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AfD hofft auf Sieg in Thüringen Diese Stichwahl ist ein Modell für Wahlen im Osten

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Wahlplakate an der B 89 im Landkreis Sonneberg.

Wahlplakate an der B 89 im Landkreis Sonneberg.

(Foto: dpa)

Im Landkreis Sonneberg könnte nach einer Stichwahl die AfD ihren ersten Landrat Deutschlands stellen. Oder doch nicht? Ein breites Bündnis hat sich mit dem konkurrierenden CDU-Bewerber solidarisiert. Das dürfte Modellcharakter für Wahlen in vielen ostdeutschen Regionen haben.

Es sind ziemlich viele schöne Häuser, die man sieht, wenn man durch den Landkreis Sonneberg fährt. Viele dieser Häuser tragen die schwarzen Schieferfassaden, die für die Region im Süden Thüringens typisch sind. Dass in diesen Häusern oft Menschen wohnen, die vor knapp zwei Wochen bei den Landratswahlen ihre Stimme einem Mann gegeben haben, der einer als rechtsextrem eingestuften Partei angehört, sieht man nicht. Was teilweise erklärt, warum Deutschland gerade nach Sonneberg blickt.

Denn von den Nord- und Ostseeküsten bis zum Bodensee versuchen seit Tagen schon Menschen zu begreifen, was in dieser Region eigentlich schiefgelaufen sein muss, dass der AfD-Mann Robert Sesselmann im ersten Wahlgang der Landratswahl in Sonneberg die absolute Mehrheit nur knapp verfehlt hat. Etwa 47 Prozent der abgegebenen Stimmen hatte er erhalten; was eben bedeutet, dass fast jeder zweite Wähler im Landkreis Sonneberg seine Stimme einem Kandidaten gegeben hat, der für eine Partei im Thüringer Landtag sitzt, deren Landesverband der Thüringer Verfassungsschutz gesichert rechtsextremistisch nennt.

Sesselmann ist zwar bislang noch nicht durch eine ganz so extreme Rhetorik aufgefallen wie der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Doch auch Sesselmann beherrscht die typischen AfD-Slogans. In einem Interview mit der rechten Zeitung "Junge Freiheit" faselte er beispielsweise jüngst über "islamistische Straftaten, wie die alltäglichen Messerstechereien". Der CDU-Kandidat für diese Landratswahl, Jürgen Köpper, war im ersten Wahlgang auf einen Stimmenanteil von etwa 36 Prozent gekommen.

Faktisch herrscht Vollbeschäftigung

Zwischen diesen beiden Männern, Sesselmann und Köpper, wird sich nun am Sonntag in einer Stichwahl entscheiden, ob die AfD das erste Mal einen deutschen Landrat stellt. Ob das so kommen wird, lässt sich derzeit kaum seriös vorhersagen.

Diese Ungewissheit macht die Suche nach den Gründen, warum Sesselmann im ersten Wahlgang so viel Zuspruch bekommen hat, natürlich nur umso drängender. Vor allem, weil der Landkreis Sonneberg eigentlich eine Vorzeige-Region ist. Nicht nur wegen der vielen schönen Häuser hier.

Blick auf Sonneberg, die Kreisstadt des Landkreises.

Blick auf Sonneberg, die Kreisstadt des Landkreises.

(Foto: IMAGO/ingimage)

Wirtschaftlich und sozial betrachtet, steht Sonneberg seit Jahren gut da. Schon lange herrscht hier de facto Vollbeschäftigung. Viele Menschen im Landkreis pendeln zum Arbeiten ins benachbarte Bayern, wo oft höhere Löhne gezahlt werden als in Thüringen. In den Einfahrten zu den oft großen Grundstücken der verschieferten Häuser stehen nicht selten zwei Autos.

Supermärkte und Schulen weit weg

All das schließt freilich nicht aus, dass es auch hier Probleme gibt, wie sie allgegenwärtig in Deutschland sind. Manche Straßen sind voller Schlaglöcher, die Wege zum nächsten Arzt erscheinen vielen Menschen zu weit, manche Schule ist in ihrer Existenz bedroht. Und seit infolge des Ukraine-Krieges zumindest im Zentrum der Kreisstadt auch regelmäßig ausländisch aussehende Menschen unterwegs sind, ist die Migration auch hier wieder ein großes Thema.

Warum diese Dichotomie von Wohlstand und Unzufriedenheit dazu führt, dass die AfD in der Region so viel Zuspruch bekommt, hat der sogenannte Thüringen Monitor erst vor wenigen Wochen zumindest zu einem Teil erklärt. Diese repräsentative soziologische Langzeitstudie hat nicht nur mit Zahlen belegt, wie groß die politisch-gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land sind. Sie hat vor allem gezeigt, dass es für die Zufriedenheit der Menschen mit der Demokratie ganz wichtig ist, wie weit zum Beispiel die nächste Einkaufsmöglichkeit entfernt ist. Auch wenn Sonneberg insgesamt wirtschaftlich und sozial gut dasteht - diese objektiven, aber abstrakten Daten interessieren die Menschen hier weit weniger als ihre subjektiv empfundene Lebenssituation.

