
Nach den Verhandlungen mit der SPD in der Nacht zu Montag verlässt Merkel das Konrad-Adenauer-Haus.
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Um ein viertes Mal zur Kanzlerin gewählt zu werden, muss Angela Merkel erst die SPD-Spitze, dann einen CDU-Parteitag und schließlich die SPD-Basis überzeugen. Je länger die Regierungsbildung dauert, umso stärker leidet ihre Autorität.
Wer Kanzler oder Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland werden will, muss diverse Hürden überwinden. In der Regel muss er oder sie sich von der eigenen Partei zum Spitzenkandidaten wählen lassen. Dann muss noch die Bundestagswahl halbwegs erfolgreich absolviert werden. Und schließlich braucht man eine Mehrheit im Parlament.
Angela Merkel hat diese Hürden bereits drei Mal gemeistert. Jetzt, bei ihrem vierten Anlauf, hapert es mit der Mehrheit im Bundestag. Erst wollte die SPD nicht, dann stieg die FDP aus. Nun verhandeln die Sozialdemokraten doch mit Merkel. Dass es klappt, ist alles andere als sicher.
Immerhin: Die ersten Hindernisse haben Merkel und die Große Koalition bereits überwunden. Nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche im November änderte die SPD-Führung zögerlich ihre Haltung zum Eintritt in eine weitere Große Koalition. Im Dezember stimmte ein SPD-Parteitag der Aufnahme von Sondierungsverhandlungen zu, die Anfang Januar stattfanden. Am 21. Januar billigte ein weiterer SPD-Parteitag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.
Die Koalitionsverhandlungen
Seit Freitag wird nun verhandelt. Bereits am kommenden Freitag sollen die Arbeitsgruppen fertig sein. Am Wochenende danach wollen die Parteispitzen letzte Fragen klären. "Sollte das nicht vollständig gelingen, so stehen zwei weitere Tage zur Verfügung", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, nach der ersten Gesprächsrunde.
SPD-Chef Martin Schulz braucht ein gutes Verhandlungsergebnis, wenn er sich als Parteivorsitzender halten will. Allerdings sind Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer nicht mehr in der Position, um jeden Kompromiss in ihren Parteien durchsetzen zu können. Theoretisch ist es daher möglich, dass die Verhandlungen scheitern. Heikle Themen gibt es zur Genüge: den Familiennachzug von Flüchtlingen, die Befristung von Jobs und das von der SPD geforderte "Ende der Zwei-Klassen-Medizin".
Am Sonntag saß die 15-köpfige "Spitzenrunde" der drei Parteien bis spät in die Nacht in der CDU-Zentrale zusammen, um den Verhandlungsstand zu bewerten. Viel erreicht wurde nicht. Die SPD sei zuversichtlich, "dass das mit der Union geht", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Morgen danach im ZDF, "aber einen Durchbruch gibt es in der Tat noch nicht". Ein paar Tage Zeit haben Union und SPD noch: Bis Weiberfastnacht, also bis zum 8. Februar, sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Karnevalssitzungen, auf denen die Narren die GroKo-Unterhändler auslachen, wollen Union und SPD nach Möglichkeit vermeiden.
Der Parteitag der CDU
Als noch über Jamaika verhandelt wurde, versprach Merkel der Jungen Union, ein Parteitag werde über den fertigen Koalitionsvertrag entscheiden. Diese Zusage gilt weiterhin. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte werden nicht die Spitzengremien der CDU den Gang in eine Koalition beschließen, sondern die Delegierten eines Parteitags.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Koalitionsvertrag dort abgelehnt wird, ist relativ gering; auf CDU-Parteitagen wird durchaus auch mal kontrovers diskutiert und es gibt gelegentlich sogar Überraschungen - wie zuletzt 2016 in Essen, als die Delegierten sich gegen Merkels Willen für die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft aussprachen. Die offene Revolte gegen die Chefin wäre jedoch mehr als eine Überraschung - es wäre eine Sensation.
