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Nicht nur militärische Führung Israels Zielpersonen: Das sind die Köpfe der Hamas

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Jahja Sinwar ist Israel zufolge bereits ein toter Mann.

Jahja Sinwar ist Israel zufolge bereits ein toter Mann.

(Foto: imago/ZUMA Press)

In der Vergangenheit hat Israel nach Angriffen der Hamas gezielt versucht, die unmittelbar Verantwortlichen zu treffen. Doch nach dem Massaker vom 7. Oktober gilt dieser Ansatz nicht mehr. Jede prominente politische, soziale und wirtschaftliche Persönlichkeit der Hamas ist ein potenzielles Ziel.

Nach dem Massaker, das Hunderte Hamas-Terroristen in israelischen Grenzorten und bei einem Musikfestival anrichteten, verglich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Hamas mit dem Terrornetzwerk Islamischer Staat. Seitdem greift Israel Ziele im Gazastreifen an, mit dem erklärten Ziel, die Hamas zu zerstören.

Der israelische Militärsprecher Jonathan Conricus erklärte am Dienstagmorgen, das Militär attackiere die Infrastruktur der Hamas und suche aktiv nach den Verstecken ihrer Führungsleute. Bei einem Luftangriff wurde der IDF zufolge bereits der Chef des Schura-Rats der Hamas, Osama Mazini, getötet. Dieser sei für die Gefangenen der Hamas verantwortlich gewesen und habe terroristische Aktivitäten gegen Israel geleitet. Der Schura-Rat wählt das Politbüro der Hamas, das die oberste Entscheidungsinstanz der im Gazastreifen herrschenden Organisation ist. Wer ihm genau angehört, ist dem US-Think Tank Council on Foreign Relations zufolge nicht bekannt.

IDF-Sprecher Daniel Hagari unterstrich, dass die Eliminierung hochrangiger Hamas-Funktionäre höchste Priorität habe. Ein Name, der immer wieder fällt, ist der von Ismail Hanija. Der 61-Jährige ist der politische Führer der Hamas, hält sich allerdings kaum im Gazastreifen auf. Vielmehr lebt er seit 2019 im Ausland, vermutlich meist in Katar. Am Tag nach dem Massaker in Israel traf er in Katars Hauptstadt Doha den iranischen Außenminister Hossein Amirabdollahian und sprach von einem "historischen Sieg" der Hamas.

Hanija ist seit 2017 Präsident des 15-köpfigen Politbüros der Hamas. 2018 stufte ihn das US-Außenministerium als Terrorist ein und bescheinigte ihm "enge Verbindungen zum militärischen Flügel der Hamas". Hanija, der lange als vergleichsweise moderat galt, ist demnach inzwischen "ein Befürworter des bewaffneten Kampfes, auch gegen Zivilisten". Ob es neben den Angriffen im Gazastreifen auch Geheimoperationen gibt, die auf Hanija direkt abzielen, ist offiziell nicht bekannt.

Suche nach dem "Phantom"

Staatsfeind Nummer eins für Israel ist allerdings Mohammed Deif, der Anführer der Kassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas. In ihm vermutet Israel den Drahtzieher hinter dem Massaker, das er gemeinsam mit seinem Stellvertreter, Marwan Issa, geplant haben soll.

Deif hatte am Tag des in der israelischen Geschichte beispiellosen Massakers an Zivilisten erklärt, eine "Militäroperation" gegen Israel habe begonnen. Nach palästinensischen Angaben ist Deifs Bruder, Abdul Fattah Deif, während eines Luftangriffs in Chan Junis im Süden des Gazastreifens ums Leben gekommen. Laut Hamas-nahen Medien sollen auch weitere Angehörige von Deif bei dem Angriff gestorben sein. Deif selbst wird häufig als "Phantom" bezeichnet, weil er schon zahlreiche israelische Tötungsversuche überlebt hat.

