschaut, dann ist ein Ziel dabei auch die Verknüpfung von Europa und Asien. Dabei spielen Russland und auch die Ukraine zentrale Rollen. Und doch scheinen derzeit die strategischen Ziele wichtiger zu sein. Die Frage ist, ob das Pendel noch einmal in Richtung der Wirtschaftsinteressen ausschlägt.
Also der Krieg stört vor allem?
Ja, definitiv. Wenn sich der Krieg auf die Ostukraine beschränkt hätte, wäre das eine Ablenkung von China gewesen, die der Führung sehr entgegengekommen wäre. Europa hätte sich stärker auf Russland konzentriert. Mit dieser umfassenden Invasion, all den zivilen Opfern und den wirtschaftlichen Folgen ist das eine ganz andere Geschichte. Und natürlich wird nun in Europa und auch in den USA die Verbindung zwischen Russland und China ganz anders bewertet. Das wird sehr viel stärker dazu führen, dass sich Europa und die USA in Zukunft sehr viel stärker gegenüber China positionieren.
Kann China da überhaupt ein Vermittler sein?
China will gar kein Vermittler sein. Sie würden sicher Vermittlungen unterstützen, das ist der feine Unterschied, den die chinesische Seite mittlerweile macht.
Der chinesische Markt ist für die deutsche Industrie, vor allem die Autoindustrie, unheimlich wichtig. Ist Deutschland von China so abhängig wie von Russland und ist das ein Problem?
Die Abhängigkeiten sind nicht so einseitig wie im Falle von Russland. Das muss man unterscheiden. Ich denke auch, dass im Gegensatz zu den Beziehungen zu Russland der Ukraine-Krieg in Bezug auf China nicht so sehr der große Gamechanger sein wird. Denn letztlich haben wir ja seit 2016/17 schon eine deutlich kritischere Auseinandersetzung mit China. Auch der BDI hat bereits 2019 in einem Grundsatzpapier den Systemwettbewerb mit China betont.
Müsste Deutschland sich wirtschaftlich von China entkoppeln, so wie es in den USA diskutiert und mit den Zöllen ja auch schon praktiziert wird? In der Corona-Krise sah man ja, wie abhängig man von China ist.
Ja, diese Abhängigkeiten werden auch jetzt wieder deutlich. Ich denke, dass in dieser Frage das Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz einiges verändern wird. Die Verknüpfung von Menschenrechtsfragen und sozialen Arbeitsbedingungen mit wirtschaftlichen Gewinn werden wir in Zukunft sehr viel stärker diskutieren. Ich denke, diese Wandlung wird auf keinem Fall mehr aufzuhalten sein. Entkopplung findet auf allen Seiten statt. Wir sind in einer Phase, in der die internationale Ordnung und ihre Regeln von allen Seiten neu definiert werden.
Es heißt nun oft, China möchte sich Taiwan einverleiben und China bewertet seine Chancen darauf anhand der Reaktionen des Westens auf den Ukraine-Kriegs. Teilen Sie das?
Es ist überhaupt keine Frage, dass China den Krieg auch unter diesem Gesichtspunkt beobachtet. Dabei wird auch gesehen, wie sehr sich der Westen neu entdeckt. In diesem Zusammenhang ist auch die sogenannte "Zeitenwende" in der deutschen Politik unheimlich wichtig. Ein so revisionistisches Vorgehen wie von Russland ist von China kurzfristig allerdings nicht zu erwarten. China geht komplexer vor und wird im Falle Taiwan zunächst weiterhin auf gezielte Desinformationskampagnen und Cyberattacken setzen.
Mit Nadine Godehardt sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de