Politik

US-Präsident trifft Kronprinz Krieg und Energiekrise sind wichtiger als ein Mord

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Der de facto Machthaber in Saudi-Arabien: Kronprinz Mohammed bin Salman.

(Foto: REUTERS)

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Die Menschenrechte ins Zentrum der Präsidentschaft stellen, die Autokraten dieser Welt bekämpfen und Saudi-Arabien ächten: Das waren erklärte Ziele von US-Präsident Biden. Jetzt trifft er den saudischen Kronprinzen bin Salman. Ursache ist der Krieg in der Ukraine.

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hatte entschieden: Der Journalist Jamal Khashoggi muss verschwinden. Das tat er im Oktober 2018. Der Chef einer kritischen saudischen Tageszeitung und Kolumnist für die "Washington Post" betrat das Generalkonsulat seines Landes im türkischen Istanbul, kam aber nie wieder heraus. Die saudische Regierung räumte irgendwann ein, ihn getötet zu haben, dementiert aber eine Beteiligung bin Salmans. Der US-Geheimdienst geht davon aus, dass der de facto Staatschef den Befehl für die Ermordung des Kritikers gab, der dann getötet und zerstückelt wurde. Khashoggis Körper ist bis heute nicht gefunden worden.

Nun fliegt US-Präsident Joe Biden erstmals in seiner Amtszeit in den Nahen Osten, hat zunächst Israel besucht - und trifft sich nun mit Mohammed bin Salman. Im Wahlkampf ums Weiße Haus hatte der Demokrat das Land noch als Paria-Staat bezeichnet. "Sie werden den Preis bezahlen und ich werden sie zum Ausgestoßenen machen", sagte Biden. Noch im vergangenen Monat hieß es vom Weißen Haus, Bidens Ansicht habe sich nicht geändert. Dessen Vorgänger Donald Trump pflegte hingegen ein enges Verhältnis zum Kronprinzen.

Explodierende Energiepreise, das iranische Atomprogramm und die ewige Sorge, dass ein pragmatisches China weltweit an Einfluss gewinnt, haben einen Kurswechsel im Nahen Osten verursacht. Den erklärte der US-Präsident vor seiner Reise sogar in einem Beitrag in der "Washington Post". Quintessenz ist, dass Lösungen für die derzeitige, vom Krieg in der Ukraine ausgelöste Krise schlicht wichtiger sind als ein Mord. Die Region sei elementar für den weltweiten Handel und globale Lieferketten.

Biden hatte vor seiner Wahl angekündigt, die Menschenrechte ins Zentrum seiner Präsidentschaft zu stellen. Den Saudis wird vorgeworfen, dass sie mit eiserner Hand gegen Kritiker vorgehen; mit Massenverhaftungen, Hinrichtungen und anderer Gewalt, um Widerstände im Land brutal zu ersticken. Doch den Kronprinzen einfach zu ignorieren oder gar aktiv zu isolieren, ist nicht mehr im Interesse der USA. Menschenrechte dürften bei den Unterhaltungen mit dem Kronprinzen aber, wenn überhaupt, für Biden nur eine Nebenrolle spielen.

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Ex-US-Präsident Donald Trump mit Kronprinz Mohammed bin Salman

(Foto: REUTERS)

Ein hochrangiger Regierungsvertreter wischte lapidar zur Seite, dass bereits das Zusammentreffen mit bin Salman den früheren Ankündigungen Bidens widerspricht. "Falls (er) zum Schluss kommt, dass es in seinem Interesse liegt, sich mit einem Anführer zu treffen, und es Ergebnisse bringen könnte, wird er es tun." Um des Friedens und der Stabilität der Region willen müsse man sich mit Saudi-Arabien auseinandersetzen, sagte der Vertreter. Schließlich habe der Kronprinz eingewilligt, den Krieg im Jemen vorerst nicht fortzusetzen und den Waffenstillstand dort zu verlängern. Biden hatte bei seinem Amtsantritt versichert, den Krieg im Jemen beenden zu wollen.

Bürgerrechtlerin sieht "Verrat"

Es wird wohl zuvorderst über Sicherheitsfragen und regionale Konflikte gesprochen, aber auch über das Öl, was von dort kommt. Russland ist wegen des Krieges in der Ukraine als Lieferant für die USA und andere Länder weggefallen. Die OPEC+ Länder unter Führung von Saudi-Arabien hatten im vergangenen Monat eingewilligt, ihre Fördermenge zu erhöhen. Biden dürfte mit dem Kronprinzen darüber sprechen, noch mehr Öl auf den Weltmarkt zu pumpen. Nicht unbedingt aus Saudi-Arabien selbst, aber als führende Nation der OPEC+ Länder. Zumindest könnte er auf eine Zusicherung aus sein, dass die Länder der Region auf Seite der USA und ihrer Verbündeten in Europa stehen, wenn es hart auf hart käme.

