Politik

Friedensgipfel in der Schweiz Es wird Zeit für einen neuen D-Day

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Zu den D-Day-Feierlichkeiten in der Normandie am Donnerstag kam auch der ukrainische Präsident Selenskyj - hier mit Veteranen der "Operation Overlord".

Zu den D-Day-Feierlichkeiten in der Normandie am Donnerstag kam auch der ukrainische Präsident Selenskyj - hier mit Veteranen der "Operation Overlord".

(Foto: picture alliance/dpa/Belga)

Der Friedensgipfel in der Schweiz wird der Ukraine keinen Frieden bringen. Dafür ist das "echte Bündnis" nötig, von dem US-Präsident Joe Biden in der Normandie sprach.

Diese Woche feierten die freien Länder des Westens die Landung der Alliierten in der Normandie vor 80 Jahren. "Der Kampf zwischen Diktatur und Freiheit endet nicht. Hier in Europa sehen wir ein krasses Beispiel", sagte US-Präsident Joe Biden anlässlich des D-Days mit Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Erneut bekräftigte er, fest an der Seite des überfallenen Landes zu stehen. Und verwies auf das entschlossene Miteinander der Alliierten im Kampf gegen Hitlers Wehrmacht. "Das war eine eindrucksvolle Illustration davon, wie Bündnisse, echte Bündnisse, uns stärker machen." Das stimmt. Nur müssen die Bündnisse dann auch wirklich "echt" sein.

Boris Bondarew ist Ex-Diplomat Russlands. Im Mai 2022 schied er aus dem Dienst aus - aus Protest gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kürzlich erschien sein Buch "Im Ministerium der Lügen".

Boris Bondarew ist Ex-Diplomat Russlands. Im Mai 2022 schied er aus dem Dienst aus - aus Protest gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kürzlich erschien sein Buch "Im Ministerium der Lügen".

Seit Beginn der Invasion stand die Ukraine vor der Herausforderung, sich die größtmögliche Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu sichern. Anfangs gelang das. Doch die Hilfe bröckelt immer mehr. Während in den ersten Monaten des Krieges die überwältigende Mehrheit der UN-Staaten die Resolutionen unterstützte, die einen sofortigen Rückzug der russischen Truppen forderten, sieht die Situation heute ganz anders aus. Begünstigt wurde und wird das durch das Fehlen einer klaren Strategie der westlichen Partner der Ukraine, allen voran der Vereinigten Staaten. Und durch ihren äußerst vorsichtigen und oftmals - so muss man es sagen - windelweichen Kurs gegenüber Russland. Kanzler Olaf Scholz ist da ganz vorn dabei.

Wie wacklig die Allianz gegen Russland ist, zeigt sich auch daran, dass Biden nicht zum Ukraine-Friedensgipfel in die Schweiz reisen wird. Stattdessen schickt er Vizepräsidentin Kamala Harris und seinen Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan am 15. und 16. Juni ins Luzerner Hotel Bürgenstock. Sollten Berichte zutreffen, dass Biden seinen Wahlkampf gegen Donald Trump der Diskussion über das Schicksal der Ukraine vorgezogen hat, erscheint sogar die Weigerung Chinas, Indiens und Saudi-Arabiens als einigermaßen logisch, keine Delegationen nach Luzern zu schicken. Wozu denn? Der US-Präsident lieferte ihnen einen Grund. Weder Chinesen noch Araber oder Inder haben es bekanntlich eilig, in einen antirussischen Chor einzustimmen. Und wenn Biden nicht kommt …

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Die Erwartungen an die Konferenz waren zunächst hoch. Hauptziel des Treffens war es, den Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden zu schaffen, der auf dem Völkerrecht und der UN-Charta basiert. Ursprünglich wurden mehr als 160 Delegationen aus Staaten aller Kontinente erwartet - bis heute haben Vertreter aus rund 50 Ländern ihre Teilnahme bestätigt. Über den Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wird nicht diskutiert. Man wird nicht das große Rad drehen: Die Themen sind eng gefasst, es geht um die Freiheit der Schifffahrt im Schwarzen und Asowschen Meer, die Energiesicherheit der Ukraine und den Austausch von Kriegsgefangenen. Doch selbst diese Punkte werfen teils Fragen auf. Was soll beispielsweise beim Austausch von Kriegsgegangenen erreicht werden? Es ist nicht klar, wie die NATO der Ukraine hier helfen könnte.

