Politik

Heftiger Streit über Russland Gysi und Wagenknecht liefern sich Schlagabtausch

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Sind derzeit nicht gut aufeinander zu sprechen: Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi. (Archivbild)

(Foto: picture alliance / dpa)

Mit dem Angriff auf die Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin viele in der deutschen Linkspartei überrascht. Sahra Wagenknecht muss ihre Einschätzung revidieren - und teilt trotzdem gegen die Bundesregierung und die NATO aus. Fraktionskollege Gregor Gysi schäumt.

Die beiden Linken-Politiker Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht liefern sich einen Streit auf offener Bühne. Gysi übte in einem Brief an verschiedene Mitglieder der Bundestagsfraktion scharfe Kritik und zog einen Rückzug als außenpolitischer Sprecher in Betracht. Das Schreiben, über das die "Rheinische Post" und der "Spiegel" berichteten, ist an die ehemalige Fraktionsvorsitzende Wagenknecht, den ehemaligen Parteichef Klaus Ernst, Sevim Dagdelen, Andrej Hunko, Sören Pellmann, Zaklin Nastic und Christian Leye gerichtet.

Die Abgeordneten, die dem Wagenknecht-Lager der Fraktion zugerechnet werden, hatten am Sonntag in einer gemeinsamen Erklärung die Politik der Bundesregierung moniert und sich etwa gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und Wirtschaftssanktionen, die auch die breite Bevölkerung betreffen würden, ausgesprochen. Der NATO gaben sie zudem eine Mitschuld an der Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. "Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und einen Rückzug der russischen Truppen", hieß es außerdem.

Zu diesem Schreiben nahm Gysi in seinem Brief Stellung. Er warf Wagenknecht & Co. vor, sich über Außenpolitik zu äußern, ohne ihn als außenpolitischen Sprecher zu fragen oder einzubeziehen, "was wohl ebenso eure Absicht war". Er kündigte an, über seine Rolle neu nachdenken zu müssen. "Inhaltlich wendet ihr euch scharf gegen Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine, verweist aber nicht auf die besondere Geschichte Deutschlands, die das ausschließen soll, sondern äußert es so generell, dass es doch eine linke Position sei."

Dies würde allerdings bedeuten, "dass auch die Linken in Frankreich, in Großbritannien und überall gegenwärtig Waffenlieferungen an die Ukraine ausschließen sollten". Auf diese Weise würde der Ukraine faktisch ein Selbstverteidigungsrecht abgesprochen. Gysi warf den Linken-Politikern vor: "Ihr seid indirekt dafür, dass sie (die Ukraine, Anm. der Red.) nur die Chance zur bedingungslosen Kapitulation bekommt. Ich bin hier strikt anderer Auffassung und räume überfallenen Ländern immer das Selbstverteidigungsrecht ein."

"Jetzt hat die NATO keinen einzigen Fehler begangen"

Damit nicht genug. Gysi holte weiter aus: "Was mich aber wirklich entsetzt an eurer Erklärung, ist die völlige Emotionslosigkeit hinsichtlich des Angriffskrieges, der Toten, der Verletzten und dem Leid. Millionen Menschen sind so wie ich tief bewegt, Hunderttausende demonstrieren." Er warf den besagten Parteikollegen vor: "Ihr seid nur daran interessiert, eure alte Ideologie in jeder Hinsicht zu retten. Die NATO ist böse, die USA sind böse, die Bundesregierung ist böse und damit Schluss für euch. Müssen nicht auch wir über uns nachdenken, eine gewisse Zäsur begreifen?"

Auch er kenne die "Völkerrechtsverletzungen der NATO und von Mitgliedern der NATO, und ich habe sie häufig gerügt", so Gysi. Aber: "Jetzt hat die NATO aber keinen einzigen Fehler begangen, der den Krieg Russlands rechtfertigte." Am Ende seines Briefes heißt es den Berichten zufolge: "Russland muss gestoppt werden. Das imperiale Denken Putins ist katastrophal und muss überwunden werden. Mit dieser russischen Führung habe ich nichts, aber auch gar nichts mehr im Sinn."

Wagenknecht ließ die deutliche Kritik ihres Fraktionskollegen nicht lange auf sich sitzen. Auf Twitter teilte sie am Montag ein Statement zu den Vorwürfen und schrieb: "Ich bin entsetzt über den Brief Gregor Gysis." Dieser erwecke den Eindruck, "es gäbe in der Fraktion Mitglieder, mich eingeschlossen, die Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht unmissverständlich verurteilt hätten". Den Eindruck zu erwecken, die Abgeordneten hätten den russischen Angriffskrieg "auch nur ansatzweise gerechtfertigt" oder keine Empathie den Opfern gegenüber aufgebracht, "grenzt an Rufmord", schrieb Wagenknecht.

Wagenknecht gesteht Fehleinschätzung ein

Die Linken-Politikerin erhob den Vorwurf, Gysi hätte gar nicht für einen Kommentar zu der von ihm kritisierten Erklärung herangezogen werden können, weil er zeitgleich in einem Berliner Kino sein neues Buch vorgestellt habe. Tatsächlich saß Gysi am Sonntag im Kino "International". Wagenknecht schloss ihr Statement mit den Worten: "Die Linke hat Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und Aufrüstung immer abgelehnt. Dabei sollte es bleiben."

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Erst Ende vergangener Woche hatte Wagenknecht eingestanden, die Lage falsch eingeschätzt zu haben - vor allem die Absichten von Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Zuvor hatte sie in der Talksendung von Anne Will am 20. Februar gesagt, Moskau habe faktisch kein Interesse, in die Ukraine einzumarschieren. "Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird. Nämlich ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben."

Putin sei vielmehr ein kühl kalkulierender Machtpolitiker. Er habe sich immer relativ berechenbar verhalten, so Wagenknecht. In den frühen Morgenstunden des 24. Februar befahl der Kreml-Chef seinen Truppen, in die Ukraine einzumarschieren. Ein Ende des Krieges ist derzeit nicht in Sicht.

Quelle: ntv.de, fzö

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