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"Geld für Panzer statt Grüne" Wie die Union den Kampf gegen die AfD gewinnen kann

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Wenn bürgerliche Parteien konservative Forderungen erheben, aber nicht durchsetzen können, stärkt das die AfD.

Wenn bürgerliche Parteien konservative Forderungen erheben, aber nicht durchsetzen können, stärkt das die AfD.

(Foto: picture alliance/dpa)

Den Wettlauf mit rechtsradikalen Parteien gewinnen bürgerliche Parteien nicht, indem sie einfach wilde Forderungen aufstellen. Bürgerliche Parteien müssen liefern. Entsprechend sollten sie ihre Themen wählen.

Das aktuelle Umfragehoch der AfD folgt einer seit Jahren beobachtbaren politischen Logik. Rechtsradikale Parteien gewinnen immer dann an Zustimmung, wenn bürgerliche Parteien identitätspolitische Fragen aufbringen, sich aber mit ihren Vorschlägen nicht durchsetzen können. Besonders wirkmächtig sind dabei die Themen Außenpolitik, Migration und Integration oder alles, was das Verhältnis zwischen Bürgern und "Eliten" berührt, zum Beispiel Abgeordnetendiäten oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

Wenn CDU/CSU und FDP bei diesen Themen Forderungen aufstellen, aber diese nicht umsetzen können, entsteht bei konservativen Wählern der Eindruck: Es gibt ein Problem, aber die Union und/oder die Liberalen sind zu schwach oder zu progressiv, um es in meinem Sinne zu lösen. Diese Wahrnehmung zahlt auf das Anti-Eliten-Narrativ der AfD und ihre Behauptung ein, sie sei die einzig wahre Partei mit konservativen Positionen.

Wenn bürgerliche Parteien dagegen in identitätspolitischen Fragen liefern können, brechen rechtsextreme Parteien in den Umfragen ein. So geschehen 1993, als die CDU/CSU den Asylkompromiss gegen großen Widerstand durchsetzte. In der Folge stürzten die Republikaner von zehn auf unter fünf Prozent Wählerzustimmung. Oder 2015, als die klar kommunizierte Austeritätspolitik von Bundeskanzlerin Angel Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Griechenland ökonomisch fast zerstörte, dafür aber die AfD in den Umfragen von acht auf vier Prozent halbierte.

Misserfolge stärken die AfD

Bürgerliche Parteien, die mit identitätspolitischen Themen auf Wählerfang gehen wollen, müssen sich mit ihren Forderungen unbedingt sichtbar durchsetzen. Nur dann werden sie als Anwalt konservativer Interessen glaubwürdig. Setzen sie sich nicht durch, stärkt das Setzen dieser Themen die rechtsradikale Konkurrenz. Genau das passiert in Deutschland seit ein paar Monaten.

Die FDP positioniert sich in der Regierung als Gegenspieler zu den Grünen, zum Beispiel beim Atomausstieg oder beim Heizungsgesetz. Diese Themen werden dann bewusst von der Sachebene geholt und identitätspolitisch zugespitzt: Die Grünen werden als weltfremde, ideologisch verblendete Großstädterpartei gebrandmarkt. So werden Sozial- und Wirtschaftsthemen zu identitätspolitischen Schlachten FDP vs. Grüne. Die Regierungskompromisse liegen dann aber selten auf FDP-Linie: Der Atomausstieg wurde nur marginal hinausgezögert, über das Heizungsgesetz dürfte noch mindestens bis zur parlamentarischen Sommerpause gestritten werden. In den Augen konservativer Wähler ist die FDP deutlich zu schwach: Sie hat starke Forderungen, kann die dann aber selten durchsetzen. Was wenig verwundert, ist sie doch der kleinste Koalitionspartner. So aber stärkt dieses Vorgehen nur die AfD.

Das Gleiche gilt für die Oppositionsarbeit der CDU/CSU. Sie spricht gesellschaftliche Herausforderungen an, zum Beispiel Integrationsprobleme in Berlin oder bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Sie hat aber keine Vorschläge mit Alleinstellungsmerkmal, geschweige denn sie könnte sie umsetzen. Hätte die Union beispielsweise eine einheitliche Position in Integrationsfragen, die sie klar von ihren Mitbewerbern unterscheidet, könnte sie eben jene in den Ländern umsetzen, die sie regiert, etwa in Bayern und NRW. Das tut sie aber nicht. Mehr noch, die Ministerpräsidenten von Bayern und NRW scheinen in Integrationsfragen einen anderen Kurs zu verfolgen als der CDU-Vorsitzende. Und der Konflikt in der Unterbringungsfrage trennt eher den Bund von den Ländern, statt die CDU von SPD und Grünen. Es gibt also keine klar erkennbare konservative Position, die die Union durchsetzen könnte. Die CDU/CSU-Kampagnen zu diesen Themen stärken somit ebenfalls die AfD.

Umso besser, wenn die Grünen dagegen sind

Es gibt mehrere Möglichkeiten, diesen Mechanismus zu vermeiden. Bürgerliche Parteien könnten komplett auf identitätspolitische Themen verzichten, also allein über Wirtschafts- und Sozialpolitik reden. Oder aber sie suchen sich identitätspolitische Themen, bei denen sie klar sichtbar liefern können. An anderer Stelle habe ich das einen "Bürgerlichen Kompromiss" genannt. Beispiele sind der schon erwähnte Asylkompromiss und die Austeritätspolitik, bei der die Union einen parteipolitischen Konsens bis hin zur SPD schmieden konnte. Die Grünen waren beide Male strikt dagegen, was den "konservativen Sieg" nur umso sichtbarer machte.

