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Putins digitale Fußsoldaten Der mächtige Einfluss russischer Militärblogger

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Vor dem Treffen mit Präsident Putin mussten sich die Militärblogger einer siebentägigen Quarantäne unterziehen.

Vor dem Treffen mit Präsident Putin mussten sich die Militärblogger einer siebentägigen Quarantäne unterziehen.

(Foto: IMAGO/SNA)

Sie berichten beinahe minütlich von den Bewegungen an der Front und üben Kritik an militärischen Entscheidungen: Russische Militärblogger dominieren seit Beginn der Ukraine-Invasion den Informationsfluss. Dabei treiben sie sowohl Aufklärung als auch Putins Propaganda voran.

Es ist ein Bild, das man nur selten sieht: Präsident Wladimir Putin sitzt gemeinsam an einem Tisch mit mehreren Männern und Frauen. Statt vieler Meter Abstand, die den Kreml-Chef oft von seinen Gästen trennt, sind es diesmal nur wenige Zentimeter. Insgesamt 16 russische Militärblogger - auch Militärkorrespondenten genannt - hören zu, wie Putin die Verluste der Ukrainer aufzählt. Sie gehören zu einem ausgewählten Kreis Kreml-naher Blogger, deren Einfluss seit Beginn des russischen Überfalls stetig wächst.

Die erfolgreichsten von ihnen haben zwei bis drei Millionen Follower auf Telegram. Täglich fluten sie die Kanäle ihrer Leser mit neuen Informationen und Bildern von der Front. Die meisten ihrer Inhalte verfassen sie selbst und teilen diese dann auf russischen Social-Media-Plattformen wie Telegram oder RuTube (russisches YouTube). Dabei sind sie oft schneller als das russische Verteidigungsministerium, weil sie eine engere Beziehung zu den Streitkräften haben. Das ermöglicht ihnen, Einschätzungen auf der Grundlage von Berichten aus erster Hand unabhängig von der Zensur des Verteidigungsministeriums zu treffen.

Ihre Informationen bekommen sie direkt vom russischen Militär, wo sie die meiste Zeit verbringen. Dort sind sie entweder an der Front tätig oder sind so gut vernetzt, dass sie innerhalb der Militärstruktur ihre Quellen beziehen, schreibt das Institute for the Study of War (ISW) in einem Bericht von November. Viele von ihnen waren selbst jahrelang in der Armee und kennen die Abläufe und Generäle. Die militärische Vorerfahrung ist wichtig - nicht nur, weil sie für die Berichterstattung Expertise brauchen, sondern weil sie täglich an der Front ihr Leben riskieren.

Zwischen Kritik und Kreml

Doch russische Militärblogger sind laut ISW nicht ausschließlich Befürworter des Krieges. Sie hätten sich zu einer Gruppe mit einer eigenen Stimme innerhalb Russlands entwickelt. Denn trotz vieler fälschlicher Aussagen, die der Propaganda des Kremls dienen und ukrainische Soldaten und westliche Verbündete demoralisieren sollen, bieten sie "eine höchst informelle Plattform, die sich drastisch von der strukturierten Darstellung des russischen Verteidigungsministeriums unterscheidet".

Am besten lässt sich das an den Zahlen der ukrainischen Verluste sehen. Während das russische Verteidigungsministerium oft mehr zerstörte Waffen angibt, als die Ukraine überhaupt besitzt, sind die Zahlen der Kriegsblogger größtenteils um einiges niedriger - und realistischer. Auch weisen sie auf die Fehler und Schwachstellen des russischen Militärs hin, was von öffentlicher Seite totgeschwiegen oder dementiert wird.

Militärblogger eint damit ein Alleinstellungsmerkmal in der russischen Gesellschaft: Sie können offen die militärische Führung kritisieren, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Das liege daran, dass sie nicht den Krieg per se oder die autoritäre Herrschaft angreifen, sagte Russland- und Sicherheitsexpertin Sarah Pagung von der Körber-Stiftung der ARD. "Sie kritisieren nur einzelne Akteure oder Handlungen innerhalb des Systems, wie beispielsweise das russische Verteidigungsministerium."

