Politik

Interview mit Robert Vehrkamp "Für Populisten ist fast alles eine Intrige der politischen Elite"

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Der parteipolitisch organisierte Rechtspopulismus in Deutschland ist im Vergleich westlicher Demokratien ein eher verspätetes und nachlaufendes Phänomen, sagt Robert Vehrkamp.

Der parteipolitisch organisierte Rechtspopulismus in Deutschland ist im Vergleich westlicher Demokratien ein eher verspätetes und nachlaufendes Phänomen, sagt Robert Vehrkamp.

(Foto: picture alliance/dpa)

In aktuellen Umfragen steht die AfD bei 17 bis 19 Prozent, CDU-Chef Friedrich Merz sieht die Verantwortung dafür vor allem bei der Ampelkoalition. Ist diese Analyse richtig? Sind AfD-Wähler von den anderen Parteien überhaupt noch zu erreichen? Und wie gefährlich ist die AfD für die Demokratie in Deutschland? Fragen an den Populismus-Experten Robert Vehrkamp.

ntv.de: Vor der Bundestagswahl 2021 haben Sie untersucht, wie stark rechtsextreme Einstellungen in Deutschland verbreitet sind. Sie kamen zu dem Schluss, dass die AfD nicht nur auf der Angebotsseite, sondern auch auf der Nachfrageseite, also bei den Wählern, "eine mehrheitlich an rechtsextremen Einstellungen orientierte Partei" ist. Würden Sie sagen, dass das noch immer so ist?

Robert Vehrkamp: Die Untersuchung zur Bundestagswahl 2021 hat gezeigt, dass unter allen Wahlberechtigten knapp acht Prozent ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertreten. Bei den AfD-Anhängern waren es aber fast vier Mal so viele, 29 Prozent, also fast jeder Dritte. Dazu kommt noch die Gruppe derer, die rechtsextremen Positionen zumindest latent zustimmt - in der Gesamtbevölkerung 16 Prozent, bei der AfD aber 27 Prozent.

Prof. Dr. Robert Vehrkamp ist Senior Advisor im Programm Demokratie und Zusammenhalt der Bertelsmann Stiftung und Gastprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Leuphana Universität in Lüneburg.

Prof. Dr. Robert Vehrkamp ist Senior Advisor im Programm Demokratie und Zusammenhalt der Bertelsmann Stiftung und Gastprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Leuphana Universität in Lüneburg.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mehr als die Hälfte der AfD-Wähler, 56 Prozent, stimmen somit rechtsextremen Einstellungsmustern voll und ganz oder zumindest teilweise zu.

In der Bevölkerung liegt dieser Anteil bei knapp einem Viertel. Verschiedene, auch aktuellere Studien bestätigen dieses Bild. Aber natürlich spielen auch andere Themen eine Rolle, und der Rechtspopulismus folgt dabei einem im Grunde einfachen Muster: Jedes ressentimentanfällige Problem, jede Krise und jeder öffentliche Aufreger wird durch die Mühle seiner rechtspopulistischen Argumentationsfiguren gedreht. Die Populismusforschung spricht deshalb sehr treffend von der "dünnen" Ideologie des Populismus, deren simple Argumentationsfiguren auf nahezu jedes Thema übertragbar sind. Selbst die so offensichtliche Klimakrise wird dann zur Intrige und Erfindung einer politischen Elite verzerrt. Und das funktioniert für sehr viele Themen, vom Gendern bis zum Impfen, von Asyl und Migration bis zu Europa, Ukraine-Krieg und Wärmepumpen.

Ein Ergebnis Ihrer Untersuchung war, dass die Aussage "Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform" von jedem zweiten AfD-Wähler mit "stimme voll und ganz zu", mit "stimme überwiegend zu" oder mit "teils/teils" beantwortet wurde. Sind diese Wähler von anderen Parteien noch zu erreichen?

Ihr harter Kern nicht. Aber in den konzentrischen Kreisen darum herum sind und bleiben viele Wähler auch für andere Parteien erreichbar. Voraussetzung dafür ist aber die klare Abgrenzung und programmatische Auseinandersetzung. Wer glaubt, mit der Übernahme populistischer Rhetorik und Themen die Wähler zurückholen zu können, der irrt gewaltig. Wer wie ein Populist redet, betreibt im Grunde ihr Geschäft. Die Wähler nehmen dann lieber das rechtspopulistische Original als seine Kopie. Den Fehler sollten die anderen Parteien nicht noch einmal machen. Wenn rechtspopulistische Positionen Teil des Mainstream werden, dann werden auch rechtspopulistische Parteien Teil des Mainstream. Wer das nicht will, darf die harte inhaltliche Auseinandersetzung auch mit ihren Wählern und Umfragesympathisanten nicht scheuen.