Der Direktor des Center for Middle East Policy beim US-Think Tank Brookings, Natan Sachs, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, soweit er wisse, sei auch Deif schwer verwundet worden, habe aber "nominell noch das Kommando" über die Kassam-Brigade . "Es gibt nicht viele Informationen darüber, was er tut", so Sachs. "Wenn es sie gäbe, hätte Israel ihn natürlich schon ausgeschaltet."

Auch Issas Name steht auf der israelischen Liste der meistgesuchten Personen. 2006 wurde er bei einem Attentat während eines Generalstabstreffens, an dem er zusammen mit Deif und anderen hochrangigen Anführern der Kassam-Brigaden teilnahm, verletzt. Israelische Kampfflugzeuge zerstörten außerdem einmal 2014 und erneut 2021 sein Haus in Gaza und töteten unter anderem einen seiner Brüder.

"Wird kämpfen, bis er stirbt"

Offizieller Militärchef der Hamas ist Jahja Sinwar. Über ihn sagte IDF-Sprecher Richard Hecht: "Sinwar ist der Anführer der Hamas in Gaza und er ist ein toter Mann." Der 60-jährige Sinwar wird von Israel wegen seiner gewalttätigen und grausamen Foltermethoden gegen seine Feinde, sowohl Israelis als auch Palästinenser, als "Schlächter von Chan Junis" bezeichnet - Chan Junis ist eine Ortschaft im südlichen Gazastreifen. Dem US-Sender Fox News sagte der Leiter des Palästinensischen Studienforums am Dayan Center der Universität Tel Aviv, Michael Milshtein, Sinwar sei weitaus härter und radikaler als Hanija oder der frühere Politbüro-Chef Chalid Maschal. "Er glaubt, dass er geboren wurde, um den Dschihad zu fördern und die Ungläubigen zu töten, das ist sein Ansatz."

"Ich sehe ihn nicht weglaufen, aufgeben oder sich ergeben, er wird kämpfen, bis er stirbt", so Milshtein. Sinwar habe Gaza in den letzten sechs Jahren nur ein- oder zweimal für Aufenthalte in Ägypten verlassen. "Er weiß nicht viel über den Rest der Welt oder über diplomatische Beziehungen, er konzentriert sich auf den Dschihad." Israel sieht in Sinwar den Finanzier und Ausbilder für die Massaker vom 7. Oktober. Er sei es gewesen, der das ultimative grüne Licht für die Umsetzung der Terroroperation gegeben habe, zitiert Fox einen IDF-Sprecher.

Letztlich sind politische Analysten überzeugt, dass neben den führenden Köpfen die gesamte Organisationsstruktur der Hamas Ziel der israelischen Angriffe ist. Natürlich auch Ex-Politbüro-Chef Maschal, der inzwischen Leiter des politischen Büros der Gruppe im Ausland ist und ebenfalls in Katar lebt, oder Salameh Katawi, der für die Hamas in israelischen Gefängnissen zuständig ist.

Milshtein zufolge habe sich Israel in der Vergangenheit bei seinen Angriffen hauptsächlich auf den militärischen Flügel der Hamas konzentriert. "Heute versuchen wir, das gesamte Spektrum anzugreifen - ich meine, prominente politische, soziale und wirtschaftliche Persönlichkeiten der Hamas", so der Analyst im Magazin "New Yorker". Israels Verteidigungsminister Joew Gallant fasste das Ziel der Angriffe vor gut einer Woche mit dem Satz zusammen: "Wir werden dieses Ding namens Hamas, diesen Gaza-IS, vom Erdboden tilgen. Es wird aufhören zu existieren." Inzwischen sind Milshtein zufolge bereits mehrere prominente politische und religiöse Persönlichkeiten getötet worden. "Ich denke, dass sie vielleicht geglaubt oder gedacht haben, dass sie nicht hochrangig genug sind, sodass sie nicht in einem Schutzraum untergebracht werden müssen, und das Israel nicht versucht, sie anzugreifen." Doch das seien Annahmen aus der Zeit vor dem 7. Oktober.

Quelle: ntv.de

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