Politik

Nahost-Experte gegen Intervention "IS wartet nur darauf, dass die Nato eingreift"

"Alle Nato-Verbündeten sind vereint im Kampf gegen Terrorismus und stehen solidarisch an der Seite Frankreichs", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach der Anschlagsserie in Paris.

"Alle Nato-Verbündeten sind vereint im Kampf gegen Terrorismus und stehen solidarisch an der Seite Frankreichs", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach der Anschlagsserie in Paris.

(Foto: imago/Xinhua)

Nach den Terroranschlägen von Paris spricht Frankreichs Präsident Hollande von einem "Akt des Krieges". Sollte Paris eine Nato-Sondersitzung beantragen, könnte der "Bündnisfall" ausgerufen werden. Nahost-Experte Michael Lüders sieht darin jedoch keine Lösung.

Michael Lüders ist Politik- und Islamwissenschaftler.

Michael Lüders ist Politik- und Islamwissenschaftler.

n-tv.de: Könnte ein militärisches Eingreifen der Nato dem Islamischen Staat (IS) ein Ende bereiten?

Michael Lüders: Der Islamische Staat ist eine Terrororganisation und es ist schwierig, einer Terrororganisation den Krieg zu erklären. Der Bündnisfall ist eigentlich nicht wirklich gegeben. Es mag Politiker geben, die in diese Richtung denken. Es geschieht ja schon, dass Rakka, die Hauptstadt des Islamischen Staates, angegriffen wird. Aber das ist ja im Grunde genommen auch keine Lösung des Problems. Und man kann der Führung der Nato nur die Weisheit wünschen, dass sie nicht den Fehler macht, mit Bodentruppen dort einzumarschieren. Denn darauf wartet der Islamische Staat nur. Eine reguläre Armee kann eine Guerilla-Armee nicht besiegen.

Warum sind Sie sich da so sicher?

Das haben die Amerikaner und andere in Afghanistan und  im Irak versucht. Das Ergebnis können wir jetzt besichtigen. Ohne die Intervention im Irak würde es den Islamischen Staat gar nicht geben. Und wie wollen sie eine Stadt wie Mossul erobern? Dort lebt Zivilbevölkerung, Hunderttausende von Menschen. Will man sich auf Häuserkämpfe einlassen? Will man viele Opfer riskieren? Das ist sehr schwierig zu lösen. Und es ist ja nicht nur die Frage, wie ein Territorium erobert werden soll. Es geht auch um die Frage, wie dies anschließend verwaltet werden soll. Ich wünsche niemandem, ein solches Land kontrollieren zu müssen, weil dann sofort der Guerillakampf gegen die Besatzer beginnen würde.

Die Bundesregierung setzt bis jetzt auf die Ausbildung und Bewaffnung kurdischer Peschmerga. Können solche Kräfte aus der Region das vom Islamischen Staat besetzte Land zurückerobern?

Nein, das geht nicht. Man kann bestenfalls den Vormarsch des Islamischen Staates aufhalten in Richtung kurdischer Gebiete. Das ist sicherlich realistisch. Aber die Peschmerga sind zu schwach, um den Islamischen Staat insgesamt besiegen zu können. Der ist in der Region gut vernetzt und hat viele Befürworter unter der regionalen Bevölkerung.

Bodentruppen halten Sie für wenig sinnvoll, die bisherigen Luftschläge scheinen wirkungslos. Was kann man überhaupt noch unternehmen?

Man muss sich darüber hinaus eine Strategie überlegen, wie man den Zerfall der Staaten in der Region aufhalten will. Es gibt aber keine Patentrezepte. Es braucht einfach einen langen Atem. Man muss mit den regionalen Akteuren, Russland, dem Iran und allen Beteiligten reden und gemeinsam versuchen, eine Lösung herbeizuführen – wie es derzeit mit der Konferenz in Wien versucht wird. Aber auch dann wird es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis es im Nahen Osten wieder zu stabilen Verhältnissen kommt.

Sollte der Westen sich also auch auf den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad einlassen?

Natürlich. Ich habe es immer für unsinnig gehalten, ihn stürzen zu wollen. Syrien war ein funktionierendes Land, bis man versucht hat, Assad um jeden Preis von der Macht wegzubekommen. Das hat der Region nicht gutgetan – auch wenn er selbstverständlich ein übler Diktator ist.

Mit Michael Lüders sprach Kai Stoppel

Quelle: ntv.de

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