Der Kriegstag im Überblick Russische Munitionsfabrik explodiert - 200 Zivilisten harren in Stahlwerk aus
02.05.2022, 21:24 Uhr
Ein ukrainischer Kämpfer in der Region Charkiw: An ein schnelles Kriegsende glauben weder die USA noch Moskau.
(Foto: REUTERS)
Die russische Offensive im Donbass läuft, allerdings sieht das US-Militär bestenfalls "minimale Fortschritte". Der russische Außenminister bereitet die Öffentlichkeit darauf vor, dass der Krieg zur Maiparade des Kreml am 9. Mai nicht enden werde. Mit einem Hitler-Vergleich bringt Lawrow Israel gegen sich auf. Im Ural explodiert eine Munitionsfabrik, während die Rettungsaktion in Mariupol nicht vorankommt. Der 68. Kriegstag im Überblick.
Fragile Lage bei Zivilistenrettung in Mariupol
Während neue Evakuierungsversuche aus der südukrainischen Hafenstadt Mariupol stocken, hat Russland seine Angriffe in der Ostukraine mit unverminderter Härte fortgesetzt. Das Verteidigungsministerium in Kiew erklärte, vor allem in der Region Luhansk tobten "aktive und schwere Kämpfe". Internationale Helfer bemühten sich unterdessen darum, weitere im Asow-Stahlwerk in Mariupol eingekesselte Zivilisten in Sicherheit zu bringen.
Nachdem am Wochenende erstmals Dutzende Menschen das riesige Asow-Industriegelände in Mariupol verlassen konnten, sollte am Morgen eigentlich eine erneute Rettungsaktion beginnen. Die Evakuierungsbusse kamen nach Angaben des Rathauses von Mariupol jedoch zunächst nicht an der Sammelstelle an. Außenminister Dmytro Kuleba versicherte dennoch, dass die Evakuierungsaktion "im Gange" sei. Die Lage sei aber "sehr fragil".
Am Wochenende waren nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mehr als hundert Menschen aus dem Stahlwerk herausgeholt worden. Die Zivilisten wurden am Abend in der 220 Kilometer entfernten Stadt Saporischschja erwartet. Auf einem Parkplatz am Stadtrand von Saporischschja standen Fahrzeuge des UN-Kinderhilfswerks Unicef und anderer Hilfsorganisationen bereit. Derzeit sollen noch rund 200 Zivilisten in dem Stahlwerk festsitzen.
USA sehen kaum Fortschritte bei der Ostoffensive
Ungeachtet der Feuerpause in Mariupol gingen die Kämpfe in den übrigen Teilen der ostukrainischen Donbass-Region unvermindert weiter. Intensive Kämpfe meldete die ukrainische Armee vor allem aus den Städten Isjum, Rubischne und Lyman. Dort versuchten die russischen Truppen, "die Kontrolle zu übernehmen, um ihren Angriff auf Sewerodonezk vorzubereiten", erklärte der Generalstab. Sewerodonezk ist die letzte große Stadt im Osten der Ukraine, die noch von Kiews Truppen gehalten wird.
Im Schwarzen Meer versenkte die ukrainische Armee unterdessen zwei russische Patrouillenboote. Bei dem Einsatz kamen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kiew Bayraktar-Drohnen zum Einsatz, welche die Ukraine aus der Türkei bezieht.
Einem US-Insider zufolge erzielte Russland in den vergangenen Tagen "bestenfalls minimale" Fortschritte bei seiner Offensive im Donbass. Die Person, die namentlich nicht genannt werden will, gab auch Zahlen zu der Ausbildung von ukrainischen Soldaten an westlichen schweren Waffen an. So sollen insgesamt grob 200 von ihnen an Haubitzen des Typs M777 geschult werden.
Lawrow verstört mit Vergleich Hitler-Selenskyj
Ein baldiges Ende der Kämpfe scheint auch für Moskau nicht in Sicht. Russland strebe nicht an, seinen Militäreinsatz in der Ukraine bis zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland am 9. Mai zu beenden, sagte Außenminister Sergej Lawrow im italienischen Fernsehen. "Unser Militär wird seine Handlungen nicht künstlich an irgendeinem Datum ausrichten." Am 9. Mai feiert Russland traditionell den Sieg über Nazi-Deutschland mit einer Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau. Experten hatten lange angenommen, dass Präsident Wladimir Putin an dem symbolisch wichtigen Datum einen großen Sieg in der Ukraine verkünden will.
Der russische Außenminister wiederholte in dem Interview noch einmal die Kriegsbegründung, in der Ukraine seien Nazis am Werk. Als Gegenargument werde gesagt: "Wie kann es eine Nazifizierung geben, wenn der ukrainische Präsident Selenskyj Jude ist? Ich kann mich irren. Aber Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind."
Der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett sagte: "Seine Äußerungen sind unwahr, und sie dienen einem falschen Zweck." Es sei das Ziel "solcher Lügen, den Juden selbst die Schuld an den schlimmsten Verbrechen der Geschichte zu geben, die gegen sie verübt wurden". Israel hat traditionell sowohl zu Russland als auch zur Ukraine gute Beziehungen. An Russlands Vorgehen hatte Bennett bislang nur verhalten Kritik geäußert. Ein Sprecher der Bundesregierung nannte Lawrows Äußerungen "absurd".
Kilometerlange Rauchsäule bei Brand in Munitionsfabrik
Bei einem Brand in einer russischen Munitionsfabrik in der Millionenstadt Perm am Ural sind nach Behördenangaben mindestens drei Menschen ums Leben gekommen. Der Vorfall soll sich am Sonntagabend ereignet haben. Videobilder zeigen eine kilometerhohe Rauchsäule. Zudem berichteten Augenzeugen davon, dass die gesamte Produktionshalle in die Luft geflogen sei. Die staatliche "Schießpulverfabrik Perm" stellt unter anderem Ladungen für die Mehrfachraketenwerfer "Grad" und "Smertsch" her, die Russland auch im Krieg gegen die Ukraine verwendet. Seit Ausbruch des Kriegs gab es bereits mehrere Unfälle und Brände in russischen Rüstungsbetrieben und militärischen Einrichtungen. Über die Ursachen für das Feuer gab es keine Angaben.
Der Westen arbeitet unterdessen an einer Verschärfung seiner Sanktionen gegen Russland. Bei einem Sondertreffen der EU-Energieminister ging es um ein von der EU-Kommission geplantes Öl-Embargo. Deutschland will einen Importstopp für russisches Öl nach anfänglicher Skepsis nun mittragen, Ungarn droht dagegen mit einem Veto.
Scholz will nicht nach Kiew reisen, Merz schon
Bundeskanzler Olaf Scholz will wegen der Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch die ukrainische Seite vorerst nicht in die Hauptstadt Kiew reisen. Es sei "ein ganz bemerkenswerter Vorgang" gewesen, den gerade mit großer Mehrheit wiedergewählten Bundespräsidenten auszuladen, sagte der SPD-Politiker in der ZDF-Sendung "Was nun?". Scholz stellte mit Blick auf eine eigene Reise klar: "Das steht der Sache im Weg."
Zu der geplanten Kiew-Reise von CDU-Chef Friedrich Merz sagte Scholz, dieser habe ihn über seine Pläne informiert. "Ich habe da keine Einwendungen." Er billige die Reise. Merz sagte, er habe Scholz empfohlen, ebenfalls in die Ukraine zu fahren.
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Quelle: ntv.de, mau/AFP/dpa