Lästige Suche nach "Atomklo" "Unsere Endlager-Ansprüche sind deutlich höher als in Finnland"
23.08.2024, 11:35 Uhr Artikel anhören
Derzeit befindet sich der deutsche Atommüll in Zwischenlagern - und wird dort auch noch Jahrzehnte bleiben.
(Foto: picture alliance/dpa)
Deutschland hat 36 abgeschaltete und stillgelegte Atomreaktoren. Für den hoch radioaktiven Müll fehlt allerdings noch immer ein Endlager, niemand will "Atomklo" sein. Daran wird sich so bald nichts ändern: Allein die Suche nach einem passenden Standort wird mindestens bis 2074 dauern, schätzt das Freiburger Öko-Institut in einem neuen Gutachten für das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Im "Klima-Labor" von ntv erklärt Gutachterin Judith Krohn die jahrzehntelange Verzögerung: Das Lager wird ergebnisoffen in ganz Deutschland gesucht, "extrem viele" Daten und Gesteinsproben müssen erfasst und ausgewertet werden. Anders als in Gorleben darf auch die Öffentlichkeit bei der Auswahl mitreden - damit möglichst alle glücklich sind. Wäre es sinnvoller, den Müll im Ausland zu lagern?
ntv.de: Warum verzögert sich die Endlagersuche? Hatten wir mit Gorleben nicht längst eins?
Judith Krohn: Zum Teil. Gorleben wurde früh als möglicher Standort benannt, aber dann hat man festgestellt, dass der Salzstock nicht in die Kategorie der bestmöglichen Standorte gehört. Deswegen wurde ein neues Verfahren entwickelt. In diesem Verfahren soll auf einer leeren Landkarte in Gesamtdeutschland begonnen werden und dann auf wissenschaftlicher Basis ein möglichst guter Standort mit der bestmöglichen Sicherheit gefunden werden.
Was war das Problem mit Gorleben?
Es gab starken Widerstand und auch wissenschaftliche Gründe. Mindestanforderungen wie die Tiefe für ein mögliches Endlager wurden erfüllt, auch das passende Wirtsgestein war vorhanden. Bei der genauen Überprüfung sind aber Zweifel an der geologischen Eignung aufgetreten.
Widerstand aus der Bevölkerung ist auch bei den neuen Endlager-Kandidaten zu erwarten, oder?
Deswegen wird im neuen Auswahlverfahren die Öffentlichkeitsbeteiligung großgeschrieben. Diese wird von Anfang an einbezogen. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, sich zu informieren, einzubringen und mitzureden. Das ist ein transparenter Prozess, damit wir gemeinsam zu einem Ergebnis mit hoher Zustimmung kommen.
Wehrt sich in solchen Fällen nicht immer irgendwer? In Ihrem Gutachten heißt es, unter "idealen Bedingungen" sei "frühestens 2074" mit einer Entscheidung zu rechnen. Das klingt so, als wüssten Sie schon heute, dass sich die Suche erneut verzögern wird.
Im Standortauswahlgesetz wird als Zielmarke für die Entscheidung 2031 genannt. In das Verfahren werden aber sehr viele Akteure einbezogen, einzelne Schritte sind zeitlich voneinander abhängig. Das hat vor uns niemand untersucht. Uns war früh klar, dass 2031 nicht zu halten sein wird. Das liegt nicht allein an der Öffentlichkeitsbeteiligung, sondern auch am Ziel: Wir suchen einen Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für eine Million Jahre, und zwar in einem ergebnisoffenen Prozess. Dafür sind viele Untersuchungen notwendig. Noch befinden wir uns in der ersten von drei Auswahlphasen.
Wie genau sieht die aus?
In der ersten Phase werden alle Daten, die jemals im Untergrund erhoben wurden, gesammelt, aufbereitet, zusammengetragen und ausgewertet. Jede Bohrung, die in Deutschland gemacht wurde, egal von wem. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nimmt diese Daten auf und legt bis 2027 fest, welche Teilgebiete über das richtige Wirtsgestein verfügen und möglicherweise als Standort infrage kommen. Diese werden dann auf ihre Eignung untersucht.
Das sind Gebiete mit einem Gestein, das radioaktive Strahlung theoretisch für eine Million Jahre verkraften könnte? Dort muss man sich keine Sorgen machen, dass nach 20.000 Jahren plötzlich ein Leck auftritt?

Die Schachtanlage Konrad ist ein Vorgeschmack auf das, was gesucht wird: Das stillgelegte Eisenerzbergwerk in Salzgitter ist das erste genehmigte Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle Deutschlands.
(Foto: picture alliance/dpa)
Ja. Wir müssen einen Bereich finden, der die schädlichen Auswirkungen des radioaktiven Abfalls im Untergrund halten kann. Aber die Daten sind natürlich nicht überall vorhanden und wurden auch nicht für mögliche Endlager erhoben. Teilweise fehlen also Informationen. In solchen Fällen müssen Erkundungen vorgenommen werden. Das passiert in den Phasen zwei und drei: Erst wird das Gestein mit einfacheren Mitteln untersucht. In Phase drei wird ein Bergwerk aufgefahren, also eine Grube gegraben. Es wird auch diskutiert, ob man stattdessen mit Bohrungen arbeiten kann.
