Baerbock in München "Feministische Außenpolitik heißt für mich, um Hilfe zu bitten"
18.02.2023, 19:01 Uhr
Am 1. März will Baerbocks Ministerium Leitlinien zur feministischen Außenpolitik vorlegen.
(Foto: picture alliance / photothek)
Nächste Woche will das Auswärtige Amt die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik vorlegen. In München erklärt Ressortchefin Baerbock, warum sie anfangs nicht begeistert von der Aufgabe war, als erste weibliche Außenministerin auch die erste feministische Außenpolitik Deutschlands auszurufen.
Ein Raum voller Frauen ist auf der Münchner Sicherheitskonferenz für sich genommen schon eine Besonderheit. Und hier sitzen Vize-Präsidentinnen, Außenministerinnen, Verteidigungsministerinnen, Nobel-Preisträgerinnen, Hollywood-Schauspielerinnen, Menschenrechtsaktivistinnen und Journalistinnen. Fast 100 hochkarätige weibliche Gäste treffen sich auf Einladung des Netzwerks Frauen100 und des Zentrums für feministische Außenpolitik CFFP zu einem offiziellen Side-Event der MSC im Charles Hotel. Das Thema: feministische Außenpolitik.
Eine der bekanntesten Vertreterinnen davon ist wohl Außenministerin Annalena Baerbock, die es sich nicht nehmen lässt, die Eröffnungsrede zu halten. Etwas aufgeregt, schließlich muss sie auf Englisch reden, spricht sie am Ende eine gute halbe Stunde - fast dreimal so lang wie vorgesehen. Sie hat offenbar viel zu sagen. Schließlich stand sie zuletzt gerade mit Blick auf die Revolution im Iran immer wieder in der Kritik: Viele Aktivistinnen hätten sich hier mehr "feministische Außenpolitik" gewünscht.
Einige von ihnen sitzen heute mit am Tisch. So wie die iranische Hollywood-Schauspielerin und Menschenrechts-Aktivistin Nazanin Boniadi. Als Teil der Exil-Opposition hat sie viel Lob für Baerbock, hofft aber auch auf Unterstützung, "um die Revolutionsgarde der Islamischen Republik als Terror-Organisation einzustufen." Es ist das erste Mal, dass die Islamische Republik von der Münchner Sicherheitskonferenz ausgeladen- und Mitglieder der Exil-Opposition eingeladen wurden. Ein starkes Zeichen.
"Bewegungen von Frauen sind erfolgreicher"
Im Interview mit RTL/ntv erklärt Nazanin Boniadi: "Die Geschichte hat gezeigt, dass Bewegungen, in denen Frauen eine große Rolle spielen, erfolgreicher sind als solche, in denen sie in zweiter Reihe stehen. Im Iran sehen wir eine von Frauen angeführte Revolution. Frauen sind hier der Motor der Proteste." Denn Frauen waren die Ersten, die von den Mullahs entrechtet wurden. Frau-Leben-Freiheit! Mit diesem Slogan entsteht im Iran die erste Frauenrevolution der Welt, die von Männern unterstützt wird.
All das würde Baerbock gerne aufgreifen - ihre Rede wirkt an vielen Stellen aber eher wie ein Erklärungsversuch. Feminismus, das sei für viele immer noch ein "Trigger-word", also etwas, das provoziert. Und deswegen sei sie anfangs auch gar nicht so begeistert davon gewesen, die feministische Außenpolitik im Auswärtigen Amt auszurufen. Schließlich sei schon allein die Tatsache, dass sie als 42-jährige Frau mit zwei Kindern Außenministerin ist, feministisch und eine Provokation. Aber die Grünen hätten es eben im Koalitionsvertrag durchgesetzt – "gern geschehen!", ruft jemand – und sie nehme die Aufgabe an.
Zum Beispiel, indem sie auf ihren Reisen immer auch ein Treffen mit Frauen zur Priorität mache. Auf Palau beispielsweise trifft sie die Frauen, die in dem pazifischen Inselstaat traditionell für die Landwirtschaft zuständig sind und besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden. In Usbekistan besucht sie ein Frauenhaus. Dies seien für sie keineswegs "Wohlfühl-Termine". Im Gegenteil, man könne sich darauf nicht vorbereiten. Und sie treffe dort einige der mächtigsten Frauen überhaupt. Es gehe nicht darum, die Opfer zu bemitleiden. Es gehe darum, den Kampf der Frauen für Gerechtigkeit weltweit anzuerkennen.
