
Juri, ein Bauer aus der Nähe von Saporischschja, geht mit Helm und schusssicherer Weste aufs Feld.
(Foto: REUTERS)
Die Ukraine, die traditionelle "Kornkammer Europas", ist einer der wichtigsten Getreide-Produzenten der Welt. Durch den Krieg, durch Diebstahl und die Blockade ihrer Häfen drohen Hungersnöte.
Auch in der Ukraine ist die Zeit angebrochen, auf die sich Bauern weltweit freuen. Die Felder werden bestellt, Getreide wird ausgesät. Doch der Krieg hat alles verändert.
"Die Situation auf dem Feld ist sehr stressig, denn man hört die Explosionen sogar, wenn man mit dem Traktor über das Feld fährt", erzählt Wolodymyr aus der Region Charkiw, der seit vier Jahren als Traktorfahrer eines landwirtschaftlichen Betriebs arbeitet. "Aber ich habe einen Ausweg gefunden. Vom ersten Tag des Krieges an habe ich laute Musik angemacht. Dann höre ich keine Explosionen und arbeite einfach."
Von Wolodymyrs Arbeit hängt viel ab: Im vergangenen Jahr exportierte die Ukraine fast 30 Millionen Tonnen Getreide, wie das Landwirtschaftsministerium in Kiew im vergangenen Dezember mitteilte. Monatlich exportierte die Ukraine vor dem russischen Einmarsch 4,5 Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Erzeugnisse über ihre Häfen - 12 Prozent des weltweiten Weizens, 15 Prozent des Mais und 50 Prozent des Sonnenblumenöls. Diese Häfen werden nun von den Russen blockiert, und natürlich wird die Ernte in diesem Jahr weitaus geringer ausfallen. In Deutschland wird das zu höheren Preisen führen - in den armen Ländern dieser Welt werden Hungersnöte die Folge sein.
Minen auf dem Acker
In Wolodymyrs Dorf lief die Aussaat wie geplant: "Unser Chef sagt, dass wir so lange arbeiten werden, wie es Arbeit gibt, und ich stimme ihm zu", erzählt er. Aber seine Kollegen im Nachbardorf können ihre Felder nicht betreten, weil sie noch voller russischer Minen sind. "Es ist schwierig vorherzusagen, wie die Ernte ausfallen wird", so der 22-Jährige. Der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solsky sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Ernte könne in diesem Jahr um 25 oder gar 50 Prozent einbrechen - und das sei noch eine optimistische Prognose. Dazu kommt, dass der Treibstoff für die Traktoren knapp ist.
Seit Beginn der russischen Invasion waren Öldepots in der ganzen Ukraine das Ziel russischer Angriffe. Nachdem Ende April eine Raffinerie in der Nähe der Stadt Krementschuk in der Zentralukraine getroffen wurde, kam es in der Ukraine an den Tankstellen zu Engpässen bei Benzin und Diesel, verursacht auch durch die Blockade der ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer. Experten zufolge könnte die Treibstoffknappheit noch mehrere Wochen andauern, da über den Landweg von Europa aus nicht so große Mengen ins Land kommen können.
Nahrungsmittel aus der Ukraine werden dringend benötigt
Die ukrainische Landwirtschaft leidet nach Angaben aus Kiew auch darunter, dass die russische Armee Getreide aus dem Land abtransportieren lässt, das eigentlich für die Aussaat bestimmt war. Zudem häufen sich die Berichte über den Diebstahl landwirtschaftlicher Geräte.
Landwirtschaftsminister Solsky sagte, die ukrainischen Bauern würden "aussäen, wo immer es möglich ist". Für Länder, die auf Lieferungen aus der Ukraine angewiesen sind, könnte das zu wenig sein, denn die Ukraine ist nicht nur die "Kornkammer Europas", als die sie häufig bezeichnet wird, sondern einer der wichtigsten Erzeuger von Getreide weltweit. "Die Nahrungsmittel der Ukraine werden in der Welt dringend benötigt", sagte der Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) in Deutschland, Martin Frick, kürzlich der Deutschen Presse-Agentur.
Dass wegen des Kriegs gegen sein Land in Teilen der Welt Hunger droht, weiß natürlich auch Wolodymyr. "Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es in der Ukraine keine Hungersnot geben wird, das ist klar", sagt er. "Aber in Afrika wird vielleicht nicht genug Getreide ankommen."
Quelle: ntv.de