Bekannter Dichter Rubinstein tot Kremlkritiker in Moskau von Auto überfahren
14.01.2024, 12:53 Uhr Artikel anhören
Rubinstein machte sich über den Sozialistischen Realismus lustig und war ein scharfer Kritiker des Kreml.
(Foto: imago images/SNA)
Alles wieder nur ein Unfall? Vor wenigen Tagen fährt ein Auto den russischen Kriegsgegner Rubinstein an. Nun erliegt der bekannte Dichter seinen Verletzungen. Rubinstein hatte es gewagt, den Angriff auf die Ukraine als "kriminellen Krieg" zu bezeichnen und den Kreml zu kritisieren.
Der russische Dichter und Kreml-Kritiker Lew Rubinstein ist tot. Der 76-Jährige starb an diesem Sonntag, sechs Tage nachdem er in Moskau von einem Auto angefahren und schwer verletzt worden war, erklärte seine Tochter Maria Rubinstein in ihrem Blog auf der Website "Live Journal".
Rubinstein war am 8. Januar beim Überqueren einer Straße in der Hauptstadt angefahren und in kritischem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert worden. Nach Angaben der Moskauer Verkehrsbehörde hatte der bereits an mehreren Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung beteiligte Autofahrer vor dem Zebrastreifen nicht abgebremst.
Der 1947 in Moskau geborene Rubinstein war ausgebildeter Bibliothekar und einer der großen Namen der sowjetischen Untergrund-Literaturszene der 1970er- und 1980er-Jahre. Er war Mitbegründer des Moskauer Konzeptionalismus, der den Sozialistischen Realismus ablehnte und sich über ihn lustig machte. Rubinstein schuf mit seiner "Karteikarten-Poesie" ein eigenes Genre, das Theater und Poesie vereinte: Der Dichter las auf der Bühne kurze Sätze vor, die auf Karteikarten geschrieben waren.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Rubinstein in Russland zunehmend bekannter. Seine Werke wurden in renommierten Verlagen publiziert und in mehrere Sprachen übersetzt. Rubinstein arbeitete zudem als Journalist.
Offene Kritik an Putin
Aus seiner Ablehnung der Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin hatte Rubinstein nie ein Geheimnis gemacht. Er nahm an oppositionellen Demonstrationen teil und prangerte Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen an.
Im März 2022 unterzeichnete er gemeinsam mit anderen russischen Schriftstellern einen offenen Brief, der den Angriff der russischen Armee auf die Ukraine als "kriminellen Krieg" bezeichnete. In einem Essay aus jenem Jahr kritisierte er die russische Führung, die jede Kritik an ihr als Feindschaft gegen das ganze Land, als Russophobie verunglimpfe.
"Rubinstein wurde nicht verhaftet oder gefoltert, er wurde nicht vergiftet oder in Russland in der Zeit des Krieges in der Ukraine verfolgt", schreibt die russische NGO Memorial auf X. "Aber sein tragischer Tod im Januar 2024, kurz vor dem zweijährigen Jahrestag der Katastrophe, hat eine bittere Symbolkraft." Das heutige Russland habe "keinen Platz für freie Bürger und unabhängige Dichter. Es rast an ihnen vorbei und hält nicht einmal an der roten Ampel an, um sie über die Straße gehen zu sehen. Der Dichter, der sich selbst schon oft überlebt hatte, konnte Putins Russland nicht überleben."
In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind in Russland auffallend viele kremlkritische Politiker, Journalisten und Manager seltsamer Tode gestorben. Allein in letzter Zeit kamen viele Oligarchen und Manager aus dem Öl- und Gassektor ums Leben. Im Sommer 2023 starb auch Söldnerchef Jewgeni Prigoschin, ein abtrünniger Weggefährte Putins, wenige Monate nach seinem Marsch auf Moskau bei einem Flugzeugabsturz.
Quelle: ntv.de, ghö/AFP