Eng mit "nationalistischen Ideologen verflochten"

Für Putin sei das keine Bedrohung, da sich zwar einzelne Akteure innerhalb des Systems attackieren, nicht aber den Kreml-Chef persönlich, erklärt Pagung. Auch das ISW schreibt, dass der Kreml es zugelassen habe, dass die Militärblogger-Gemeinschaft eine unabhängige Position einnimmt und ihre eigenen Narrative zum Krieg verbreitet.

Trotzdem sind viele Blogger nicht unabhängig von der russischen Regierung. Die russische investigative Zeitschrift "The Bell" hat beispielsweise aufgedeckt, dass der Gründer eines der einflussreichsten russischen Telegram-Kanäle, Rybar, ein ehemaliger Mitarbeiter des Pressedienstes des russischen Verteidigungsministeriums ist. Andere Militärblogger sind Korrespondenten russischer staatlicher Medien wie Komsomoslkaya Pravda, Ria und RiaFan, und würden eine sehr einseitige Berichterstattung über den Krieg betreiben, heißt es darin.

Zwar gebe es eine große Bandbreite von unterschiedlichen Charakteren, von denen laut ISW einige wenige auch den Krieg selbst kritisiert haben, den Großteil der Blogger eint aber eine starke russisch-nationalistische Haltung. Sie seien gegen die Ukraine und "mit prominenten russischen nationalistischen Ideologen verflochten", heißt es in dem Bericht. Sicherheitsexpertin Pagung spricht zudem von "menschenverachtender Abwertung" von Ukrainern und der Verbreitung "typischer Kreml-Narrative, die passend sind zu den imperialistischen Ambitionen Russlands".

Propaganda auch auf dem Smartphone

Für Putin sind sie deshalb zu einem wichtigen Werkzeug in der Propaganda-Maschinerie geworden. Denn während diese bei der älteren Generation gut geölt über den Fernseher läuft, verliert der Kreml Anschluss an die jüngere Generation am Smartphone. "Die Bevölkerung über 60 Jahren, bei denen den ganzen Tag der Fernseher läuft, hat Putin auf seiner Seite", sagt ntv-Korrespondent Peter Leontjew. Die Jüngeren seien Putin gegenüber skeptischer und vertrauten ihm nicht blind.

Den Einschätzungen des ISW zufolge ist die Prominenz der Militärblogger "wahrscheinlich ein direktes Ergebnis des Versagens des Kremls, eine effektive Telegram-Präsenz zu etablieren". Das russische Zentrum für Medienstatistiken Brand Analytics stellte fest, dass zwischen dem Beginn des Krieges am 24. Februar und dem 1. Oktober 2022 die Zahl der russischen Blogger auf Telegram um 58 Prozent zunahm, während die Nutzung verbotener westlicher Social-Media-Plattformen wie Instagram und Twitter deutlich zurückging.

Einige Kreml-freundliche Militärblogger wie Alexander Sladkow hätten in Russland längst Promi-Status erreicht, sagt Leontjew, der in Berlin und Moskau aufgewachsen ist und jahrelang in der sowjetischen Armee gedient hat. "Sie werden überall reingelassen und sind überall bekannt. Sie spielen für die Propaganda die gleiche wichtige Rolle wie das Fernsehen, nur auf einer anderen Ebene."

Das Treffen zwischen Putin und den Militärbloggern vor wenigen Tagen habe den Eindruck erwecken sollen, dass Putin "nah am Geschehen dran sei", so Leontjew. Am Ende hat der Kreml-Chef Zahlen ukrainischer Verluste vorgelesen, die sich zwar mit denen des Verteidigungsministeriums deckten, jedoch weit höher als die der Korrespondenten waren. Auf Videos sind die kritischen Blicke einzelner Blogger bei diesen Angaben kaum zu übersehen. "Es würde aber nie jemand widersprechen", sagt Leontjew. "Der Einzige, der nicht kritisiert wird, ist Putin."

Quelle: ntv.de

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