Politik

Brantner über Umgang mit Polen "EU muss handeln, sonst macht sie sich lächerlich"

Franziska Brantner will Konsequenzen für die polnische Regierung, aber den Austausch der Bevölkerungen fördern.

Franziska Brantner will Konsequenzen für die polnische Regierung, aber den Austausch der Bevölkerungen fördern.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Beim heutigen EU-Gipfel droht die Abschaffung der unabhängigen Justiz in Polen zum großen Streitthema zu werden. Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner, die auch an den Koalitionsverhandlungen der Ampel beteiligt ist, fordert im Interview mit ntv.de, der polnischen Regierung "deutliche Zeichen" zu setzen - auch mit Sanktionen. Die in Heidelberg als Direktkandidatin gewählte Bundestagsabgeordnete erklärt zudem, wie die Ampelkoalition das Verhältnis zu Osteuropa wieder kitten könnte und welchen Umgang die Grünen künftig mit Flüchtlingen an Europas Außengrenzen erwarten.

ntv.de: Sie verhandeln für die Grünen das Thema Europa in den Koalitionsverhandlungen: Der EU droht auf ihrem Gipfel morgen einmal mehr eine Zerreißprobe wegen der schwindenden Unabhängigkeit der polnischen Justiz. Anders als die scheidende Bundesregierung plädieren Sie für Sanktionen gegen Warschau. Was versprechen Sie sich davon?

Franziska Brantner: Die Europäische Union baut auf der Rechtsstaatlichkeit auf und dieses Fundament der EU müssen wir schützen. Das bedeutet, dass wir sichergehen können, dass die Gesetze gleichermaßen angewandt werden - egal ob in Dänemark, Rumänien, Polen oder Deutschland. Dafür ist es wichtig, dass Gerichte unabhängig sind, dass es Einspruchsmöglichkeiten gibt.

Wie soll die EU das gegenüber Polen durchsetzen? Ein Verfahren zur Prüfung des Stimmenentzugs scheitert unter anderem an Ungarn.

Wir haben hierfür die Rechtsstaatskonditionalität für den EU-Haushalt vereinbart. Also, dass EU-Gelder nicht ausgezahlt werden, wenn Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit eines Mitgliedslandes auch die ordentliche Verwendung von EU-Mitteln infrage stellen. Die EU ist kein Bankomat, sondern eine Wertegemeinschaft. Wenn man solche vereinbarten Sanktionsmechanismen nicht nutzt, macht man sich irgendwann lächerlich.

Polen ist ja nicht der einzige EU-Staat, dessen Rechtsstaatlichkeit anzuzweifeln ist. Wird die Europäische Gemeinschaft wirklich durch gemeinsame Werte getragen?

Doch, wir sind immer noch eine Werte- und Rechtsgemeinschaft. Aber es gibt natürlich mit Ungarn noch ein weiteres Land, das uns Sorgen und Schwierigkeiten macht. Wir sehen dort, dass der jahrelange Schmusekurs von Frau Merkel, das Wegschauen und auf Besserung hoffen gescheitert ist. Deswegen müssen wir der polnischen Regierung jetzt deutliche Zeichen setzen. Zugleich müssen wir weiter in den Austausch zwischen den Bevölkerungen der Länder investieren, zum Beispiel den wissenschaftlichen oder Schüler-Austausch stärken. Es ist wichtig, dass man die Brücke nicht abreißt.

Mittel aus dem gemeinsamen Haushalt oder aus dem Corona-Fonds nicht auszuzahlen, würde aber die Bevölkerungen der Länder treffen.

Unser Grünen-Vorschlag lautet deshalb, nicht die Gelder per se zu streichen, sondern sie direkt an Kommunen und zivilgesellschaftliche Akteure auszuzahlen. So würde man der polnischen Regierung die Macht über die Verteilung der EU-Mittel im Land entziehen. Man muss immer unterscheiden zwischen der Bevölkerung und der Regierung eines Landes.

Die polnische Regierung könnte im Bündnis mit Ungarns Machthaber Viktor Orban auf Sanktionen reagieren, indem sie Entscheidungen der EU blockieren.

