
Ein Demonstrant trägt in England eine Maske des chinesischen Staatschefs - doch Proteste gegen Xi Jinping gibt es inzwischen auch in China.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Xi Jinping gilt als der mächtigste Herrscher von China seit Mao. Trotzdem wirkt der chinesische Staatschef angeschlagen wie nie. Denn vor ihm türmen sich die Probleme auf. Viele hat er sich selbst geschaffen.
"Nieder mit der KP!" und "Nieder mit Xi Jinping!", ruft die aufgebrachte Menge im November auf den Straßen von Shanghai. Zu diesem Zeitpunkt ist es gerade einen Monat her, dass Xi Jinping zum dritten Mal nacheinander zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas gewählt wurde. Altersbegrenzungen konnten den 69-Jährigen nicht stoppen, eine Begrenzung für Amtszeiten auch nicht. Xi habe seine Stellung als Chinas mächtigster Herrscher seit Mao Tse-tung, dem Gründer der Volksrepublik, untermauert, heißt es anschließend.
Trotzdem wirkt der chinesische Staatschef angeschlagen wie nie. Denn er steht vor einem riesigen Berg voller Probleme, die er sich größtenteils selbst geschaffen hat. Die chinesische Wirtschaft schwächelt, die Staatseinnahmen sinken, die Arbeitslosigkeit vor allem bei jungen Menschen steigt, der beste Freund ist ein Kriegstreiber. Das drängendste Problem ist aber nach wie vor die Corona-Lage.
Null Covid bremst die Wirtschaft
Vor den größten Protesten seit dem Tiananmen-Massaker 1989 ist auch Xi eingeknickt. Anfang Dezember verkündete Peking Erleichterungen für Quarantäne, PCR-Tests und Lockdowns. Ein logischer Entschluss, wenn man eine Eskalation unbedingt verhindern will, am Ende aber auch simple Ökonomie: Häuserblocks abriegeln, Massentests durchführen und Lebensmittel für Millionen Menschen bereitstellen, kostet Personal und Geld. Wenn gleichzeitig Fabriken geschlossen bleiben und Arbeitskräfte zu Hause festsitzen, kommt aber auch kein neues in die Kassen rein.
Die Null-Covid-Politik war ein teures Unterfangen und hat der chinesischen Wirtschaft schweren Schaden zugefügt, meint auch Jürgen Matthes vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Die sei im November arg in die Knie gegangen, sagte der Ökonom bei ntv. "Die jüngste Prognose, dass die Wirtschaft in diesem Jahr 3,3 Prozent wachsen wird, ist dadurch Makulatur geworden. Darauf hat die Kommunistische Partei reagiert: die Wirtschaftsschwäche und die Proteste."
Gigantisches Defizit
Im November präsentierte China seine schlechtesten Handelsdaten seit mehr als zwei Jahren. Die Lieferungen ins Ausland gingen im Vergleich zum Vorjahr um 8,7 Prozent zurück. Das sind vor allem deshalb erstaunliche Zahlen, weil im November das Weihnachtsgeschäft beginnt und der Außenhandel des Exportweltmeisters eigentlich floriert.
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Überraschend kommt diese Entwicklung aber nicht: Schon bevor Xi die Wirtschaft mit strengen Lockdowns im Finanzzentrum Shanghai oder in der "iPhone-City" Zhengzhou schwer beschädigt hatte, führte er im vergangenen Jahr einen Regulierungsfeldzug gegen erfolgreiche Techfirmen wie Alibaba, Didi oder Tencent. Deren Aktienkurse stürzten daraufhin weltweit an den Börsen ab, die Einnahmen brachen ein und Arbeitsplätze weg.
Ähnlich erging es vor gut einem Jahr dem chinesischen Immobiliensektor. Als dort die Blase platzte, konnte ein Bauriese nach dem anderen seine Kredite nicht mehr zurückzahlen. Bereits bezahlte Wohnungen wurden nicht fertiggestellt, Rohbauten wieder eingerissen. Jetzt muss Peking hoch verschuldete Wohnungsunternehmen mit "umfassenden Hilfen" retten. In diesem Jahr wird China deshalb das größte Haushaltsdefizit seit Jahrzehnten einfahren. Von Januar bis September betrug es nach Angaben des Finanzportals Bloomberg bereits 980 Milliarden US-Dollar.
"Sorry, ich bin arbeitslos"
Baustellen, die auch auf dem Arbeitsmarkt voll durchschlagen. Im vergangenen Mai warnte der damalige Premierminister Li Keqiang vor einer "komplexen und düsteren" Situation, unter der vor allem junge Menschen leiden. Etwa 20 Prozent der 16- bis 24-Jährigen seien arbeitslos, sagt Jörg Wuttke im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Und das seien die offiziellen Zahlen, erklärt der Chef der Europäischen Handelskammer in China. Es sei gut möglich, dass jeder dritte Jugendliche ohne Job sei.
