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10.000 Migranten in drei Tagen Lampedusa - für Italiens Regierung ist das die Schuld der Deutschen

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Migranten auf einem Schiff der Küstenwache - im Hintergrund: Lampedusa.

Migranten auf einem Schiff der Küstenwache - im Hintergrund: Lampedusa.

(Foto: AP)

Die kleine italienische Insel Lampedusa liegt nur rund 100 Seemeilen von der nordafrikanischen Küste entfernt. Mittlerweile treffen dort wieder massenhaft Migranten in kleinen Holzbooten ein. Das ist eine Folge der Maßnahmen der Regierung Meloni - doch die sucht die Schuld bei den Deutschen.

Für den italienischen Transportminister Matteo Salvini ist die Sache klar: Wer hat Schuld daran, dass in drei Tagen auf der südlichsten Insel Italiens Lampedusa 10.000 Migranten gelandet sind? Die Deutschen, denn - so Salvini - sie bezahlen die Rettungsschiffe der Hilfsorganisationen und die schleppen die "Illegalen" nach Italien ein. Richtig ist, dass es drei NGO-Rettungsschiffe im Mittelmeer gibt, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, schiffbrüchige Migranten zu retten und dass diese mit Spenden auch aus Deutschland finanziert werden, unter ihnen die evangelische Kirche mit einer Spende über 100.000 Euro. Falsch aber ist, dass diese NGO-Schiffe auch nur einen der 10.000 Migranten am zweiten Septemberwochenende nach Lampedusa gebracht haben.

Die italienische Regierung schreibt den NGO-Schiffen genau vor, in welche Häfen sie Migranten bringen müssen: Die liegen immer weit im Norden, oftmals mehr als 1000 Kilometer Fahrt müssen sie machen. Die weiten Wege erschweren den Helfern Rettungsaktionen im Mittelmeer enorm. Der Hintergedanke dabei ist deutlich erkennbar: So ist das Rettungsschiff erst einmal für zehn Tage außer Gefecht gesetzt. Verbieten konnte Roms Rechts-Regierung das Retten auf See nicht, denn das würde gegen internationale Konventionen verstoßen. Aber es de facto unmöglich machen: das geht. Zu den ersten Maßnahmen der Regierung von Giorgia Meloni gehörte, dass die Flotte der eigenen Rettungsschiffe mit Platz für Hunderte von Schiffbrüchigen meist im Hafen liegen muss. Mit dieser harten Hand unterbinde man, so die Regierung, die "Invasion durch die Illegalen".

Doch das Gegenteil eines Stopps trat ein: Stattdessen steigen die Flüchtenden wieder in kleine und kleinste Holzboote, überqueren die 100 Seemeilen von Sfax nach Lampedusa mit eigenen Mitteln. Auch bei der bisher größten Migrantenwelle 2014, als in ganz Italien 170.000 Migranten anlandeten, kamen in Lampedusa im ganzen Jahr nur knapp 4000 Flüchtlinge an. Weil alle anderen vorher im Meer aufgefangen und dann direkt in große italienische Häfen gebracht worden waren.

Sie kommen wieder mit eigenen Booten

Die Bilder eines überquellenden Hotspot-Auffanglagers auf Lampedusa im Imbriacola-Tal sind also die direkte Auswirkung der politischen Entscheidung der Rechts-Regierung in Rom, jegliche Art von Rettungsaktionen im Meer einzustellen. Jetzt kommen sie wieder wie 2011 bei der ersten Welle aus Tunesien mit eigenen Booten. Fast alle haben in Sfax abgelegt, wo der Preis für ein Boot dramatisch gesunken ist. Ein Zehn-Personen-Kahn mit Außenborder wird dort schon für 3000 Euro angeboten. Fischkutter aus Metall kommen praktisch gar keine mehr.

Für die Meloni-Regierung sind die Bilder aus Lampedusa ein Desaster. Im Wahlkampf hatte sie die NGOs als die schuldigen "Schlepper" verkauft. De facto sind die nun ausgeschaltet, aber die Migrantenzahl hat sich im Vergleich zur Draghi-Regierung schon jetzt verdoppelt.

Auch diplomatisch ist der Regierungskurs nach hinten losgegangen. Meloni war im Juli nach Tunesien geflogen, um mit dem dortigen Regierungschef Kais Saied einen Deal zu machen: Das Land soll die Migration verhindern, dafür soll Tunesien eine Milliarde dringend benötigter Finanzhilfen vom IWF bekommen, zudem 300 Millionen Euro von der EU für zukünftige Solarenergie aus der Wüste. Doch passiert ist das Gegenteil: Die Abfahrten aus Tunesien sind massiv angestiegen. Nicht nur bereits nach Tunesien eingewanderte Afrikaner aus den Ländern südlich der Sahara wollen weiter nach Europa, sondern auch wieder viele junge Tunesier.

