Sorge vor Hungersnot Kiew wirft Russland Diebstahl von 400.000 Tonnen Getreide vor
04.05.2022, 10:48 Uhr
Der zwangsweise Abtransport von Getreide ist zwischen Ukrainern und Russen historisch ein schmerzhaftes Thema.
(Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dp)
Die Ukraine beschuldigt Russland, massenhaft Getreide aus den besetzten Regionen gestohlen und abtransportiert zu haben. Werde der Bestand weiter reduziert, drohe in diesen Gebieten eine Hungersnot. Auch für den Export ins Ausland sieht es derzeit schlecht aus.
Russland hat aus den besetzten Gebieten der Ukraine nach Kiewer Angaben 400.000 Tonnen Getreide abtransportieren lassen. Das sei etwa ein Drittel der Getreidevorräte in den Regionen Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk, sagte Vizeagrarminister Taras Wyssozkyj im ukrainischen Fernsehen.
Vor dem Krieg hätten dort etwa 1,3 Millionen Tonnen Getreide gelagert. Diese seien für die tägliche Versorgung, aber auch zur Aussaat bestimmt gewesen. "Da gab es keine strategischen Reserven", sagte Wyssozkyj nach Angaben aus der Nacht zum Mittwoch. Werde der Getreidebestand weiter reduziert, drohe in diesen Gebieten eine Hungersnot.
In der Ukraine häufen sich in den vergangenen Wochen Berichte über Diebstähle von landwirtschaftlichen Geräten, Getreide und sogar Baumaterialien. In der besetzten Stadt Melitopol haben nach Angaben eines ukrainischen Geschäftsmannes russische Truppen die gesamte Ausrüstung eines Landmaschinenhändlers gestohlen und nach Tschetschenien transportiert. Das berichtete der amerikanische Nachrichtensender CNN vor einigen Tagen.
Abtransport von Getreide erinnert an Vorgehen in Sowjetunion
Der zwangsweise Abtransport von Getreide ist zwischen Ukrainern und Russen historisch ein schmerzhaftes Thema. Als der Sowjetdiktator Josef Stalin die Bauern in die Kolchosen zwang und Getreide mit Gewalt beschlagnahmen ließ, verhungerten 1932/33 in der Ukraine etwa vier Millionen Menschen. Tote gab es auch im Süden Russlands und in Kasachstan. Die Ukraine betrachtet die künstlich erzeugte Hungersnot, den sogenannten Holodomor, als von Moskau befohlenen Völkermord.
Der Diebstahl von Getreide im Gebiet Cherson gefährde genauso wie die Blockade der ukrainischen Häfen und die Verminung von Schiffsrouten auch die globale Lebensmittelsicherheit, hieß es am vergangenen Freitag in einer Mitteilung des ukrainischen Außenministeriums. Mit ukrainischem Getreide würden rund 400 Millionen Menschen versorgt - vor allem in Nordafrika, dem Nahen Osten und Asien.
UN-Institution: Millionen Tonnen Getreide in Ukraine blockiert
"Derzeit sitzen knapp 4,5 Millionen Tonnen Getreide in ukrainischen Häfen und auf Schiffen fest und können nicht genutzt werden", sagte der Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) in Deutschland, Martin Frick, am Wochenende. Probleme bei der Ausfuhr der Lebensmittel gibt es derzeit unter anderem, weil Häfen und Seewege im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine blockiert sind.
Die Ukraine war bis Kriegsbeginn einer der weltweit wichtigsten Erzeuger von Weizen sowie ein großer Mais-Produzent. UN-Angaben zufolge wurden 2020 beispielsweise gut 30 Millionen Tonnen Mais und knapp 25 Millionen Tonnen Weizen in dem Land geerntet. Viele Länder, etwa in Nordafrika, sind abhängig von günstigem Weizen aus der Ukraine. Auch für die weltweite Ernährungshilfe ist das Getreide entscheidend.
Quelle: ntv.de, hek/dpa