
"Ich bin Protestantin, er ist Vegetarier", sagte Katrin Göring-Eckardt über sich und Cem Özdemir, nachdem sie zum Spitzenduo der Grünen gekürt wurden.
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Mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir stellen zwei Realos das grüne Spitzenduo. Sie symbolisieren eine Verschiebung der innerparteilichen Machtverhältnisse. Der Bundestagswahlkampf wird der einst so linken Partei viel abverlangen.
Anfang 2016, Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht im Heidelberger Theaterhaus. "Eine tolle Sache, dass man sagen kann, die Natur hat einen Eigenwert", sagt er.
Wie bitte? Muss man das unter Grünen wirklich erwähnen? Es ist einer dieser Momente des Landtagswahlkampfes, in dem man sich fragt, ob man wirklich bei einer Veranstaltung der Ökopartei ist. Und es ist nur einer von vielen. Da ist viel von "Hidden Champions" und Industrie die Rede, einer "Politik des Gehörtwerdens" und "pragmatischem Humanismus" im Umgang mit Flüchtlingen. Keine linke Hypermoral, Verantwortungsethik statt Idealismus. Kretschmann schafft damit den historischen Triumph. Er wird nicht nur wiedergewählt, er degradiert die traditionell starke CDU im Ländle zum Juniorpartner einer grün-schwarzen Koalition.
Anfang 2017, das Jahr der Bundestagswahl. Grünenchefin Simone Peter sagt kurz nach dem viel gelobten Polizei-Einsatz der Kölner Silvesternacht: "Allerdings stellt sich die Frage nach der Verhältnis- und Rechtmäßigkeit, wenn insgesamt knapp 1000 Personen allein aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt wurden." Über Peter bricht ein Shitstorm herein. Die "Bild"-Zeitung nennt sie eine "grün-fundamentalistisch realitätsfremde Intensivschwätzerin". Auswirkungen auf das Wahlergebnis?
Das politische Spektrum innerhalb der Grünen ist gewaltig. Die Ökopartei, die aus der linken Studentenszene und der Anti-Atomkraft-Bewegung hervorgegangen ist, ist bis weit in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Immer klarer zeichnet sich bei diesem Ausstrahlen ab: Auch die Machtgefälle in der Partei sind verrückt. Die Realos dominieren die Grünen. Nicht nur, weil viele Grüne in die Mitte der Gesellschaft hineingewachsen sind, sondern auch, weil ihnen die Wähler an den Urnen immer wieder Recht geben.
Wie ein Beleg dafür wirkt die Wahl des neuen Spitzenduos für die Bundestagswahl. Mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir übernehmen zwei Politiker vom Realo-Flügel die beiden Ämter, die sich traditionell Realos und Parteilinke teilen. Göring-Eckardt studierte einst Theologie, ist in der evangelischen Kirche aktiv und tritt ziemlich bürgerlich auf. Cem Özdemir, Kind türkischer Gastarbeiter, stammt aus Kretschmanns Landesverband – der Hochburg der grünen Realpolitiker. Co-Fraktionschef Anton Hofreiter, der einzige Kandidat der Partei-Linken, landete in der Urwahl dagegen auf dem letzten Platz, deutlich hinter dem auf Bundesebene unbekannteren Robert Habeck, der nun als nächster Parteichef im Gespräch ist.
Die Angst, Besserwisser zu sein
Spätestens seit der Atomkatastrophe von Fukushima, als die Grünen 2011 in Umfragen jenseits der 20-Prozent-Marke landeten und von einer grünen Volkspartei die Rede war, ist der Anspruch in den grünen Reihen gewaltig. Ein zweistelliges Ergebnis sollte es schon sein. Vor allem aber: Die Partei, die seit 2005 die Oppositionsbank drückt, will endlich auch im Bund wieder mitregieren. Spätestens seit dem Bundestagswahlkampf 2013 ist für viele Grüne aber auch klar, wie dieser Anspruch wohl nicht zu erfüllen ist. Ein Steuererhöhungswahlkampf, geprägt vom damaligen linken Spitzenkandidaten Jürgen Trittin, ließ die Partei auf 8,4 Prozent abstürzen.
