Politik

"Am Arsch vorbei" Hubert Aiwanger, der schimpfende Niederbayer

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Hubert Aiwanger am 10. Juni in Erding.

Hubert Aiwanger am 10. Juni in Erding.

(Foto: picture alliance/dpa)

Vor einer Woche fordert der bayerische Vize-Ministerpräsident "die schweigende Mehrheit dieses Landes" dazu auf, sich die Demokratie "zurückzuholen". Nur Wahlkampfgetöse oder Ausdruck einer politischen Verirrung? Und: Wer ist dieser Mann?

Das hätte sich die Kabarettistin Monika Gruber so wohl auch nicht vorgestellt. Es ist Samstag, der 10. Juni. Rund 13.000 Menschen kommen nach Erding, um an einer von ihr mitinitiierten Demo in der kleinen Stadt bei München teilzunehmen, Motto: "Stoppt die Heizungs-Ideologie." Dass gleich drei bayerische Spitzenpolitiker auftreten wollen, habe sie nicht erwartet, sagt Gruber. "Aber es ist halt Wahlkampf."

Zum Eklat kommt es, als Landeswirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern das Mikrofon in die Hand nimmt. Er ist der letzte Redner an diesem Nachmittag. Schon vorher hatte es ein wenig Ärger gegeben, als Ministerpräsident Markus Söder bei seiner Rede ausgepfiffen worden war.

Aiwanger steht unter Strom, sein Kopf ist hochrot. Zuerst wird auch er ausgepfiffen, aber nur kurz. Dann hört ihm das Publikum zu, es applaudiert sogar. Denn Aiwanger trifft ihren Nerv. "Die Narren sitzen in Berlin!", schreit er. Er tobt, schimpft über "Gender-Gaga" und spricht dabei das G von "Gendern" bayerisch hart aus wie in "Galle". Er regt sich darüber auf, dass Kinder bald angeblich nicht mehr "Mama" und "Papa" sagen dürften. Er schimpft über Leute, "die fürs Nichtstun Bürgergeld bekommen". Aber das Wichtigste ist das Heizungsgesetz. Das tauge nur noch zum Verbrennen, krakeelt er. "Die Mitte der Gesellschaft wird die Berliner Chaoten vor sich hertreiben", kündigt er an und sagt ganz im Stil der AfD, jetzt sei "der Zeitpunkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss - und denen in Berlin zeigen: Eure Politik geht uns am Arsch vorbei".

Im Kabinett knallt es, aber öffentlich hält die CSU zu Aiwanger

Kaum ist die Demo zu Ende, da hagelt es Kritik. Deutschland sei keine Diktatur, niemand müsse sich die Demokratie "zurückholen", heißt es. Am Dienstag nach der Demonstration habe es bei der Kabinettssitzung geknallt, sagt ein Journalist im Gespräch mit ntv.de. Einen Tag später hält Aiwanger eine Regierungserklärung im Bayerischen Landtag. Ministerpräsident Söder ist nicht da. Die Grünen verlangen die Entlassung des Ministers. Er habe "rote Linien übertreten" und sei untragbar geworden, sagt Fraktionschefin Katharina Schulze. Öffentlich hält die CSU zu Aiwanger: Ihre Abgeordneten, auch Freie Wähler und AfD geben sich stinksauer bei Schulzes Rede, Landtagspräsidentin Ilse Aigner fordert mehrmals Ruhe, Schulze kann sich kaum verständlich machen. Hinter den Kulissen fordern allerdings auch Politiker seiner eigenen Partei Aiwanger zur Mäßigung auf. Am Ende stellen sie sich aber vor ihren Chef. Gemeinsam mit der CSU lehnen sie den Antrag der Grünen zur Entlassung des Ministers ab.

Uneingeschränktes Lob für die Aiwanger-Rede gibt es von der AfD. Deren stellvertretender Fraktionschef Gerd Mannes erklärt, Aiwanger habe eine gute Rede gehalten. Zum ersten Mal seit viereinhalb Jahren.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Aiwanger gegen "die da oben" wettert. In Wahrheit ist das ein wesentliches Ziel der Freien Wähler. Schon in den 1950er-Jahren versuchen sie - zunächst in unabhängigen Verbänden - in der Kommunalpolitik mitzumischen, mit mäßigem Erfolg. Das ändert sich 1997. Da beschließen die Freien Wähler, eine Landesvereinigung zu gründen. Ihr vorrangiges Ziel: die Kommunen stärken. Ihrer Meinung nach höhlt die Landes- und Bundespolitik deren Eigenständigkeit aus. 2006 wird Aiwanger Landeschef, später Bundeschef der Freien Wähler. Zwei Jahre danach ziehen sie erstmals in den Landtag ein. Inzwischen sitzen sie in zwei weiteren Landesparlamenten und im Europaparlament. Immer vorn dabei: Hubert Aiwanger.

