Wahl in Sachsen-Anhalt Kenia, Deutschland - oder Thüringen?
06.06.2021, 08:01 Uhr
Ab morgen, nach der Wahl in Sachsen-Anhalt, dürfte die Republik wieder einmal darüber diskutieren, wie rechts der Osten ist. Dabei könnten andere Aspekte der Wahl viel spannender werden.
Die Erleichterung wird groß gewesen sein bei der CDU, nicht nur in Sachsen-Anhalt, auch in der Berliner Zentrale. Am Donnerstag veröffentlichte das ZDF sein Politbarometer, in dem die Union bei der Landtagswahl mit 30 Prozent deutlich auf dem ersten Platz steht, klar vor der AfD, die nur mit 23 Prozent rechnen kann. Doch die Freude hielt nicht lang. Am Freitag folgte das Umfrageinstitut Insa mit einer Erhebung, in der die Magdeburger Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen keine Mehrheit hat - und bei der die AfD nur einen Punkt hinter der Union liegt. Bei einem solchen Ergebnis würden Sachsen-Anhalt Thüringer Verhältnisse drohen - die faktische Unregierbarkeit.
Heute nun wird gewählt, und immerhin, der Trend geht aufwärts für die CDU. Eine Woche zuvor hatte Insa mit einer anderen Umfrage für Unruhe gesorgt: Dort kam die Union nur auf 25 Prozent, die AfD auf 26. Erstmals hätte eine radikal rechte Partei die stärkste Fraktion in einem bundesdeutschen Landtag gestellt.
In den meisten anderen Bundesländern wären auch 23 Prozent für die AfD eine Sensation. In Sachsen-Anhalt dagegen bliebe die Partei damit hinter ihren Erwartungen zurück. 2016 zog die AfD mit 24,2 Prozent in den Magdeburger Landtag ein. Trotz massiver interner Querelen und obwohl die Partei in Sachsen-Anhalt noch radikaler auftritt als anderswo, scheint ihre Wählerbasis zumindest stabil zu sein. Nicht nur, wenn die Insa-Umfragen sich als richtig erweisen, dürfte am Montag eine Debatte weitergehen, die regelmäßig nach Wahlen in den nicht mehr ganz so neuen Bundesländern aufflackert: Warum ist der Osten so rechts?
Diktatursozialisiert?
"Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind", hatte der Ostbeauftragte der Bundesregierung, der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz vor einigen Tagen in einem Podcast der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt - und dafür heftige Kritik einstecken müssen, auch aus seiner eigenen Partei. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff etwa sagte bei ntv, für viele Wähler sei die AfD eher eine Plattform, um Unmut und Frust rauszulassen - "die wenigsten sind ja rechtsradikal eingestellt". Man dürfe diese Wähler nicht verloren geben, so der CDU-Politiker.
Tatsächlich geben die Zahlen einen stärkeren Erfolg der AfD bei den Jahrgängen, die man "diktatursozialisiert" nennen könnte, nicht her. Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen vor zwei Jahren wählten die über 60-Jährigen nach Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen keineswegs besonders häufig die AfD, sondern weniger häufig als andere Altersgruppen.
Zudem verdeckt die Debatte, dass auch in Ostdeutschland längst sehr heterogen gewählt wird. So kann die FDP nach zehn Jahren außerparlamentarischer Opposition mit einer Rückkehr in den Landtag von Sachsen-Anhalt rechnen. Die Grünen erreichten in den Umfragen mitunter sogar zweistellige Ergebnisse. Nur die SPD muss fürchten, dass sie ihr Ergebnis von 2016 kaum verbessert: Damals landete sie bei 10,6 Prozent.
Bei 30 Prozent kann Laschet aufatmen
Mit 2,2 Millionen Einwohnern ist Sachsen-Anhalt zwar eines der kleineren Bundesländer. Da die Landtagswahl aber die letzte vor der Bundestagswahl im September ist, werden die Parteien das Ergebnis auch daraufhin abklopfen, wie ihre Botschaften ankommen. Aus Sicht der CDU wären 30 Prozent ein großer Erfolg für Ministerpräsident Haseloff. CDU-Chef Armin Laschet könnte ebenfalls aufatmen. Zumindest müsste er sich dann nicht vorwerfen lassen, mit seiner Kanzlerkandidatur für eine Wahlniederlage verantwortlich zu sein. Auch die Grünen und die FDP dürften das Wahlergebnis am Sonntag als Erfolg feiern.
Spannender ist allerdings, mit welcher Koalition Haseloff weiterregiert. Er hat bereits signalisiert, dass er gegen eine Fortführung der Koalition aus CDU, SPD und Grünen keine Einwände hat, und auch SPD und Grüne haben sich für eine Fortsetzung des "Kenia"-Bündnisses ausgesprochen, benannt nach den Farben der kenianischen Flagge. Eine Fortsetzung der Koalition sei möglich, wenn der Wähler das so wolle, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Cornelia Lüddemann der Deutschen Presse-Agentur. "Denn Kenia ist deutlich besser als der Ruf."
Haseloff kann sich aussuchen, mit wem er nicht regiert
Dass die Landesregierung überhaupt fünf Jahre gehalten hat, ist vor allem das Verdienst von Haseloff, SPD und Grünen. Etwa im Streit um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags: Mit einem Zugeständnis verhinderten die kleineren Koalitionspartner, dass die CDU mit der AfD votierte. Der damalige Innenminister Holger Stahlknecht verlor über diese Affäre seinen Job; Haseloff schmiss ihn raus, um klar zu machen, dass er keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD duldet.
In den hinteren Reihen der CDU gibt es dagegen eher einen latenten Drang nach rechts. So haben es die beiden CDU-Abgeordneten Lars-Jörn Zimmer und Ulrich Thomas auf Platz drei und vier der Landesliste geschafft - diese beiden waren 2019 die Autoren einer "Denkschrift", in der in seltsam geschichtsvergessener Diktion gefordert wurde, "das Soziale mit dem Nationalen" zu versöhnen. Auf Platz fünf folgt Fraktionsgeschäftsführer Markus Kurze - der Mann, der als medienpolitischer Sprecher die Krise um den Rundfunkbeitrag maßgeblich befeuerte. Zwei Jahre zuvor hatte der Landtag auf Initiative der AfD mit Stimmen aus der CDU die Einrichtung einer Enquete-Kommission zum Thema Linksextremismus beschlossen - in einem Land, das ausweislich des damaligen Verfassungsschutzberichts ein "Gesamtpotenzial" von 1300 Rechtsextremisten und 490 Linksextremisten hat.
Dem "Tagesspiegel" teilte Kurze gerade mit, er halte die Grünen für "linksideologisch", er bevorzuge eine "Deutschland-Koalition" aus Union, SPD und FDP. Es wäre durchaus möglich, dass die FDP die Grünen aus dem Kenia-Bündnis verdrängt. Zumindest rechnerisch ist auch eine dritte Option denkbar, Jamaika, also CDU, Grüne und FDP. Für Ostdeutschland wäre dies eine Premiere, für Haseloff der doppelte Sieg. Er könnte sich unter drei Parteien eine aussuchen, mit der er nicht regieren will. Das wäre - für ostdeutsche Verhältnisse - sehr komfortabel.
Quelle: ntv.de