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Berlin Tag & Macht IBES im Kanzleramt: Die Koalition muss in die Dschungelprüfung

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Wie im Dschungel: der Reichstag in Berlin.

Wie im Dschungel: der Reichstag in Berlin.

(Foto: picture alliance / Daniel Kalker)

Im Berliner Regierungsdschungel herrscht Ausnahmezustand: Wahlversprechen verenden, Minister streiten, und Friedrich Merz schwingt die Machete der Macht. Eine Expedition ins Unterholz deutscher Politik nebst unnötiger Stadtbild-Debatte.

Die Weltgeschichte verfügt bislang über etwa 3000 Götter. Hinzu kommen einige eher parareligiöse Geistwesen, denen ebenfalls eine naturwissenschaftlich nicht abbildbare, übernatürliche, transzendentale Macht zugesprochen wird. Der Fußballgott beispielsweise. Oder der Gott des Gemetzels. Letzterer versprüht eine zunächst eher markant brutal wirkende Aura, fungiert im politischen Tempel Berlins, dem Reichstag, bei näherem Hinsehen allerdings nur als spirituelle Leitfigur des ansonsten bilateral vornehmlich gewaltfrei operierenden Spitzenpersonals auf der Regierungsbank.

Dort geht man bei Themen wie Bürgergeld, Hilfsgeldern an die Palästinensische Autonomiebehörde, Attest-Reform bei Krankschreibungen, Rentenpaket oder Wehrdienst nämlich aktuell nicht sehr zimperlich miteinander um. Das Zeitliche mussten bislang aber glücklicherweise lediglich zahlreiche Wahlversprechen segnen. Ich bin kein religiöser Mensch, aber sollte es tatsächlich einen Fußballgott geben, dann gibt es voraussichtlich auch einen Politikgott. Und der hat diese Woche die Spendierhosen an. Denn das, was der Öffentlichkeit unter der Reichstagskuppel zuletzt geboten wurde, sobald sich der Vorhang der Macht hob und die Galionsfiguren der politischen Chefetage an die Mikrofone traten, darf man zweifelsfrei als "Rumble in the Jungle" bezeichnen.

Das Prinzip Dschungelcamp - nur ohne Lagerfeuerromantik

Dort liefert sich Deutschlands Führungspersonal um Politdschungelkönig Friedrich Merz dieser Tage ein Ideologie-Duell, bei dem die feine Klinge des filigran-feuilletonistischen Diskursgefechts freiwillig gegen die grobschlächtige Machete eines boulevardesken Pöbeldebattierclubs eingetauscht wurde. Gipfelnd in einer kurzfristig abgesagten Pressekonferenz zum Thema Wehrpflicht. So saßen die newsverkündungswilligen Hauptstadtjournalisten plötzlich auf dem Eilmeldungs-Trockenen, nachdem sich Verteidigungsminister Boris Pistorius trotz tagelanger vorausgegangener Absprachen und Kompromissbemühungen offenbar mit dem Restkabinett überworfen hatte. Und mit den Bundestagsfraktionen gleich mit. Sicherheitshalber nicht nur mit der des Koalitionspartners, sondern auch mit der eigenen SPD-Fraktion.

Da muss man kein vehementer Kritiker des entertainmentorientierten Aufmerksamkeits-Dilemmas sein, in dem latente Politikverdrossenheit zuweilen dazu führt, dass eine signifikante Menge wahlberechtigter Bürger sich deutlich mehr für "Promi Big Brother" interessiert als für Bundestagsdebatten, um festzustellen: Ja, die Bezeichnung Dschungel für unseren Politikbetrieb ist zutreffend. Nur dass in Australien wenigstens jemand jeden Fauxpas wegmoderiert. Jan Köppen und seine First-Moderationslady Sonja Zietlow nämlich. Beiden würde so mancher Wahlberechtigte auch ein glücklicheres Händchen bei der Führung unseres Landes attestieren als dem aktuellen politischen Bodenpersonal.

Undurchdringliche Vegetation, wirres Durcheinander, Orientierungslosigkeit, unkontrollierter Wildwuchs, gefährliche Angreifer aus dem Unterholz, eine Atmosphäre des Fressens und Gefressenwerdens. Regierungsmannschaft oder Dschungel - da ist mit bloßem Auge kein Unterschied mehr erkennbar. Darf man das heute überhaupt noch sagen, oder gilt es inzwischen als rassistisch, einen Dschungel pauschal als dysfunktionale Chaoslandschaft zu bezeichnen? Solange ich Richard David Precht, den Gott der Meinungsfreiheit, dazu nicht gehört habe, kann ich mich da nicht final positionieren.

Auf der anderen Seite könnte man sich auf tagesaktuelle Diskriminierungs-Definitionsansätze berufen und behaupten, Rassismus gegen Dschungel existiere grundsätzlich nicht, da ein Dschungel keine Rasse sei. Wobei wir andererseits mittlerweile auch in einer Welt leben, in der ein Mensch nicht nur ein Mann oder eine Frau sein kann, sondern auch beides. Oder beides nicht, oder irgendwas dazwischen. Und das wiederum ist für Menschen gelegentlich verwirrend und ängstigend. Zumindest für die, die auch glauben, Klimaschutz sei gefährlicher als Rechtsextremismus und dass man gesellschaftliche Probleme lösen könnte, indem man Gendern verbietet. Diese Menschen sind dann leider oftmals so nachhaltig verwirrt, dass sie versehentlich AfD wählen.

