Abschied von Obama Merkel hatte eine Träne im Auge
31.05.2018, 18:38 Uhr
17. Dezember 2016: Merkel begrüßt Obama im Kanzleramt. "Sie ist ganz alleine", soll er nach dem Abschied gesagt haben.
(Foto: REUTERS)
Ist Angela Merkel noch einmal als Kanzlerkandidatin angetreten, weil Donald Trump US-Präsident geworden war? Damals stritt sie das ab. Das Buch eines ehemaligen Obama-Beraters legt den Verdacht allerdings nahe.
Nachdem Donald Trump im November 2016 die Präsidentschaftswahlen in den USA gewonnen hatte, riefen einige Medien Bundeskanzlerin Angela Merkel zur "Führerin der freien Welt" aus. Auch der damals noch amtierende Präsident Barack Obama erweckte den Eindruck, er wolle den Staffelstab an Merkel weitergeben.
Er glaube, "dass Kanzlerin Merkel und Deutschland eine zentrale Stütze für den Schutz der Grundprinzipien einer freiheitlichen, marktbasierten Ordnung sind, die einmaligen Wohlstand und Sicherheit für Europa geschaffen hat, aber auch für die Welt", sagte Obama dem "Spiegel" in einem Interview kurz nach den US-Wahlen.
Allerdings hat Merkel stets bestritten, sich selbst in der Rolle einer westlichen Anführerin zu sehen - dafür sei Deutschland trotz seiner Größe einfach zu klein. Niemand könne die Probleme dieser Welt alleine lösen, sagte sie vor einem Jahr bei einem Besuch in Argentinien, "keine Einzelperson und kein Land". Und dennoch scheint sie nach Trumps Wahlsieg das Gefühl gehabt zu haben, in der Pflicht zu stehen: Als Obama am 17. November 2016 zu einem Abschiedsbesuch ins Kanzleramt kam, habe sie ihm gesagt, sie fühle sich nun stärker verpflichtet, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren, um die liberale Weltordnung zu verteidigen.
So steht es nach Angaben der "New York Times" in einem Buch, dass Obamas langjähriger Berater Ben Rhodes geschrieben hat. Das Werk mit dem Titel "Die Welt, wie sie ist" erscheint am kommenden Dienstag und ist naturgemäß aus einer Obama-freundlichen Perspektive geschrieben. Rhodes erzählt darin, als Merkel und Obama sich verabschiedet hätten, habe die Kanzlerin eine Träne im Auge gehabt. "Sie ist ganz alleine", habe Obama gesagt.
Wenige Tage nach Obamas Besuch verkündete Merkel dann tatsächlich, dass sie zur Bundestagswahl noch einmal antreten werde. In der Talkshow von Anne Will stritt sie allerdings ab, dass ihre Entscheidung etwas mit Trumps Wahlsieg zu tun habe. Sie machte jedoch deutlich, dass sie ihre erneute Kandidatur durchaus als Kampfansage an die populistische Herausforderung verstand. "Ich bin genauso das Volk, wie andere das Volk sind", sagte sie.
Obama war optimistisch, wütend und hatte Selbstzweifel
Rhodes zufolge durchlief Obama nach Trumps Wahlsieg mehrere emotionale Phasen: Manchmal habe er die lange Sicht betont - so präsentierte er sich damals auch öffentlich, bei seiner Abschiedstour, auf der er nachdrücklich für die liberale Demokratie warb. Manchmal war er aber auch einfach nur wütend und bezeichnete Trump als "Witzfigur", dem die Größe seines Publikums wichtiger sei als irgendein politisches Ziel. Gelegentlich habe er Anflüge von Selbstzweifel gehabt und sich gefragt, ob er selbst mitverantwortlich dafür sei, dass Trump Präsident werden konnte. Wenig habe Obama so erschüttert wie die Entscheidung der Wähler, ihn durch den Mann zu ersetzen, der nicht einmal davor zurückgeschreckt sei, die Echtheit seiner Geburtsurkunde anzuzweifeln.
"Vielleicht haben wir zu viel gewollt", habe Obama gesagt, so Rhodes. "Vielleicht wollen die Leute einfach in ihrem Stamm bleiben." Der Ausdruck "tribe", Stamm, spielt auf die Vorstellung der USA als eine "Nation von Stämmen" an, was sich sowohl auf ethnische Unterschiede als auch auf die zunehmende Unüberbrückbarkeit politischer Differenzen beziehen kann - was aber in jedem Fall meint, dass die USA gespalten sind.
Im November 2016 schien Obama zu fürchten, seine eigene Wahl zum ersten schwarzen Präsidenten der USA sei für viele Amerikaner zu viel gewesen. "Manchmal frage ich mich, ob ich zehn oder zwanzig Jahre zu früh war", habe er gesagt. Ein anderes Mal beschrieb Obama Trump als ultimativen Test: "Wir sind dabei herauszufinden, wie widerstandsfähig unsere Institutionen sind, zuhause und rund um die Welt."
Am Tag nach der Wahl, nachdem er Trump durchs Weiße Haus geführt hatte, rief Obama ein paar Mitarbeiter ins Oval Office. "Ich versuche, mir seinen Platz in der amerikanischen Geschichte vorzustellen", sagte er. Rhodes schreibt, er habe geantwortet, dass Trump den Leuten Unsinn verkaufe. "Dieser Typus war immer Teil der amerikanischen Erzählung. Man kann ihn schon bei einigen der Charaktere in 'Huckleberry Finn' sehen." Dazu habe Obama gesagt, das sei "das Beste, auf das wir hoffen können".
Quelle: ntv.de