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"Der letzte Tropfen" Die Wut der Bauern ist ansteckend

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Bauern und Verbündete am Brandenburger Tor.

Bauern und Verbündete am Brandenburger Tor.

(Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Nicht nur Landwirte blockieren Autobahnen und das Brandenburger Tor, zahlreiche Berufsgruppen schließen sich dem Bauernprotest an. Zwei Botschaften sind den Teilnehmern wichtig: Wut und Abgrenzung.

Morgens um 7 Uhr auf einer Autobahnbrücke in Birkenwerder, nördlich von Berlin. Beide Zufahrten sind blockiert, nicht von Traktoren, sondern von wenigen LKW und vielen Kleintransportern. Die Logos an den Fahrzeugen werben für Tischler, Garten- und Landschaftsbauunternehmen und andere Handwerksbetriebe. Sogar ein Wohnmobil ist dabei.

Traktoren gibt es auch, sie parken in der Schleife, die eine der beiden Autobahnauffahrten bildet. Doch die Mehrzahl der Teilnehmer scheint keinen landwirtschaftlichen Hintergrund zu haben. Wütend sind sie trotzdem. Sehr wütend.

"Unser Abgabensystem in Deutschland ist völlig aus dem Gleichgewicht geraten", holt die Versammlungsleiterin aus, die sich als Sandra vorstellt und nach eigenen Angaben einen Fuhrbetrieb leitet. "Die Abgaben, die eigentlich dazu da sein sollten, um Gesundheitswesen, Bildungswesen, Infrastruktur und so weiter zu finanzieren, die werden mittlerweile ans Ausland verschenkt."

Ein anderer Teilnehmer an der Blockade, ein selbstständiger Handwerker, gibt sich im Gespräch als "AfD-Freund" zu erkennen und betont zugleich, "kein Faschist" zu sein. Aus seiner Sicht müsste die AfD an die Regierung gelassen werden, "damit sie mal zeigen kann, ob sie es besser macht". Auch er ärgert sich über die aus seiner Sicht zu hohe Abgabenlast - vor allem darüber, dass das Geld "ins Ausland" geht. Irgendwo hat er gelesen, dass Deutschland Fahrradwege in Peru finanziert, was für ihn ein Beispiel für verschwendetes Geld ist.

"Feuer frei auf die Wölfe"

Ein paar Stunden später und rund 25 Kilometer weiter südlich wird diese Forderung ebenfalls erhoben, von Rednern auf einer Kundgebung am Brandenburger Tor. Von den Anwesenden gibt es dafür besonders starken Beifall. Für Berliner Verhältnisse findet hier nur eine mittelgroße Demonstration statt. Wie viele Bauern anwesend sind, lässt sich kaum abschätzen. Zu sehen sind auch Dachdecker, Elektriker und Metallbaufirmen, erkennbar an den Aufschriften auf Jacken und Fahrzeugen.

Eindrucksvoll wird die Kundgebung erst durch den Fuhrpark: Nach Polizeiangaben stehen hier 566 Traktoren, LKW, Autos, Transporter und Anhänger. Organisiert wurde die Kundgebung nicht vom Deutschen Bauernverband, sondern von den "Freien Bauern", einem Zusammenschluss von Familienbetrieben. "Der Bauernverband hat uns verarscht", sagt einer, auf dessen Weste "Orga" steht. "Deshalb haben wir das organisiert." Bleiben wollen sie die ganze Woche - so lange geht auch die Aktionswoche des offiziellen Bauernverbands.

Ein Redner der Freien Bauern verliest einen Forderungskatalog, darunter die Aufkündigung von Freihandelsabkommen, eine Reduzierung von Soja- und Palmöl-Importen, "Verbot von Gentechnik und Laborfleisch" sowie "Feuer frei auf die Wölfe". Als die Ampel an die Regierung gekommen sei, so sagt der Redner, hätten sie sich gefreut, dass Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner abgelöst wurde. Die Hoffnung sei gewesen, dass die Grünen sich bei der Gentechnik durchsetzen und die FDP beim Wolf. Passiert sei das Gegenteil, schimpft er.