Wenn Präventions-Aktivismus auf Realität trifft

Diese Woche jedenfalls standen einige bewegende Staatsführungs-Dschungelprüfungen im "Ich bin ein Starpolitiker - Hört mich mal an!"-Musikantenstadl an. Neben der Burleske um das Wehrpflicht-Fiasko ging es dabei auch um die fundamental unterschiedlich eingeschätzte Effizienz sofortiger Nahost-Unterstützung, also Hilfszahlungen an Gaza. Dort flossen die mit großem Geberpathos übersandten Hilfsmilliarden in den vergangenen Jahrzehnten nicht in Infrastruktur, Schulen, Nahrung und den Aufbau einer lebenswerten Heimat für die Palästinenser, sondern vornehmlich in militärische Kampfgeräte, Tunnel und auf private Girokonten der Terrororganisation Hamas. Genau jene Hamas, die aktuell mit Waffengewalt den Gazastreifen kontrolliert.

Nachvollziehbar also, warum große Teile der CDU/CSU-Fraktion die unkontrollierte Fortsetzung dieser Zahlungen ablehnen. Davon unbeirrt bestand die SPD-Fraktion mit Vizekanzler Lars Klingbeil an der Spitze dennoch darauf, umgehend aktiv zu werden. In einer Art vorauseilendem Präventions-Aktivismus wollte man wohl vermeiden, von der stets lautstarken, dafür aber selten faktensicheren "From the River to the Sea"-Allianz in den Kontext von "Genozid" oder "Hungersnot" gerückt zu werden.

Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) hatte daher vor einigen Tagen im ARD-Format "Bericht aus Berlin", quasi dem öffentlich-rechtlichen #BerlinTagUndMacht, bereits vollmundig einen "dreistelligen Millionenbetrag" für den Wiederaufbau in Gaza angekündigt, obwohl insbesondere die CSU noch dringenden Klärungsbedarf sah. Auch während der Haushaltsberatung im September war Radovans Plan bereits härter ausgebremst worden als der Comeback-Versuch von Stefan Raab.

200 Millionen Gründe zum Kopfschütteln

Im Dschungelcamp unter dem Bundesadler ist allerdings jede Wendung denkbar. Unter der Prämisse, das Hilfsbudget dürfe nicht in die Hände der Hamas geraten und darum zunächst nur für die Bezahlung von Ärzten und Lehrern im Westjordanland verwendet werden, gab zähneknirschend auch die CSU ihren Segen. Das Geld wird fließen. 200 Millionen Euro Steuergelder wohl im ersten Schritt. Nachdem Friedrich Merz bereits mitten in der Verhandlungsphase zwischen USA, Katar, Israel und Hamas über eine dauerhafte Friedensoption die deutschen Waffenlieferungen an Israel gestoppt hatte, während Hamas ungerührt ihre Terroragenda durchzog, womöglich ein weiteres falsches Signal zur falschen Zeit.

Merz' Alleingang, sowie die Anerkennung eines Staates Palästina durch seine europäischen Amtskollegen Keir Starmer und Emmanuel Macron, die England und Frankreich bereits in verheerende Staatskrisen manövriert hatten, haben den Bemühungen um Frieden im Nahen Osten spürbar geschadet. Das jedenfalls stellte zuletzt US-Außenminister Marco Rubio überraschend unmissverständlich klar.

Einigung wurde trotzdem erzielt. Erste Punkte des Abkommens wurden sogar bereits von allen Parteien, auch der Hamas, bestätigt. Die Welt schöpfte Hoffnung auf funktionierende Koexistenz sowie eine Zukunft in Sicherheit, Freiheit und Frieden für die Menschen in Gaza und Israel. Deutschland und Europa standen als querulierende Zaungäste am Spielfeldrand. Also versuchten sie, ihr internationales Autoritäts-Dilemma mit absurden Fremdfederschmuckbemühungen wie Annalena Baerbock mit ihrem ikonischen "Was ich verhandelt habe, steckt da drin"-Selbstbeweihräucherungs-Waterloo zu kaschieren, und den Friedens-Coup von US-Präsident Trump irgendwie für sich zu reklamieren. Aber Frieden ist kein Hashtag und Weltpolitik ist kein Wunschkonzert.

Der Grand Slam der Planlosigkeit

Um auf dem Höhepunkt der Selbstdarstellungsmisere die laufenden "Los Chaos-Wochos" bei McKanzler mit dem Grand Slam der Planlosigkeit abzurunden, stürzte sich Kommunikationsgigant Friedrich Merz nun, völlig unnötig übrigens, umfragetodesmutig in eine weitere Diskurs-Malaise. Während einer Pressekonferenz in Potsdam hatte der Regierungschef die Frage nach seiner Strategie gegen die Umfragehöhenflüge der AfD damit beantwortet, man sei "in der Migration sehr weit" und habe im Vergleich zum Vorjahr die Zuwanderung um 60 Prozent "nach unten gebracht".

So weit, so gut. Euphorisiert von der Idee, die AfD mit ihren eigenen Mitteln zu pulverisieren, schob Merz einen äußerst fragwürdig formulierten Satz nach: "Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen." Rückführungen helfen, das Stadtbild zu entproblematisieren? Egal, auf welche Kriminalstatistik auch immer Merz eine solche These aufbaut: Den Vorwurf, sich mindestens ungeschickt, womöglich sogar rassistisch geäußert zu haben, muss er sich gefallen lassen. In der ohnehin aufgeheizten Debatte um einen härteren innenpolitischen Umgang mit unkontrollierter Zuwanderung ein sogenannter Bärendienst. Ob die Koalition den Regierungsdampfer auf diese Art und Weise zeitnah in ruhigere Fahrwasser navigieren kann, verrate ich dann kommende Woche. Bis dann.

Quelle: ntv.de

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