"Das ist natürlich verheerend in einer Gesellschaft, die eine Ein-Kind-Politik macht", sagt Wuttke. "Vier Großeltern und zwei Eltern gucken auf den Nachwuchs, auf dem die Zukunft der Familie lastet. Der muss dann sagen: Sorry, ich habe mich 15, 16 oder 17 Jahre lang gequält, bin jetzt aber arbeitslos oder habe einen Job, wo ich ein paar Flaschen hin- und hertrage. Eine völlige Desillusionierung."
Neue Seidenstraße als Bumerang
Kompliziert ist die finanzielle Situation aber nicht nur in der Heimat. Bereits im Juli hatte die "Financial Times" über die erste chinesische Schuldenkrise im Ausland berichtet. Denn die Neue Seidenstraße scheint zumindest teilweise zum Bumerang zu werden. Gab es vor wenigen Jahren noch die Befürchtung, China könnte Entwicklungsländer mit seinen großzügigen Darlehen für neue Handelswege und Infrastruktur abhängig machen, scheint jetzt das Gegenteil zu passieren: Viele Partner können ihre Kredite vor allem wegen der Corona-Krise nicht mehr zurückzahlen - und kosten China damit viel Geld.
Laut "Financial Times" mussten 2020 und 2021 Kredite im Wert von mehr als 52 Milliarden Dollar nachverhandelt und umstrukturiert werden. Partnerländer erhielten längere Laufzeiten zu geringeren Zinsen, in der Hoffnung, dass Häfen, Eisenbahnverbindungen oder andere Infrastrukturprojekte in Sri Lanka, Sambia oder Pakistan doch noch fertiggestellt werden können. In vielen Fällen musste China sogar weiteres Geld nachschießen, weil bereits alles ausgegeben war.
Eine Finanzkraft, die in Ländern wie Pakistan immer häufiger aber ebenfalls zu einem Problem wird: Vermehrt werden chinesische Arbeiter zum Ziel von Terroranschlägen und Entführungen. Denn sie versprechen hohe Lösegelder oder stehen sinnbildlich für Korruption und chinesischen Einfluss in den Partnerländern. China müsse das Terrorrisiko bei der Finanzierung dieser Projekte einplanen, sagt Francesca Ghiretti vom Mercator Institut für Chinastudien (Merics) in Berlin bei "Wieder was gelernt".
Was, wenn Corona durchrauscht?
Jetzt soll die Lockerung der Null-Covid-Politik der lahmenden chinesischen Wirtschaft wieder Schwung verleihen: Ohne Lockdowns können Fabriken wieder mit voller Kraft arbeiten und die Kassen füllen - das hofft man jedenfalls in Peking. Doch wenn die Omikron-Variante durch China durchrauscht, könnte das auch nach hinten losgehen, warnen Beobachter wie Jürgen Matthes vom Institut für Weltwirtschaft. Anhaltende Lockerungen wären positiv für China und die Weltwirtschaft, sagt er bei ntv. "Aber die Gefahr ist groß, dass die Infektionszahlen so stark steigen, dass die Krankenhäuser überlastet werden. Dann könnte es möglicherweise einen noch viel härteren Lockdown geben."
China hat insgesamt eine hohe Impfquote. Doch gerade die besonders bedrohten älteren Menschen haben oft auf den Piks verzichtet: Offiziell waren im November 86,4 Prozent der über 60-Jährigen mindestens zweimal geimpft. Etwa zwei Drittel haben auch einen Booster bekommen. Viele andere sind skeptisch, weil sie den Impfstoffen nicht vertrauen - auch das ist ein Problem, das Xi Jinping mitzuverantworten hat: Er hatte die mRNA-Mittel von Biontech und Moderna im vergangenen Jahr von den Staatsmedien zur Giftspritze verklären lassen.
Nach dem Ende von Null Covid wird nun eine Omikron-Welle durch China rollen. Die chinesischen Gesundheitsbehörden erwarten, dass sich am Ende etwa 80 bis 90 Prozent der riesigen Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen infizieren werden. Viele kommen nach fast drei Jahren voller strenger Schutzmaßnahmen zum ersten Mal mit dem Coronavirus in Berührung und sind deshalb anfällig für einen schweren Verlauf, der im Krankenhaus enden könnte. Bei Intensivbetten liegt China aber weit hinter anderen asiatischen Ländern wie Taiwan oder Thailand zurück. Verglichen mit Deutschland gibt es nur rund halb so viele Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohner. Der mächtigste Mann Chinas seit Mao steht vor einem neuen Problem.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Quelle: ntv.de