Die Partei legt seither viel Wert darauf, das Image der linken Ideologen, der Besserwisser- und Gutmenschenpartei loszuwerden. Auf keinen Fall soll es wieder zu so etwas wie der Veggie-Day-Debatte kommen. Ebenfalls im Wahlkampf 2013 hatten sich die Grünen für einen fleischfreien Tag in Kantinen ausgesprochen – insbesondere Unions- und FDP-Politiker schlachteten dies aus, um den Grünen vorzuwerfen, den Bürger zu bevormunden. Das kostete Stimmen. Hinter vorgehaltener Hand hört man nun schon mal, dass man einige Sätze, die ganz in grüner Tradition stehen, einfach nicht mehr öffentlich sagt – auch, wenn sie noch der Überzeugung entsprechen. Wer es anders hält, muss mit den Konsequenzen leben.
Pateichefin Peter wurde wegen ihrer Zweifel am Kölner Polizei-Einsatz auch aus den eigenen Reihen kritisiert. Als sie weitgehend isoliert da stand, relativierte sie ihre Aussagen. Die pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Elisabeth Scharfenberg, hatte in einem Interview das ebenfalls Anfang des Jahres erschien, gesagt, sie könne sich eine Finanzierung von "Sexualassistenz" für Pflegebedürftige vorstellen. Der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer schritt ein: "Kann man denn als Bundestagsabgeordnete gut gemeinte Ideen nicht einfach mal im Koffer lassen, wenn sie so offensichtlich dazu dienen können, uns als weltfremde Spinner abzustempeln?"
Kampf gegen die Beliebigkeit
Wie weit links ist zu links, um nicht nur altgrünes Klientel anzusprechen? In Umfragen liegt die Partei aktuell bestenfalls bei zehn Prozent. Im Wahljahr 2017 wird aber auch die Frage eine Rolle spielen, wie lange die Grünen eigentlich noch grün sind. Das Konfliktpotenzial erscheint unerschöpflich, weil womöglich Themen wie Asyl und Sicherheit die Agenda dominieren. Ministerpräsident Kretschmann gibt sich offen, wenn es darum geht, die Maghreb-Staaten als sicher einzustufen. Bundestagsfraktion und Parteispitze sind dagegen. In einigen Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung wird darüber nachgedacht, unter welchen Bedingungen Abschiebungen nach Afghanistan zulässig wären. Viele Grüne raufen sich beim Gedanken daran die Haare. Der Ruf nach mehr Polizei ist mittlerweile lagerunabhängig ziemlich normal. Die alte Hausbesetzer-Partei hat sich in Jahren in Regierungsverantwortung in Bund und Ländern längst mit der Staatsgewalt versöhnt. Doch kündigte Kretschmann an, dass sein Bundesland nun auch die Vorratsdatenspeicherung einführen wolle. So sehr sich die Partei auch bemüht: Sie gibt ein widersprüchliches Bild ab.
Das gilt auch für die Regierungsoptionen. Der natürliche Koalitionspartner SPD ist zu schwach für eine Neuauflage. Mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir spricht nun eigentlich alles für eine Koalition mit der Union. Nur: Verkraftet das der linke Flügel der Partei angesichts einer immer radikaleren CSU? Im Politbarometer des ZDF sprachen sich kürzlich 44 Prozent der Grünen-Anhänger für eine Koalition mit der Union aus. Mehr denn je. Doch 50 Prozent setzten auf Rot-Rot-Grün und damit auf eine Koalition mit der Linken, die noch immer dafür steht, die Nato abzuschaffen. Ist am Ende womöglich gar eine Koalition mit dem ideologischen Feindbild in Form der FDP genehm, um wieder regieren zu können? Die Partei will sich noch nicht festlegen, sondern sich für ihre Inhalte entscheiden und nach der Wahl sehen, mit wem es die größte Schnittmenge gibt. Das macht die Lage angesichts der vielen sich widerstrebenden Haltungen zwischen Linken und Realos, zwischen Bund und Ländern, aber nur geringfügig leichter. Vor Göring-Eckardt und Özdemir liegt eine gewaltige Herausforderung. Der Wahlkampf 2017 wird für die Grünen auch ein Kampf gegen die Beliebigkeit.
Quelle: ntv.de