"Also, bitte geht ans Telefon"
Auf der Seite des Auswärtigen Amts heißt es, es gehe um die Förderung der Rechte, von Repräsentanz und der Ressourcen von Frauen und marginalisierten Gruppen. Zudem soll Diversität gefördert werden. Was genau das in der Praxis bedeutet, soll noch ausgearbeitet werden. Am 1. März will das Auswärtige Amt dann seine Leitlinien zur feministischen Außenpolitik vorlegen.
Manchmal stoße sie selbst mit dem Ansatz an ihre Grenzen, sagt Baerbock und nennt das Beispiel Afghanistan. Als die Taliban im Dezember verkündeten, Frauen dürften nicht mehr in internationalen Hilfsorganisationen arbeiten, weil nicht sichergestellt sei, dass sie sich dort an die islamische Kleiderordnung halten, stand sie vor der Frage, "zahlen wir weiter Hilfsgelder an dieses frauenverachtende System, oder stoppen wir die Zahlungen sofort und riskieren damit, dass Tausende afghanische Kinder keine dringend benötigten Hilfsgüter mehr bekommen?" In solchen Momenten setze sie auf die Expertise von Menschenrechtsaktivistinnen aus der Region und ruft die Frauen im Raum auf "also, bitte geht ans Telefon, wenn ich euch mitten in der Nacht anrufe". Für sie bedeute feministische Außenpolitik, auch mal um Hilfe zu bitten.
Das lassen sich viele im Raum nicht zweimal sagen und wollen nach der Rede unmittelbar mit ihr sprechen. Gerade die Revolution im Iran steht im Mittelpunkt. Schließlich hängt sie unmittelbar mit dem Krieg in der Ukraine zusammen. Geht man nach der feministischen Außenpolitik, ist niemand sicher, solange die Frauen nicht sicher sind.
Für Abkehr von Sicherheit durch Waffen
Kristina Lunz, die Gründerin des Zentrums für feministische Außenpolitik, sagt, dass dafür lange gepflegte Konventionen grundlegend neu gedacht werden müssten. Die feministische Außenpolitik steht für eine Abkehr von Sicherheit durch Waffen und der globalen Aufrüstung, insbesondere in Form von Atomwaffen.
Das Konzept strebt einen sogenannten positiven Frieden an. Gemeint ist, Armut, Hunger, strukturelle Gewalt und Ungleichheit zu überwinden. Konkret soll das zum Beispiel im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit durch eine stärkere Einbeziehung lokaler Akteurinnen und Akteure gelingen. Gerade mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine erklären viele Analysten diesen Ansatz für gescheitert. Die Frauen halten dagegen: Russlands Präsident Wladimir Putin führe den Krieg auch mit der Unterstützung des Irans.
Journalistin Natalie Amiri, die fünf Jahre im Iran Korrespondentin war, erklärt: "Putin wird definitiv durch die Islamische Republik gestärkt. Die Drohnen, die jetzt über Kiew fliegen und für Zerstörung sorgen, werden aus dem Iran geliefert. Allein 80 Drohnen wurden in 48 Stunden Anfang des Jahres abgeschossen. Insofern wird dieser Krieg laut Militär-Experten länger dauern, solange die Islamische Republik Iran weiter Waffen nach Russland schickt. Und dafür bekommt Teheran im Gegenzug übrigens auch Waffen. Im März sollen 24 Kampfjets von Russland an den Iran ausgeliefert werden. Insofern tut diese Allianz in Bezug auf den Weltfrieden wirklich gar nicht gut."
Nazanin Boniadi ist sich sicher, die Zeit für eine neue Iran-Politik im Westen sei gekommen, von der die Weltgemeinschaft nur profitieren könne. Es geht um Women-Life-Freedom. Frau-Leben-Freiheit. Ein Prozess. Eine Bewegung, die Baerbock mit ihrer feministischen Außenpolitik maßgeblich unterstützen kann. Und die das sicherheitspolitische Gefüge der Welt komplett verändern könnte.
Quelle: ntv.de