Innenpolitisch spielen Meloni und Salvini jetzt wieder die anti-europäische, vor allem anti-deutsche Karte aus: Europa helfe nicht, "die Deutschen" seien schuld an allem. Im italienischen Fernsehen, mittlerweile unter voller Kontrolle der Meloni-Getreuen mag das funktionieren. Es kollidiert aber mit den Fakten. Laut Bundesinnenministerium hat Deutschland bislang mehr als 1700 Schutzsuchende aufgenommen - rund 1000 davon aus Italien. Zum Abkommen von Dublin aber gehört auch, dass Italien Personen, die in Italien schon einen Erstantrag gestellt haben und in Deutschland aufgegriffen werden, wieder zurücknimmt. Italien hätte rund 4000 Asylbewerber zurücknehmen müssen, weigert sich aber. Deutschland bleibt erst einmal zurückhaltend. Dabei ist sich die Bundesregierung wohl auch nicht einig, ob sie Italien nun unter die Arme greifen soll oder auf dem Buchstaben des Dublin-Abkommens beharren soll, wonach Italien die dort als "Dublinierte" bezeichneten Asyl-Erstbeantrager wieder zurücknehmen soll.

Vorwürfe gegen Deutschland

Dem italienischen Publikum wird auch eine andere Grafik nie gezeigt: In diesem Jahre haben in Italien von den 120.000 Ankömmlingen bisher nur 60.000 Asyl beantragt, in Deutschland hingegen schon insgesamt 240.000. Doch auch in Italien dämmert es Regierungspolitikern allmählich, dass jenseits der Propaganda von einer von Deutschland organisierten "schwarzen Invasion" kein EU-Land allein das Problem lösen kann. Wenn selbst ein schon scheinbar unter Dach und Fach gebrachtes Abkommen mit Tunesien das Papier nicht wert ist, auf dem es geschrieben wurde, dann zeigt das die Dimension des Problems: Je ärmer und verwüsteter der Süden der Welt wird, desto mehr Flüchtlinge werden kommen, auf der Suche nach Rettung, nach ein bisschen Essen. So wie viele der fast verhungerten Flüchtlinge auf Lampedusa, die über den Zaun des Auffanglagers klettern, um sich bei den gastfreundlichen Lampedusanern endlich einmal satt zu essen.

Eine erste, konkrete Maßnahme, um der Flüchtlingswelle Herr zu werden, hat Italiens schon ergriffen: Die Ankömmlinge auf Lampedusa wurden nicht mehr erkennungsdienstlich behandelt, es gab keine Fotos und keine Fingerabdrücke. Sie bekamen ein buntes Armbändchen und wurden an Land gebracht. Für die europäischen Asylbehörden sind sie damit nicht erfasst - asyltechnisch gesehen "jungfräulich" - und können überall in der EU einen "Erstantrag" stellen. Niemand darf sie dann nach Italien zurückschicken, weil sie offiziell gar nicht aus Lampedusa kommen.

Meloni legt nach

Italiens Regierung ist im Panik-Modus. Bei den Wahlen hatten die Rechtsparteien einen absoluten Stopp der "Invasion" versprochen. Stattdessen nun neue Rekordzahlen. Lega-Boss Matteo Salvini forderte "den Einsatz der italienischen Kriegsmarine". Regierungschefin Giorgia Meloni legte am Freitagabend in einem TV-Spot nach: Wer illegal nach Italien komme, werde 18 Monate statt wie bisher 12 Monate in einem geschlossenen Lager festgehalten und dann wieder zurückgeschickt. Das werde die Regierung am kommenden Montag per Dekret beschließen, verkündete sie.

Wie das Zurückschicken funktionieren soll, weiß auch in Rom niemand, wenn man nicht einmal einen "befreundeten" Regierungschef wie Tunesiens Präsidenten überzeugen kann, die eigenen Landsleute zurückzunehmen. Oder wenn Tausende Migranten aus Ägypten kommen, einem Land, mit dem Italien gute Beziehungen unterhält, oder aus Pakistan. Die jüngste Idee der Regierung in Rom, um der Migration Herr zu werden, ist eine europäische Militärmission im Mittelmeer, die für Sicherheit sorgen soll. Seltsam. Diese gemeinsame europäische Militäraktion gab es unter dem Namen "Sophia" schon einmal von 2015 bis 2019. Auf Italiens Wunsch wurde sie beendet.

Quelle: ntv.de

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