Das Mitgliedervotum in der SPD
Bei den Sozialdemokraten entscheidet nicht ein Parteitag über den Koalitionsvertrag, sondern alle Mitglieder. Das Ergebnis eines solchen Votums ist weitaus schwerer vorherzusagen als die Abstimmung auf einem Parteitag. Während die SPD-Spitze damit beschäftigt ist, den Koalitionsvertrag auszuhandeln, wirbt Juso-Chef Kevin Kühnert für eine Ablehnung der Großen Koalition. Sein Schlachtruf: "SPD erneuern".
Die Entwicklung der Mitgliederzahlen bei der SPD könnte ein Hinweis darauf sein, dass dieser Slogan verfängt: Seit Beginn der innerparteilichen GroKo-Debatte verzeichnete die SPD mehrere tausend Eintritte. Wer bis zum 6. Februar um 18 Uhr eintritt, darf am Mitgliedervotum teilnehmen. Wird es knapp, könnten die Neumitglieder den Ausschlag geben.
Vergleichsweise knapp war schon das Ergebnis der Abstimmung auf dem SPD-Parteitag im Januar, als 44 Prozent der Delegierten gegen Sondierungsgespräche votierten. Wenn Martin Schulz schon Schwierigkeiten hat, Ortsvereins- und Kreisvorsitzende von der GroKo zu überzeugen, dann dürfte es bei den einfachen Mitgliedern erst recht eng werden.
Der Faktor Zeit
Sollte die GroKo scheitern, "dann gibt es zügig Neuwahlen", sagte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer der "Bild am Sonntag". Für Merkel ist der Faktor Zeit entscheidend: Je länger die Verhandlungen dauern, desto weniger wert ist ihre Aussage vom vergangenen November, sie werde bei Neuwahlen noch einmal antreten.
Mittlerweile liegt die Bundestagswahl vier Monate zurück. Sollte die GroKo an den SPD-Mitgliedern scheitern, würde es möglicherweise erst nach den Sommerferien Neuwahlen geben - also ein Jahr nach den Wahlen von 2017. Ob Merkels Ankündigung dann immer noch gilt? Öffentlich wird in der CDU darüber nicht gesprochen, doch jedem ist klar: Je länger es jetzt dauert, umso eher öffnet sich ein Fenster in die Nach-Merkel-Ära. Die "Zeit" hat diese Situation auf folgende Formel gebracht: "Wer in der Union Merkel stürzen will, muss in den kommenden Wochen nicht mehr selbst aktiv werden, muss keinen Aufstand planen und keine Verschwörung anzetteln. Er kann einfach nur die Arme verschränken, alle SPD-Forderungen zurückweisen - und abwarten, dass die SPD die große Koalition und damit möglicherweise auch Merkel zu Fall bringt."
Wie das geht, demonstriert am deutlichsten der Wirtschaftsrat von CDU und CSU. "Keinen Millimeter kann die Union der SPD mehr entgegenkommen, nachdem schon insbesondere beim Europa-Kapitel teure Wechsel auf die Zukunft ausgestellt wurden", sagte dessen Generalsekretär Wolfgang Steiger nach der knappen Entscheidung des SPD-Parteitags für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. So sägt man am Stuhl der eigenen Kanzlerin.
Die Bestandsaufnahme
Auch wenn der Bundestag Merkel zum vierten Mal zur Kanzlerin wählen sollte, wird sie nicht so sicher im Amt sitzen wie in den vergangenen Jahren. 2019, zur Mitte der Legislaturperiode, wollen Union und SPD eine "Bestandsaufnahme" ihres Koalitionsvertrages vornehmen, darauf haben sie sich in ihrer Sondierungsvereinbarung verständigt. Eine solche Zwischenbilanz könnte durchaus dazu führen, dass die Koalition vorzeitig beendet wird. Spätestens dann dürfte auch in der CDU der Ruf nach einer Erneuerung unüberhörbar werden.
Quelle: ntv.de