In den Bereichen, wo das Prinzip der Einstimmigkeit herrscht, in der Außen- und Sicherheitspolitik, stimmt das. Andere Bereiche, wie das Klimaprogramm der EU-Kommission "Fit for 55" oder die Regulierung der digitalen Märkte, brauchen nur eine qualifizierte Mehrheit. Auch bei der Außen- und Sicherheitspolitik müssen wir zu diesem Prinzip hinkommen.

Der Konflikt zwischen der Bundesregierung und der PiS-geführten Regierung Polens wabert seit Jahren dahin. Muss die Ampel-Regierung einen Neustart in den Beziehungen zum wichtigen Nachbarland Polen versuchen?

Wir hatten immer kritisiert, dass die Sicherheitsinteressen Polens von der bisherigen Bundesregierung ignoriert wurden. Auch bei der russischen Gas-Pipeline Nord Stream 2 haben die osteuropäischen und baltischen Partner berechtigte Sicherheitsanliegen. Wir sehen in der jetzigen Gas-Krise, dass diese Sorgen nicht unbegründet sind. Wenn wir künftig deutsche Wirtschaftsinteressen nicht über polnische Sicherheitsinteressen stellen, könnte das Brücken bauen helfen. Das wäre einen Neustart wert.

Aber Nord Stream 2 wird kaum noch aufzuhalten sein, oder?

Nein, aber damit ist das Thema Energie- und Gaspolitik ja nicht vom Tisch. Da geht es um die Frage, schaffen wir eine europäische Strategie, schaffen wir in der EU etwa gemeinsame Gasspeicher?

Polen führt zudem derzeit einen Abwehrkampf gegen Belarus‘ Diktator Lukaschenko, der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten zur EU-Außengrenze schleust. Wie kann die EU Polen bei der Grenzsicherung schützen, ohne dass es zu hässlichen Pushbacks - gemeint sind gewaltsame Rückweisungen an der Grenze - kommt?

Es ist furchtbar zu sehen, dass Lukaschenko so mit Menschenleben spielt. Er will damit die EU an sich treffen. Deswegen ist es wichtig, dass Europa eine gemeinsame Antwort gibt und Polen und andere Länder an den EU-Außengrenzen nicht allein lässt. Die Antwort können aber nicht Pushbacks sein. Zudem geht es auch darum, wie mit Flüchtlingen umgegangen wird, die die EU-Außengrenze überwinden. Auch da gilt es, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu schützen.

Aber der Wunsch vieler EU-Partner nach einem robusteren Schutz der Außengrenzen ist groß. Wie soll die kommende Bundesregierung diesem Interesse nachkommen und zugleich Grünen-Ideale einer humanen Flüchtlingspolitik hochhalten?

Die EU-Verhandlungen zur Überarbeitung des Dublin-Vertrags, der die Zuständigkeit der Länder im Umgang mit Flüchtlingen regelt, und zu der Frage, welche Aufgaben eine europäische Asylagentur haben soll, laufen ja gerade. Wir Grünen befürworten eine europäische Behörde mit europäischen Beamten, die sich nach europäischem und internationalem Recht verantworten müssten - statt Verantwortung national hin und herzuschieben. Ob das Forderungen der Ampelregierung werden könnten, müssen die Koalitionsverhandlungen zeigen.

Zugleich will die Ampel das "Sterben im Mittelmeer beenden" und legale Migrationswege nach Europa schaffen. Wie könnten diese aussehen?

Ich bin froh über die Sätze im Sondierungspapier, wonach wir als Regierung einen Beitrag dazu leisten wollen, die Missstände an den europäischen Außengrenzen zu beenden. Die Aufgabe ist, dass die Bundesregierung bei den Themen Flucht und Asyl aktiver und konstruktiver wird, als das Bundesinnenminister Horst Seehofer je war. Dass wir die Dinge aussitzen oder in Brüssel Dinge vorschlagen, die zwar nicht umsetzbar sind, aber in Teilen Deutschlands gut ankommen, muss ein Ende haben.

Mit Franziska Brantner sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen