Historiker über Treuhandfonds"In der DDR waren Voraussetzungen besser"

Der geplante Privatisierungsfonds für Griechenland erinnert den Wirtschaftshistoriker André Steiner an die deutsche Treuhandanstalt. Damals sei eine Privatisierung notwendig gewesen, sagt er. Dass ein Treuhandfonds Athen retten kann, bezweifelt er jedoch.
Griechenland und seine Gläubiger haben sich darauf geeinigt, einen Privatisierungsfonds mit einem Volumen von 50 Milliarden Euro zu schaffen. Daraus soll der Krisenstaat seine Kreditraten begleichen, die Banken rekapitalisieren und in Wachstum investieren. Das Instrument weckt Erinnerungen. Es ähnelt der deutschen Treuhand, einem Megaunternehmen, das Anfang der 1990er die Privatisierung praktisch aller DDR-Betriebe vollzog. Brisant sind die Parallelen, weil die deutsche Treuhand ein Flop war. Die Politik versprach damals 300 Milliarden Euro zusätzlicher Staatseinnahmen. Am Ende riss das Projekt eine 120 Milliarden Euro große Lücke in den Haushalt. Der Wirtschaftshistoriker André Steiner vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam kennt sich bestens aus mit der Treuhand von früher, und er fürchtet, dass die griechische Treuhand noch erfolgloser sein wird.
n-tv.de: Was lief bei der deutschen Treuhand schief?
André Steiner: Zunächst einmal war die Zahl, welchen Erlös man sich erhofft hat, schon fragwürdig. Es konnte bis heute nicht richtig rekonstruiert werden, wo diese Zahl überhaupt her kam. Dann kamen mehrere weitere Sachen zusammen. Erstens war zunächst nicht vollständig bekannt, wie verschlissen die Anlagen der DDR-Industrie waren. Zweitens war auch die Produktpalette der DDR-Betriebe weitgehend veraltet. All das senkte den Wert des Staatseigentums für potenzielle Käufer. Das Hauptproblem war aber: Die Treuhand wurde unter Zeitdruck gesetzt. Alles sollte schnell abgewickelt werden, weil die Bundesrepublik die Altlasten der DDR nicht lange tragen wollte. Wenn man aber eine gesamte Volkswirtschaft im Hauruck-Verfahren auf den Markt schmeißt und sie so schnell wie möglich verkaufen will, kann der Preis nur fallen. So konnten teilweise die potenziellen Käufer die Bedingungen diktieren. Einige haben die Betriebe für eine symbolische Mark bekommen, andere haben sogar Geld dafür eingesteckt, dass sie DDR-Unternehmen überhaupt übernehmen. Der Zeitdruck führte auch dazu, dass Korruption durch die Treuhand strukturell begünstigt wurde. Angesichts des Zeitdrucks war es wichtig, schnell für die Aufgabe qualifizierte Mitarbeiter für die Treuhand zu finden. In der Kürze der Zeit schien es kaum möglich, Qualifikation und Leumund der Bewerber ausreichend zu prüfen. Außerdem führte der Zeitdruck natürlich dazu, dass nicht alles fehlerfrei verlief. Um die Privatisierung zu beschleunigen, wurden die Treuhandmitarbeiter deshalb zumindest teilweise von Haftung freigestellt.
In Griechenland geht es nicht um die Privatisierung einer ganzen Volkswirtschaft. Der sogenannte Garantiefonds soll 50 Milliarden Euro einbringen. Lässt sich das überhaupt vergleichen?