So zeigt die aktuelle Ausgabe des Thüringen Monitors bezogen auf das Empfinden der Menschen auf dem Land: Unter denen, für die die nächsten Einkaufsmöglichkeiten schwierig zu erreichen ist, haben ungefähr zwei Drittel "populistische Einstellungen", wie es in der Studie heißt. Bei denen, die einfach dorthin gelangen könnten, ist es dagegen etwa die Hälfte. Bei der Erreichbarkeit von Kindergärten und Schulen sind die Vergleichswerte sogar noch deutlicher auseinander. Das wirkt sich offenkundig auf die Zufriedenheit der Menschen mit der Bundes- und der Landesregierung aus.

SPD-Kandidatin kam nur auf 13 Prozent

Die Wahl des AfD-Mannes Sesselmann ist aus Sicht vieler Menschen hier deshalb ebenso ein Ausdruck des Protestes gegen die Ampel-Bundes- und gegen die rot-rot-grüne Landesregierung. Diese Wahl fällt vielen Menschen hier auch deshalb so leicht, weil sie - auch das ist ein Teil der Erklärung - fremdenfeindliche oder sogar rechtsextremen Einstellungen haben; Einstellungen, die die AfD aufgreift und katalysiert. So stimmen fast die Hälfte der Thüringer der Aussage zu, die Bundesrepublik sei "durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet". Wie stark verwurzelt rechtes Gedankengut in all seinen Facetten in Thüringen bis in die oft beschworene "Mitte der Gesellschaft" hinein ist, zeigt der Thüringen Monitor schon seit Jahren zuverlässig.

Das subjektive Gefühl des Abgehängtseins wiederum führt dazu, dass im Landkreis Sonneberg - wo nur etwa 55.000-Einwohner auf einer Fläche leben, die ungefähr halb so groß wie die der Millionenstadt Berlin - bei der ersten Runde der dortigen Landratswahlen insbesondere die Kandidaten von Linken, SPD und Grünen in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden sind. Vor allem im Vergleich zu den vorhergehenden Landratswahlen in Sonneberg im Jahr 2018 wird das deutlich.

Damals hatte der von Linken und SPD unterstützte Kandidat Hans-Peter Schmitz noch die meisten Stimmen erhalten, kam auf etwa 38 Prozent Zustimmung. Bei der aktuellen Landratswahl nun hat die gemeinsame Kandidatin von Linken und Grünen, Nancy Schwalbach, nur noch rund 4 Prozent der abgegebenen Stimmen bekommen. Die Kandidatin der SPD, Anja Schönheit, kam auf etwa 13 Prozent.

Wahlkampf mit AfD-Rhetorik

Das ist eine massive Verschiebung der politischen Gewichte, die sich auch in vielen anderen ländlichen Regionen Ostdeutschlands wohl bald zeigen wird, wenn sie dort nicht schon eingetreten ist. Wenn also dort in den nächsten Monaten zum Beispiel Abgeordnete direkt gewählt werden, dürften die Entscheidungen zwischen den Kandidaten von CDU und AfD fallen. Im Jahr 2024 werden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen die Landtage neu gewählt.

Dass ausgerechnet der CDU diese Rolle zufällt, ist schon fast ein wenig bizarr, denn sie hat durchaus dazu beigetragen, die AfD im ländlichen Raum stark zu machen. Es waren insbesondere Vertreter der Union, die zuletzt vor allem den Menschen auf dem Land das Gefühl gegeben haben, "die da oben" würden gezielt eine Politik gegen "die da unten" in den süd- oder ostdeutschen Dörfern machen. Der Sonneberger CDU-Kandidat Köpper etwa hatte das von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geplante Heizungsgesetz als "Durchsetzen grüner Ideologie mit brutalster Gewalt" bezeichnet. Weit weg von der Sprache der AfD ist das nicht.

Immerhin hat Köpper nun in der Stichwahl um das Amt des Landrats von Sonneberg eine nicht nur theoretische Chance, sich gegen Sesselmann durchzusetzen. Im ersten Durchgang der Landratswahlen erhielt er etwa drei Prozentpunkte mehr Zustimmung als der CDU-Bewerber bei der dortigen Landratswahl vor fünf Jahren im ersten Wahlgang. Zudem lag die Wahlbeteiligung vor zwei Wochen nur bei 49 Prozent. Für die Stichwahl haben inzwischen Vertreter von SPD, Linken, Grüne und FDP dazu aufgerufen, Köpper zu unterstützen, um Sesselmann zu verhindern. In allen diesen Parteien gilt Köpper als letzte Hoffnung der Demokraten.

Quelle: ntv.de

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