Armee vermutet ihn im Tunnel Für Israel ist Hamas-Führer Sinwar der Teufel
30.11.2023, 16:06 Uhr Artikel anhören
Mastermind des Massakers: Sinwar ist ein Führertypus, der bei vielen Palästinensern offenbar gut ankommt.
(Foto: picture alliance / AA)
Palästinenser, die mit Israel zusammenarbeiten, erwürgte er mit eigenen Händen: Jahja Sinwar führt die Hamas im Gazastreifen und seit er das Massaker vom 7. Oktober geplant hat, wächst auch seine Popularität im Westjordanland. Seit Oktober ist er verschwunden.
Für die israelische Armee ist er "das Gesicht des Teufels": Jahja Sinwar, politischer Anführer der islamistischen Hamas im Gazastreifen. Der 61-Jährige gilt als Drahtzieher des brutalen Hamas-Angriffs auf Israel mit 1200 Toten am 7. Oktober und steht schon seit Jahren auch auf der US-Terror-Liste. Bisher scheiterten alle Versuche, ihn auszuschalten.
Kurze graue Haare, Vollbart, schmale Statur. So zeigte sich Sinwar in der Öffentlichkeit. Seit Oktober ist er nicht mehr aufgetreten, er wird ebenso wie der militärische Hamas-Anführer Mohammed Deif im Tunnelsystem unter dem Gazastreifen vermutet. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant versicherte Anfang November: "Wir werden Sinwar finden und eliminieren."
"Er hat die Operation geplant"
Hunderte Hamas-Kämpfer waren im Morgengrauen des 7. Oktober in den Süden Israels eingefallen, sie ermordeten mehr als tausend Menschen mit einer Grausamkeit, die nicht einmal Babys verschonte. Über 240 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, wurden zudem in den Gazastreifen als Geiseln verschleppt. "Das war seine Strategie, er hat die Operation geplant", sagt Leïla Seurat vom arabischen Forschungszentrum CAREP in Paris. Vermutlich habe er den Überfall ein bis zwei Jahre lang vorbereitet. "Damit hat er alle überrascht", sagt die Wissenschaftlerin.
Sinwars Karriere in der Hamas verlief über Jahrzehnte im Verborgenen. Als 1987 die erste Intifada, der palästinensische Aufstand gegen die israelische Besatzung, in einem Flüchtlingslager im Norden des Gazastreifens begann, schloss sich Sinwar der neu gegründeten Hamas an. Er selbst stammt auch aus einem Flüchtlingslager: Chan Junis im Süden. Später studierte er an der Islamischen Universität in Gaza-Stadt.
23 Jahre in israelischen Gefängnissen
Mit 25 Jahren leitete er bereits jene Hamas-Einheit, die Palästinenser bestrafte, die mit den Israelis zusammenarbeiteten. Wegen der Tötung zweier israelischer Soldaten wurde er viermal zu lebenslanger Haft verurteilt. Insgesamt saß Sinwar 23 Jahre in Israel im Gefängnis. Dort lernte er Hebräisch und setzte sich als Anführer der Gefangenen durch. 2011 kam Sinwar frei - als einer von 1000 palästinensischen Häftlingen, die gegen den israelischen Soldaten Gilad Schalit ausgetauscht wurden.
Sechs Jahre später, im Jahr 2017, wählte ihn die Hamas zu ihrem Führer im Gazastreifen, nachdem sein Vorgänger Ismail Hanija Chef der Organisation wurde und ins Exil ging. Sinwar sei charismatisch und treffe "Entscheidungen in völliger Ruhe", beschrieb ihn damals der frühere Mitgefangene Abu Abdallah. "Militärisch radikal und politisch pragmatisch", nennt Forscherin Seurat die Strategie Sinwars an der Spitze der Hamas. "Er propagiert Gewalt nicht um der Gewalt willen, sondern um die Israelis zu Verhandlungen zu zwingen."
Sinwar berichtete in Verhören in Israel offenbar von seiner eigenen Brutalität. In einem von israelischen Medien veröffentlichten Auszug beschreibt er, wie er einen angeblichen Verräter entführte: "Wir brachten ihn zum Friedhof von Chan Junis (...), ich legte ihn in ein Grab und erwürgte ihn mit einem Tuch (...). Ich war mir sicher, dass er wusste, dass er den Tod verdiente."
Immer auch das Westjordanland im Blick
Politisch will Sinwar eine einheitliche Führung in allen Palästinensergebieten erreichen, also auch im besetzten Westjordanland, das von der mit der Hamas rivalisierenden Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas regiert wird. Die Denkfabrik European Council on Foreign Relations weist darauf hin, dass "er deutlich gemacht hat, dass er jeden bestrafen würde, der versucht, die Aussöhnung mit der Fatah zu behindern".
Als Sinwar zum Hamas-Führer im Gazastreifen gewählt wurde, sprach sich die Organisation für einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 aus, langfristiges Ziel blieb jedoch weiterhin die "Befreiung" ganz Palästinas - also die Vernichtung Israels.
Seine Reden hält Sinwar gern vor Plakaten des Felsendoms, der symbolträchtigen Moschee in Jerusalem. Nie spricht er darin nur über den Gazastreifen, immer erwähnt er auch das Westjordanland. Seit dem Abkommen zwischen der Hamas und Israel zum Austausch von Geiseln gegen palästinensische Gefangene ist Sinwars Popularität im von Israel besetzten Westjordanland enorm gestiegen. Abend für Abend wurden dort in den vergangenen Tagen nicht nur die freigelassenen Palästinenser bejubelt, sondern auch Sinwar als ihr Befreier gefeiert.
Quelle: ntv.de, mau/AFP