Der Skandalpolitiker

Von politischen Mitbewerbern ist Aiwanger lange unterschätzt worden. Das liegt auch an seinem Dialekt: Der Niederbayer aus der Gegend von Landshut hat es nicht so mit dem Hochdeutschen. Außerhalb seines Heimatdialekts wirkt er schnell tollpatschig und harmlos. Aiwanger nicht ernst zu nehmen, wäre dennoch ein Fehler.

Im Landtag werden aus Kommunalpolitikern Euro-Kritiker: Als die Währung in die Krise gerät, geißeln die Freien Wähler "Zwangsvorgaben" aus Brüssel und Berlin. Und sie wollen die D-Mark zurück. Am 2. Juni 2012 organisiert er in München eine Demonstration gegen den Euro-Stabilisierungsfonds ESM. Von der NPD, die daran ebenfalls teilnehmen will, distanziert sich der Freie-Wähler-Chef. Allerdings wird seine Partei später Forderungen der AfD übernehmen, etwa die Begrenzung des Familiennachzugs für Asylbewerber.

Ebenfalls in Erding: Freundliches Gespräch mit Ampel-Kritikern.

Ebenfalls in Erding: Freundliches Gespräch mit Ampel-Kritikern.

(Foto: IMAGO/Smith)

In den folgenden Jahren häufen sich Aiwangers politische Signale an eine Zielgruppe, die er wohl für die "schweigende große Mehrheit" hält. Für jeden "anständigen" Deutschen fordert er das Recht, ein "Messer in der Tasche" zu haben. Er lehnt es ab, sich gegen Corona impfen zu lassen und stärkt so Querdenker und Impfgegner in Bayern. Am Tag der Bundestagswahl 2021 veröffentlicht er auf Twitter die Zwischenprognose eines Meinungsforschungsinstituts, noch bevor die Wahllokale geschlossen sind und verstößt damit gegen das Wahlgesetz. Immer wieder gibt er den erzkonservativen Franz-Josef-Strauß-Imitator im bayerischen Law-und-Order-Look.

Doch es wäre wiederum ein Fehler, Aiwanger einzig an seinen Skandalen zu messen. In seiner Heimatgemeinde Rottenburg an der Laaber ist er als Politiker durchaus beliebt. Dort betreibt Aiwangers Familie einen gut gehenden Zuchtsaubetrieb. "Der Hubsi", so nennt man ihn da. "Der ist scho a Hund", ein "echter Schlawiner", heißt es.

Er gilt als heimatverbunden, setzt sich für den Alpentourismus ein, für die Landwirtschaft, für bestimmte erneuerbare Energien wie Photovoltaik, Wasserkraft und Biomasse. Und er verantwortet ein Gesetz, nach dem Bayern 2040 energieneutral sein soll, fünf Jahre früher als der Rest Deutschlands.

Die Rede in Erding - ein Ausrutscher?

Beobachter fragen sich nun: War Aiwangers Rede in Erding ein Ausrutscher, ein Versehen. Oder war sie gar Berechnung? Fakt ist: Kaum jemand in der Staatsregierung kann Volksstimmungen so sensibel erfassen wie er. Das ist ein Grund, warum die Freien Wähler immer wieder als "Fleisch vom Fleische der CSU" beschrieben werden: Aiwanger ist "nah bei den Menschen", wie Söder sagen würde, hört zu, hört auf sie.

Fünf Jahre hat er im Schatten des Ministerpräsidenten gestanden. Das war vermutlich nicht immer leicht - Söder ist kein Teamplayer. Das wird deutlich bei den vielen Pressekonferenzen während der Corona-Zeit: Söder verkündete die angenehmen Dinge wie die Öffnung der Biergärten im Sommer. Aiwanger musste erklären, dass sie nur halb so viele Tische haben dürften wie bisher.

Dass er mit seinen Freien Wählern bei den Landtagswahlen im Oktober die CSU nicht überholen kann, weiß er natürlich. Aber er will neue Wähler gewinnen. Vor allem jene, die den Rechtsruck der in Bayern zerstrittenen AfD nicht mitgehen wollen. Dafür fischt er auch schon mal am rechten Rand.

Seine Partei ist zwar nicht durchgehend erfreut über Aiwangers Sprüche, aber so schlimm finden sie sie auch nicht. "Wenigstens sagt's ein Demokrat", sagen seine Fans. Eine andere Frage ist, ob das so funktioniert. "Aiwanger von den Freien Wählern redet wie die AfD", twitterte CDU-Urgestein Ruprecht Polenz. Und normalerweise gilt: Wer die Sprache von Populisten spricht, hilft nicht sich, sondern ihnen.

Quelle: ntv.de

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