Die Union hat in der Opposition im Bund zwei Möglichkeiten, einen Bürgerlichen Kompromiss zu erwirken: über durch den Bundesrat zustimmungspflichtige Vorhaben, in der die Stimmen der Landesregierungen mit CDU/CSU-Beteiligung nötig sind. Oder durch Themen, die zwar nur durch den Bundestag müssen, die CDU/CSU, bei denen sie aber so viel medialen Druck aufbauen kann, dass die Ampelkoalition auf Unionslinie umschwenken muss.

Der Weg über den Bundesrat erscheint schwerer. Denn es scheint, dass sich die beiden wichtigsten Ministerpräsidenten der Union, Markus Söder in Bayern und Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen, in zentralen Fragen bewusst nicht auf den gleichen Kurs wie CDU-Chef Friedrich Merz begeben wollen. Freilich geht es hier um die möglichst vorteilhafte Positionierung mit Blick auf die CDU-Kanzlerkandidatur. Eine einheitliche Unionslinie aufzubauen ist daher schwer. Aber dennoch möglich. Anbieten würde sich zum Beispiel eine Reform des Medienstaatsvertrages, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunk regelt. Hier könnte die Union versuchen, klare konservative Akzente einzuweben. Es ist allerdings nicht klar, ob es der Union gelingen würde, alle zentralen Akteure von einer grundlegenden Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu überzeugen.

Beim Atomausstieg hat die Union eine Chance verpasst

Bevölkerungsrückhalt und medialer Druck sind einfacher zu generieren bei Themen, bei denen die Ampelregierung klar nicht im nationalen Interesse handelt. Hier hat die Union beim Atomausstieg eine große Chance verpasst. Die Umfragewerte, die energiepolitischen Notwendigkeiten und vor allem der breite europäische Widerstand gegen den deutschen Sonderweg lassen unseren Atomausstieg zu diesem Zeitpunkt als höchst fragwürdig erscheinen. Hier hätte die Union eine noch breitere mediale Kampagne fahren können. Wäre die Union hier erfolgreich gewesen, wäre dies eine markante Niederlage für die Grünen gewesen; das wiederum hätten Eindruck bei konservativen Wählern gemacht.

Ein Thema, das sich nun anbietet, ist die Ausrüstung der Bundeswehr. Verteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD meldet einen Finanzmehrbedarf von 10 Milliarden Euro pro Jahr an. Aufgrund der Ausgabenwünsche anderer Ministerien sind aber nur 2 Milliarden vorhanden. Hier könnte die Union ein symbolhaftes Projekt herauspicken und dessen Einführung fordern, etwa die Anschaffung einer kompletten neuen Panzerdivision, Dutzender nuklearwaffenfähiger Kampfflugzeuge oder noch symbolhaftere Themen aufgreifen. Die frühere CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach, wenn auch etwas unglücklich, von einem deutsch-französischen Flugzeugträger. Symbole gibt es also genug. Diese Beschaffungen werden nicht getätigt, da andere Ressorts ebenfalls Geld brauchen. Die Union könnte hier gezielt fordern, Projekte grüner Ministerien nicht zu finanzieren, um besagte Waffensysteme anzuschaffen. Die Schlagzeile "CDU/CSU siegt auf ganzer Linie: mehr Panzer, weniger Geld für Grüne", wäre wohl ein schwerer Schlag gegen die AfD.

Zu meiden sind Themen, die einen europapolitischen Bezug haben. Zum einen, da zu ihrer Durchsetzung Partner in den anderen Ländern nötig sind, die wir schwerer beeinflussen können. Dies bekommen die Grünen gerade in der Asylpolitik leidvoll zu spüren. Wenn die Union auf derartige Themen setzt, ist ein Scheitern wahrscheinlicher.

Zunächst müssen Merz, Wüst und Söder sich abstimmen

Darüber hinaus können derartige Themen vielleicht Wählerstimmen von der AfD zurückgewinnen, aber unter Umständen gegen das langfristige nationale Interesse Deutschlands verstoßen. So war es beispielsweise bei der Austeritätspolitik gegenüber Griechenland, die zur langfristigen Schwächung der Eurozone und dem erzwungenen Verkauf strategischer, griechischer Infrastruktur an China führte. Oder beim Brexit: Das Referendum war ein hoch erfolgreicher Schlag der britischen Konservativen gegen die Rechtsaußen-Partei UKIP - aber zu einem katastrophal hohen Preis.

Der beste Weg der AfD beizukommen, ist der Fokus auf Sozial- und Wirtschaftspolitik, in der die AfD keine Kompetenzen aufzuweisen hat. Jegliche Form des "Kulturkampfes" über identitätspolitische Themen trägt ein großes Risiko in sich, nur die AfD zu stärken. Wenn die Union aber partout identitätspolitische Themen spielen will, um der AfD beizukommen, muss sie in diesen Themen klar sichtbare Politikwechsel weit vor der nächsten Bundestagswahl erreichen. Ankündigungen und Forderungen allein stärken nur die AfD.

Um die Chancen auf Durchsetzung zu erhöhen, sollten die Unionsvorschläge zwischen Merz, Wüst und Söder abgestimmt sein, über breiten Bevölkerungsrückhalt verfügen und keine europapolitische Komponente enthalten. Von den Themen Migration/Integration und Europapolitik ist der Union daher abzuraten. Die Themen Medienstaatsvertrag und Verteidigung sollte sie sich dagegen einmal genauer anschauen.

Timo Lochocki ist Politologe und derzeit Senior Fellow bei der Stiftung Mercator.

Quelle: ntv.de

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