Dass es nicht um eine ganze Volkswirtschaft geht, macht schon einen wesentlichen Unterschied. Im Falle Ostdeutschlands gab es vorher praktisch kein Privateigentum im Produktionsbereich. Im Falle von Griechenland haben wir - bei allem Klientelismus, der da herrscht - eine überwiegend privatwirtschaftlich organisierte Wirtschaft. Aber trotzdem kommen gewisse Erinnerungen hoch. Die 50 Milliarden, von denen die Rede ist, erscheinen utopisch angesetzt. Wie in der DDR wird der Fonds zudem wohl für einen psychologischen Schaden in der Bevölkerung sorgen. In der DDR wurde sehr rigoros mit Betrieben umgegangen, die mit etwas mehr Geduld vielleicht hätten gerettet werden können. Das war hart. Im Falle von Griechenland besteht der psychologische Schaden eher darin, dass der Privatisierungsfonds als eine Form der Fremdherrschaft wahrgenommen wird. Es entsteht der Eindruck, dass EU und insbesondere Deutschland die Bedingungen diktieren.
Es gibt weitere Parallelen: Neben den bekannten Korruptionsproblemen in Griechenland kommt hinzu, dass es wie in der DDR kein richtiges Kataster gibt. Auch in Athen dürfte es mitunter schwer fallen, Eigentumsverhältnisse klar festzulegen.
In der DDR gab es schon so etwas wie ein Kataster. Im Grundsatz war also alles Notwendige da, nur wurden Grundbücher unter SED-Herrschaft nicht konsequent weitergeführt. Wegen der großen Eile der Privatisierung gab es deshalb manchmal Probleme, die klare Zuordnung hinzubekommen. Nach 1990 ließ sich aber fast alles rekonstruieren. In Griechenland dagegen gibt es offenbar die historische Tradition, Kataster zu führen, überhaupt nicht.
Die Voraussetzungen für die Privatisierung waren in der DDR in diesem Fall also besser als in Griechenland?
In diesem Fall waren die Voraussetzungen in der DDR besser als in Griechenland.
Lässt sich in Griechenland verhindern, dass Staatsbesitz zu Ramschpreisen weggeht?
Fraport steht schon in den Startlöchern, um die Nutzungsrechte an Flughäfen zu kaufen. Der Vertrag soll angeblich schon ausgehandelt sein. Alles soll wieder sehr schnell gehen. Auch hier wird wieder zeitlich gedrückt und damit fallen auch die Erlöse unter Umständen geringer aus. Es ist wichtig, sich für die Privatisierung Zeit zu nehmen. Zugleich braucht Athen natürlich schnell frisches Geld. All das ist ein Dilemma.
Die Idee für den Fonds stammt aus dem Bundesfinanzministerium. Wiederholt Deutschland einen alten Fehler?
Privatisierungsgewinne zu nutzen, um Schulden abzubezahlen und Banken zu rekapitalisieren, ist zunächst keine schlechte Idee. Entscheidend ist, wie sie praktisch umgesetzt wird. Besonders wichtig ist, dass in Griechenland Impulse gesetzt werden, damit es mittelfristig wieder zu Wachstum kommt.
12,5 Milliarden Euro aus dem Fonds sollen in die griechische Wirtschaft fließen.
Ja, aber auch die stehen wie die gesamten 50 Milliarden auf tönernen Füßen.
Hätte es damals eine Alternative zur deutschen Treuhand gegeben?
Ich glaube, es gab keine Alternative zu einer Privatisierung. Man hätte sie nur besser machen können. Wahrscheinlich wäre die Bilanz positiver ausgefallen, wenn man mehr Sanierungshilfen gegeben hätte und dafür bei den Sozialtransfers entsprechend gespart hätte.
Gibt es eine Alternative zum Treuhandfonds für Griechenland?
Bei Griechenland habe ich meine Zweifel, ob dieser Fonds die erwarteten Erträge bringen wird. Ich glaube, er soll vor allem ein Signal an die Geberländer sein, in denen die Parlamente dem dritten Hilfspaket noch zustimmen müssen. Ich glaube nicht, dass dieses Instrument am Ende wirklich einen wesentlichen Beitrag zum Wiederaufbau Griechenlands bringt. Und ich bin mir nicht sicher, ob die Verantwortlichen im Bundesfinanzministerium wirklich damit rechnen, dass der Fonds einen nennenswerten Beitrag leistet.
Mit André Steiner sprach Issio Ehrich