Politik

"Werte aufs Spiel gesetzt" Von der Leyen droht Polen mit Sanktionen

Bei einem Treffen zwischen der EU-Kommission und Polen im Juli waren die Fronten noch nicht so verhärtet. Nun droht von der Leyen (r.) mit Sanktionen, Morawiecki spricht von "Erpressung".

Bei einem Treffen zwischen der EU-Kommission und Polen im Juli waren die Fronten noch nicht so verhärtet. Nun droht von der Leyen (r.) mit Sanktionen, Morawiecki spricht von "Erpressung".

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Der Ton wird schärfer: Nach einem umstrittenen Gerichtsurteil in Polen droht EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit Sanktionen - etwa der Kürzung von EU-Mitteln oder dem Verlust des Stimmrechts. EVP-Chef Weber sieht im Streit nur einen Gewinner, einen lachenden Dritten.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Polen wegen des Infragestellens von EU-Recht schwere Sanktionen angedroht. "Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsamen Werte aufs Spiel gesetzt werden", sagte sie am heutigen Dienstag in einer Debatte mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki im Europaparlament in Straßburg. Die Kommission werde handeln.

Morawiecki warf der EU daraufhin "Erpressung" vor. "Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen drohen", sagte der Ministerpräsident. "Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschritten werden", so Morawiecki weiter. Die EU-Mitgliedsländer müssten Instrumente haben, um auf diese Entwicklung zu reagieren, sagte Morawiecki. Er zitierte aus Urteilen des Obersten Gerichtshofes in den Niederlanden, des französischen Verfassungsrats und des Bundesverfassungsgerichts, um seinen Standpunkt zu untermauern.

Als konkrete Optionen nannte von der Leyen ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren, die Nutzung eines neuen Verfahrens zur Kürzung von EU-Mitteln sowie eine erneute Anwendung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens. Letzteres könnte sogar zum Entzug der polnischen Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen. Hintergrund der Drohungen von der Leyens ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidung wird von der EU-Kommission als höchst problematisch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsame Urteile des EuGH zu ignorieren.

Das Urteil stelle die Grundlagen der Europäischen Union infrage, kritisierte von der Leyen im Parlament. "Es ist eine unmittelbare Herausforderung der Einheit der europäischen Rechtsordnung. Nur eine gemeinsame Rechtsordnung ermöglicht gleiche Rechte, Rechtssicherheit, gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und daraus resultierend gemeinsame Politik."

EVP-Chef Weber kritisiert Staatschefs für Inkonsequenz

Der Fraktionsvorsitzende der Konservativen im EU-Parlament, der CSU-Politiker Manfred Weber, forderte ebenfalls mehr Druck auf Polen und kritisierte gleichzeitig die EU. "Es kann nicht sein, dass Gelder genommen werden, aber die Prinzipien, die dahinter stehen, die Ideen, die dahinter stehen, unsere Hausordnung im Hause Europas, das die nicht mehr respektiert wird", sagte Weber im ZDF-Morgenmagazin. Den Stopp von europäischen Corona-Aufbaugeldern nach Polen bezeichnete Weber als "erstes wichtiges Signal". "Aber weitere Schritte müssen folgen", betonte er.

Weber forderte konkrete Maßnahmen für ein Sanktionsverfahren gegen Polen, das seit 2017 auf dem Tisch liege. Die europäischen Staats- und Regierungschefs hätten das aber bisher nicht weiter verfolgt. "Das muss ich kritisieren", erklärte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP). "Vor den Sitzungen Statements abgeben, aber in der Sitzung das nicht ansprechen, das geht nicht. Wir brauchen Klartext in der Europäischen Union."

Kritik an Polen auch aus Österreich und Luxemburg

Nach der Rede des polnischen Regierungschefs sagte Weber: "Durch Ihre Rede heute hier sähen Sie Spalt und Streit in der Europäischen Union. Sie machen Europa schwächer mit diesem politischen Ansatz". Darüber freue sich vor allem Russlands Präsident Wladimir Putin. "Bitte hören Sie auf damit", forderte Weber. "Wer das Primat des Europäischen Gerichtshofs ablehnt, wer die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft ablehnt, wer die Unabhängigkeit der Justiz ablehnt, der tritt faktisch aus der Europäischen Union als Rechtsgemeinschaft aus", betonte der CSU-Politiker.

Ähnlich wie Weber äußerte sich auch die österreichische EU- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler. "Geld ist ein sehr effizientes Mittel um zu zeigen, dass es uns hier sehr ernst ist mit der Rechtsstaatlichkeit", sagte sie bei einem Treffen mit Amtskollegen. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte, an einem Ende des Rechtsstaats-Prinzips werde Europa "sterben". Deutlich moderatere Worte kamen dagegen von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie mahnte zuletzt mit deutlichen Worten Dialogbereitschaft auch vonseiten der EU an. "Wir haben große Probleme, aber ich rate dazu, sie im Gespräch zu lösen und Kompromisse zu finden", sagte sie. Zu glauben, dass man politische Differenzen und vielleicht auch Differenzen in der Wahrnehmung der Europäischen Union nur durch Gerichtsverfahren klären könne, finde sie nicht richtig.

Für die Notwendigkeit einer Einigung im Dialog spricht auch, dass die von der EU-Kommission angedrohten Sanktionsverfahren nur dann vorangetrieben werden können, wenn eine große Mehrheit der anderen EU-Staaten dies unterstützt. Dies ist bislang alles andere als sicher. Hinzu kommt, dass Polen in Reaktion auf Strafmaßnahmen einstimmig zu treffende EU-Entscheidungen blockieren und so zum Beispiel die gesamte EU-Außenpolitik lahmlegen könnte. Dass Polen über das bereits laufende Artikel-7-Verfahren die EU-Stimmrechte entzogen werden könnten, gilt derzeit wegen der Mehrheitsverhältnisse im zuständigen EU-Ministerrat als ausgeschlossen. Der EU-Kommission bliebe damit lediglich die Möglichkeit, weiter die Auszahlung von EU-Corona-Hilfen hinauszuzögern und darauf zu hoffen, dass der EuGH im Fall von nicht eingehaltenen Urteilen Zwangsgelder verhängt.

Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP/DJ

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