Die saudi-arabische Bürgerrechtlerin Hala al-Dosari, die inzwischen in den USA lebt, kritisierte Bidens Reise. Das Treffen des Präsidenten mit dem Kronprinzen sei "Verrat". Die US-Regierung stelle kurzfristige Interessen der Ölversorgung und Unterstützung Israels über das langfristige Ziel eines demokratischen Wandels in arabischen Ländern.

Zum Zeitpunkt von Bidens Besuchs treffen sich in Saudi-Arabien der Golf-Kooperationsrat - Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate -, sowie Vertreter Ägyptens, Jordaniens und des Irak. Bislang versuchen die Golfstaaten, sich neutral gegenüber Moskau zu verhalten. Biden will erreichen, dass die Golfstaaten den Angriffskrieg Russlands öffentlich verurteilen, sagten Diplomaten der Nachrichtenagentur Reuters.

Zu den Gesprächen über Sicherheit gehört der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sowie die Lebensmittelversorgung. Nicht ohne Grund, schon jetzt sind die Preise für Grundnahrungsmittel wie Brot in der Region nach oben geschossen. Der Thinktank "Middle East Policy" hält es für wahrscheinlich, dass insbesondere in den von Energieimporten abhängigen Ländern der Region in den kommenden Monaten "soziale Unruhen im großen Umfang aufflammen" werden und sich die Lage in den Kriegsländern Syrien und Jemen dramatisch verschlechtert.

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US-Präsident Joe Biden "justiert" die Beziehungen.

(Foto: AP)

Auch, wenn sich Saudi-Arabien nicht zu Menschenrechten bekennt, hat der Wüstenstaat Unterstützung der Abraham-Vereinbarungen signalisiert, die den Frieden zwischen Israel und den arabischen Staaten garantieren sollen. Der saudischen Botschaft in Washington zufolge soll Bidens Besuch "die historischen Beziehungen und die herausragende strategische Partnerschaft" zwischen den beiden Ländern stärken. Eine Sprecherin Bidens sagte, es sei wichtig, Beziehungen "zu justieren", nicht zu zerstören. Es gehe auch um die Eindämmung des Iran und den Schutz von etwa 70.000 US-Bürgern, die in Saudi-Arabien leben.

Biden im Zwiespalt

Demokratien gegen Autokratien, diese weltweite Rivalität der politischen Systeme ist für Biden die große Klammer seiner Präsidentschaft, das betont er immer wieder. Entsprechend begründet er auch immer wieder außenpolitische Entscheidungen. Der US-Präsident trommelte etwa die Verbündeten bei der Unterstützung für die Ukraine gegen den Angriff Russlands zusammen und blockierte die Teilnahme Kubas, Venezuelas und Nicaraguas beim Amerika-Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten in Los Angeles. Der erklärte Hauptkonkurrent in diesem globalen Wettstreit ist China.

Doch nun befindet sich Biden in einem Zwiespalt. Die Energiepreise steigen und treiben die Inflation, was wiederum die Bevölkerung wütend macht. Eben diesen Kaufkraftverlust versucht der US-Präsident abzudämpfen, wenn auch nur durch symbolische Bilder mit ölreichen Ländern. Sonst könnten die Demokraten bei den Kongresswahlen im November ihr rotes republikanisches Wunder erleben. "Biden hat Probleme mit den Benzinpreisen", meinte sein hochrangiger Parteikollege Dick Durbin. Wegen der Menschenrechtsprobleme habe er jedoch "gemischte Gefühle" über den Besuch des Präsidenten in Saudi-Arabien, sagte der Senator.

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Die neuen Prioritäten ändern nicht nur die Haltung des Weißen Hauses gegenüber Riad. Kurze Zeit nach Russlands Invasionsbeginn gab es bereits Gespräche in Caracas mit der Regierung um Staatschef Nicolás Maduro. Trotz aller Sanktionen wegen Menschenrechtsverstößen und mafiösen Strukturen.

Experten zweifeln daran, dass eine erhöhte Fördermenge allein die Preise drücken würde. "Ein großer Teil des Preishochs ist auf Geopolitik und Finanzspekulation zurückzuführen", wird etwa Ben Cahill vom Center for Strategic and International Studies bei "Politico" zitiert. Wenn man die tatsächliche Nachfrage und den Handel von Rohöl betrachte, gebe es nirgendwo größere Störungen.

Quelle: ntv.de

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