"Wir sind keine Nazis oder sonstwas"

Anders als manche Plakate und Reden auf der Kundgebung nahelegen, fordern die Freien Bauern nicht die Ablösung der Ampel, da "ein Regierungswechsel allein" nicht die Probleme lösen würde, wie Vereinschef Alfons Wolff auf der Webseite der Organisation zitiert wird. Der Versuch einer Unterwanderung von rechts findet trotzdem statt, nicht nur in sozialen Netzwerken, auch analog: Am Brandenburger Tor verteilt ein Grüppchen Jungmänner Flugblätter der Neonazi-Partei "Dritter Weg". Andere haben ein Plakat mitgebracht: "Die Demokraten bringen uns den Volkstod", steht darauf.

An der Autobahnzufahrt im Norden Berlins verwahren sich die Blockierer dagegen, in die rechte Ecke gestellt zu werden. "Wir sind keine Rechtsradikalen und keine Nazis oder sonstwas. Wir sind einfach Menschen, die für das ganze Volk kämpfen", sagt Sandra. Sie selbst sei von den Parteien enttäuscht. "Ich bin definitiv kein Demokratiefeind, aber ich habe das Gefühl, das, was hier passiert, hat mit Demokratie nicht mehr viel zu tun."

Wie mehrere andere Protestierer trägt Sandra eine gelbe Weste, was sinnvoll ist, denn so ist sie auf ihrem Fahrrad in der morgendlichen Dämmerung zwischen den Fahrzeugen besser zu erkennen. Nicht nur das Kleidungsstück erinnert an die Gelbwestenbewegung, die Frankreich vor ein paar Jahren mit Protesten überzog. Es ist der Eindruck genereller Unzufriedenheit, ja Wut, den die Demonstranten vermitteln, auch wenn die Stimmung vor Ort ganz entspannt ist.

"Es geht nicht nur um die Landwirte"

Die Regierung müsse verstehen, dass es bei den Protesten nicht nur um die Landwirte gehe. Auch die seien nicht nur "wegen dieser Agrardiesel-Geschichte da, sondern eben wegen allem", sagt ein Teilnehmer. Diesen "Schulterschluss" von Bauern, Mittelstand und Transportgewerbe begrüßt auch ein Vertreter der Landwirte, die bei dieser konkreten Aktion tatsächlich nur eine Nebenrolle spielen: "Wir sind heute hier, um die LKW zu unterstützen", sagt Christoph Plass, der im brandenburgischen Neuholland einen landwirtschaftlichen Betrieb hat und stellvertretender Vorsitzender des Kreisbauernverbands Oberhavel ist.

Auch die laufende Aktionswoche wurde nicht allein vom Deutschen Bauernverband ausgerufen, sondern gemeinsam mit dem Bundesverband Güterverkehr und Logistik. Dass sich so viele örtliche Handwerker dem Protest angeschlossen haben, sei spontan entstanden, erklärt Plass. Wie der Bauernverband insgesamt fordert er, dass die Diesel-Beihilfe komplett erhalten bleibt. Das angekündigte Aus für die Befreiung von der KFZ-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge hatte die Bundesregierung Anfang Januar zurückgenommen, am Ende an der Diesel-Beihilfe allerdings festgehalten - diese soll nun bis 2027 gestaffelt auslaufen. Bislang können sich Landwirtschaftsbetriebe die Energiesteuer für Diesel mit 21,48 Cent pro Liter zurückerstatten lassen.

"Das war der letzte Tropfen"

Auch diese Maßnahme müsse "bedingungslos zurückgenommen werden", fordert Plass. "Das ist einfach ein reines Einkommen, was uns weggenommen werden soll." Schon bisher würden Landwirte in Deutschland mehr für den Agrardiesel bezahlen als ihre Kollegen in den vier anderen größten Agrarländern der Europäischen Union.

Plass macht deutlich, dass die Beschlüsse der Ampel-Spitzen vom Dezember nicht der Grund für die Proteste sind, sondern lediglich der Auslöser. "Das war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat", sagt er. In den letzten Jahren seien die Landwirte mit viel neuer Bürokratie belastet worden, einer neuen Düngeverordnung, der Umbau der Tierhaltung koste Milliarden, werde von der Bundesregierung aber nur zu einem kleinen Teil finanziert. "Das können die Betriebe nicht mehr stemmen. Und das führt dazu, dass die Stimmung so schlecht ist und die Leute jetzt auf die Straße gehen."

Quelle: ntv.de

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