Russland hat kein Interesse an Frieden

Dass Russland nicht eingeladen ist, beklagte prompt die russische Diplomatie. Dabei ist bekannt, dass in Anwesenheit Putin-treuer Teilnehmer keine fruchtbare Diskussion möglich ist. Russland hat kein Interesse an Frieden, Putin will die Ukraine erobern. Trotzdem wird gefordert, das Land zur Konferenz einzuladen und "im Geiste der Offenheit und des guten Willens" eine friedliche Lösung zu diskutieren. Wenn diese "Humanisten" und "Tauben" nach zweieinhalb Jahren Krieg immer noch nicht begriffen haben, worum es bei Putins Diplomatie und seiner "friedliebenden Politik" geht, dann ist die Sache völlig aussichtslos.

Die Befürworter schnellstmöglicher Verhandlungen mit Russland haben in der Regel keine Vorstellung davon, wie solche Gespräche aussehen, von wem sie geführt und welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden sollten oder müssten. Sie ignorieren die diplomatische Erfahrung, dass sich der Initiator von Verhandlungen fast immer in einer schwachen Position befindet - es sei denn, der Feind kapituliert. Doch Putins Russland wird nicht kapitulieren.

Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was Putin fordern würde: die berüchtigte "Entmilitarisierung und Entnazifizierung" und die auf dem Istanbuler Treffen im März/April 2022 vorgelegten Bedingungen. Simpel gesagt: Putin will das Ende der Souveränität der Ukraine, und er will ihr die Fähigkeit nehmen, sich mit bewaffneten Mitteln zu verteidigen. Die Folge wäre, die Ukraine in direkte Abhängigkeit und Unterordnung unter Moskaus Regierung zu bringen. Es wäre das Ende der Ukraine.

Es stellt sich die Frage: Wo genau sehen die Befürworter sofortiger Verhandlungen Möglichkeiten, auf Russland einzuwirken, der Ukraine das Überleben zu sichern? Womit könnte die Ukraine Druck auf die russische Seite ausüben, damit die Verhandlungen mehr oder weniger gleichberechtigt verlaufen und nicht in ein Ultimatum Moskaus ausarten? Wie sollte die Einhaltung etwaiger Vereinbarungen durch die russische Führung gewährleistet werden? Es ist bekannt, dass der Kreml von Diplomaten ausgehandelte Zusagen nicht einhält.

Die Ukraine muss endlich in eine starke Position gebracht werden

Damit Putin überhaupt ins Nachdenken kommt, was die Chancen für eine echte Friedenskonferenz erhöhen würde, sind diverse Maßnahmen erforderlich. Die Ukraine muss endlich in eine militärisch starke Position gebracht werden. Dazu gehört die Lieferung von Langstreckenraketen, Flugzeugen, Luftabwehrsystemen und Munition. Und die Erlaubnis, die Waffen überall auf russischem Territorium einsetzen zu dürfen, freilich nur gegen militärische Ziele.

Allein eine harte Haltung und eine ruhig formulierte Warnung des Westens Richtung Moskau, alle "Kräfte und Mittel" konsequent gegen Russland einzusetzen, können die Kreml-Strategen, die auf Krieg setzen, ernüchtern. Das Wichtigste ist - und daran hapert es nach wie vor - eine einheitliche, klare Strategie der westlichen Welt, um Russland und Putins Revanchismus einzudämmen. Der Westen muss endlich klären: Was soll das Ergebnis des Krieges sein? Sind die NATO-Länder bereit, die Zügel anzuziehen und den Aggressor für seine Verbrechen und Drohungen bezahlen zu lassen? Oder soll irgendwie und irgendwann mit Putin über eine Neuaufteilung der Welt "verhandelt" werden?

Es reicht jedoch nicht aus, eine solche Strategie zu beschließen, sondern sie muss auch konsequent umgesetzt werden. Denn gerade die ständige Unentschlossenheit und die oft offen zur Schau gestellte Angst vor einer Konfrontation mit Russland signalisiert Moskau nicht kluge Besonnenheit. Im Gegenteil wird Moskau nur in seiner Haltung bestärkt, dass der Westen in Dekadenz versinkt und moralisch nicht in der Lage ist, seine Interessen zu verteidigen. Der gleiche Eindruck wird den Ländern des globalen Südens vermittelt, die bereit sind, Putin zu glauben.

Die Verbündeten der Ukraine müssen endlich die Angst vor einer Eskalation überwinden, die sie so sehr fürchten. Dabei ist es Putin, der große Angst hat, dass die NATO aufseiten der Ukraine eingreift - was ein neuer europäischer D-Day wäre, für den es Zeit wird. Biden sollte sich seine eigenen Worte von den "echten Bündnissen" zu Herzen nehmen und danach handeln. Mit ewigen Beschwörungen ist Putin nicht zu besiegen. So brutal es klingen mag: Jemanden wie Putin muss man an den Verhandlungstisch bomben. Sonst wird jede anstehende Konferenz so ausgehen wie die in Luzern: ohne Durchbruch und ohne Chance für nachhaltigen Frieden.

Quelle: ntv.de

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