Gilt das auch in Thüringen und Sachsen, wo die AfD in den Umfragen die stärkste Partei ist? Oder ist das politische Klima dort ein anderes?

Im Prinzip sind es in West- und Ostdeutschland dieselben Milieus und Einstellungsmuster, die zur AfD führen. Aber es gibt einige Besonderheiten, die es der AfD in Ostdeutschland etwas leichter machen. Dazu gehört die deutlich geringere Parteiidentifikation der ostdeutschen Wähler. Deutlich weniger Wähler fühlen sich als Mitglieder oder aus Tradition an eine Partei gebunden. Das nimmt auch in Westdeutschland ab, ist aber in Ostdeutschland nach der Wende erst gar nicht richtig gewachsen. Darüber hinaus ist auch die Tabuisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Einstellungsmuster in Ostdeutschland weniger stark ausgeprägt. Das macht es der AfD in Ostdeutschland leichter, in diesen Mustern zu mobilisieren. Aber die AfD ist deshalb kein ostdeutsches, sondern bleibt ein gesamtdeutsches Phänomen.

Wie gefährlich ist die AfD aus Ihrer Sicht für den Fortbestand der Demokratie in Deutschland?

Wir sind eine starke, wehrhafte Demokratie, und die klar rechtsextremen Teile der AfD werden vom Verfassungsschutz entsprechend beobachtet. Ihnen gegenüber sind wir nicht wehrlos. Alles andere sollte nach den Spielregeln einer liberalen Demokratie im politischen Diskurs erfolgen. Darüber hinaus sind gute Umfragewerte der Opposition in der Mitte einer Legislaturperiode auch erst einmal völlig normal. Besorgniserregend ist eher, wie wenig davon bei der Union landet, dem demokratischen Zentrum der Opposition. Wir sollten also wachsam bleiben. Demokratie ist nie selbstverständlich und muss gegen ihre falschen Freunde und echten Feinde immer neu gesichert und verteidigt werden.

CDU-Chef Friedrich Merz sagt, eine "schwache und beständig streitende Regierung löst Gegenreaktionen aus". Ist es plausibel, dass die Ampel eine besondere Verantwortung für den Umfrageerfolg der AfD trägt?

Ich fürchte, es ist etwas komplizierter. Die Regierung versucht mit großem Tempo, viele tiefgreifende Reformen durchzusetzen, und gegen Teile davon gibt es massive Widerstände. Nicht nur gegen konkrete Lösungskonzepte, sondern auch sehr viel grundsätzlicher gegen die dahinterstehenden Werte und Ziele. Man sieht das am Beispiel der Klimapolitik. Viele Populisten mobilisieren ja nicht etwa gegen konkrete Details der Energiewende, sondern bezweifeln den Klimawandel als solchen. In ihrem rechtspopulistischen Narrativ wird die Wärmewende dann zu einer weiteren Abzocke der politischen Klasse gegen die kleinen Leute, die mal wieder die Zeche bezahlen sollen - so ungefähr. Und das Fatale am Streit zwischen Regierung und demokratischer Opposition ist, dass er in Form, Rhetorik und Inhalt viel zu häufig und zu leichtfertig genau diese Narrative bedient und befeuert. "Gender-Wahn" und "Energie-Stasi", das ist die Sprache von Populisten, und wer die politische Auseinandersetzung in dieser Sprache betreibt, der betreibt ihr Geschäft und trägt dafür dann auch die politische Verantwortung.

In Italien regieren Postfaschisten, in Schweden unterstützen die rechtspopulistischen Schwedendemokraten die Regierung, in Österreich ist die FPÖ in den Umfragen stärkste Kraft, in Frankreich kam Marine Le Pen im vergangenen Jahr in der Stichwahl auf mehr als 41 Prozent - ist es vielleicht ganz normal, dass die AfD in Deutschland in den Umfragen bis zu 17 oder 18 Prozent erreicht?

Die neue Regierung in Italien auf das Etikett des Postfaschismus zu reduzieren, wird der nationalen Eigenart und Komplexität der hinter ihr stehenden gesellschaftlichen Kräfte und Dynamiken nicht gerecht. Die Schwedendemokraten sind auch nicht identisch mit Le Pen in Frankreich, und die FPÖ muss nicht das Entwicklungsmuster der AfD in Deutschland determinieren. Demokratien und ihre Parteiensysteme sind noch immer sehr nationale Gewächse. Das gilt auch für ihre Populismen, und die jeweils geeigneten Strategien dagegen. Aber wahr ist auch: Der parteipolitisch organisierte Rechtspopulismus in Deutschland ist im Vergleich westlicher Demokratien ein eher verspätetes und nachlaufendes Phänomen. Jedenfalls ist es kein neuer deutscher Sonderweg, sondern eher eine nachholende Entwicklung, mit der wir umgehen müssen, aber auch umgehen können.

Mit Robert Vehrkamp sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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