Und diese erste Phase, in der Daten gesammelt und ausgewertet werden, dauert im Idealfall nur bis 2027?
Genau. Die BGE hat bereits einen Zwischenbericht dazu herausgegeben. Die 90 Teilgebiete werden nun genauer untersucht.
Nicht gerade wenig.
Nein (lacht). Deswegen dauert es auch so lange. Aus den teilweise sehr großen, teilweise auch kleinteiligen Gebieten müssen extrem viele Daten verarbeitet und ausgewertet werden, um eine hoffentlich kleine Anzahl an Standortregionen für die Erkundung der zweiten Phase festzulegen. Die BGE schließt sukzessive Gebiete aus, die sich dafür eher nicht eignen.
Man geht nach dem Ausschlussverfahren vor, bis irgendwann nur noch ein Name übrig bleibt?
Bei dieser Sicherheitsuntersuchung schließt man Gebiete aus. Es wird am Schluss aber auch eine Art Ranking der am besten geeigneten Standorte geben. Mit denen beschäftigt man sich im weiteren Verfahren.
Ziehen denn dieses Mal alle Bundesländer mit? Die CSU hat in Bayern jahrelang die Position vertreten: Atomenergie nehmen wir gerne, das Endlager wird aber bitte woanders gebaut.
Derzeit gibt es keine Einschränkungen, ein Großteil des Bundesgebiets ist im Rennen. Daher fallen die Reaktionen aus den Bundesländern bisher verhalten aus. Ob es so bleibt, wird sich zeigen, wenn klar ist, welche Gebiete in die Erkundungsphase gehen. Aber es kann sich kein Bundesland querstellen, weil für dieses Verfahren ein Gesetz erlassen wurde. Darin ist genau festgelegt, wie man zu diesem Standort kommt.
Und wenn das eigene Bundesland ausgewählt wird, muss man da eben durch?
Ja.
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Bis es so weit ist, vergehen noch ein paar Jahrzehnte. Die deutschen Atomkraftwerke sind aber schon jetzt abgeschaltet oder stillgelegt. Wo wird der ganze Atommüll eigentlich derzeit gelagert?
In Zwischenlagern. Ein großer Teil befindet sich an den AKW-Standorten, vereinzelt gibt es auch zentrale Zwischenlager.
Was spricht dagegen, die Brennstäbe einfach dort zu lassen?
Die Brennstäbe oberirdisch in Zwischenlagern zu lassen, ist zu gefährlich. Wir reden über große Zeiträume, in denen sie immer noch strahlen und abklingen müssen. Niemand weiß, was in den nächsten eine Million Jahren politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich passiert. Man muss sich nur den Ukraine-Konflikt anschauen, um festzustellen, wie schnell etwas schiefgehen kann. Und wie der Name sagt: Die Zwischenlager sind zur Zwischenlagerung gedacht.
Aber werden die Zwischenlager nicht gerade de facto zu Endlagern? Aktuell haben wir keines, so lange bleibt der Atommüll dort liegen - länger und länger. Und ob wir den Zeitplan dieses Mal einhalten, weiß auch niemand. "Frühestens 2074 unter idealen Bedingungen", heißt es in Ihrem Gutachten.
Zu Endlagern werden sie nur dann, wenn das Verfahren selbst scheitert. Aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, eine Lösung für diesen Müll zu finden und ihn nicht den nächsten Generationen zu übertragen.
Das machen wir in Deutschland aber relativ oft: Probleme werden den nächsten Generationen übertragen.
Das stimmt. Aber mit diesem Standortauswahlverfahren haben wir erstmals ein Verfahren entwickelt, das das Potenzial hat, zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Letzten Endes bleibt uns auch keine Alternative.
Besteht nicht die Möglichkeit, den Müll ins Ausland zu bringen? Finnland hat vor wenigen Jahren das weltweit erste Endlager gebaut. Dort wird immer wieder mit dem Gedanken gespielt, ausländischen Atommüll ebenfalls aufzunehmen - für sehr viel Geld natürlich.
Das ist keine sinnvolle Option. Es liegt in unserer Verantwortung, ein Endlager zu finden. Es spricht alles dafür, dass das in Deutschland möglich ist. Unsere Ansprüche sind auch deutlich höher als in Finnland: Eine Voraussetzung ist zum Beispiel, dass der Müll rückholbar sein muss, falls etwas passiert. Es gibt keinen vernünftigen Grund, den Atommüll in andere Länder zu bringen, wenn in Deutschland ein Standort mit bestmöglicher Sicherheit für eine Million Jahre gefunden werden kann.
Mit Judith Krohn sprach Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Quelle: ntv.de