Müde Rede, langer Applaus Merz führt Rundumschlag, aber mitreißend geht anders


"Zukunft gemeinsam gewinnen" ist der Slogan des Parteitags. Merz bekam für seine Rede mehr als neun Miniuten Applaus.
(Foto: IMAGO/Political-Moments)
Erster Höhepunkt des dreitägigen Parteitags der CDU in Berlin ist die Rede des Vorsitzenden. Merz geht aktuelle Themen durch und lobt das neue Grundsatzprogramm. Neues ist dabei kaum zu hören - und große Begeisterung kommt auch nicht auf, trotz langen Applauses.
Nimmt man den Applaus als Gradmesser, dann war die Parteitagsrede von CDU-Chef Friedrich Merz ziemlich gut. Etwa neuneinhalb Minuten lang applaudierten die 1001 Delegierten am Montagmittag dem 68-Jähringen für seine Rede. Doch letztlich ist dieses Applaus-Spiel für alle Beteiligten - Delegierte, die klatschen und Journalisten, die die Zeit stoppen - ein Ritual, das nichts über die Rede aussagt. Denn die war weder besonders mitreißend noch überraschend. Merz klapperte die Positionen der CDU zu aktuellen Fragen ab, teilte erwartungsgemäß gegen die Ampel-Koalition aus und lobte das neue Grundsatzprogramm, das am Dienstag verabschiedet werden soll.
Eines machte Merz trotz mäßiger Rede unmissverständlich deutlich: Dass die CDU möglichst schnell wieder regieren will. "Wir sind uns einig mit einer großen Mehrheit der Bevölkerung unseres Landes", sagte er. "Maximal vier Jahre Ampel in Deutschland sind genug. Jeder Tag früher, den dieses Schauspiel ein Ende findet, ist ein guter Tag für Deutschland". Die CDU sei dreimal in der Geschichte der Bundesrepublik in der Opposition gewesen, sagte Merz. "Das erste Mal waren es 13 Jahre, das zweite Mal 7 Jahre. Wir wollen die Zeit in der Opposition jetzt erneut halbieren!", rief er.
Das ginge nur, wenn die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP vorzeitig zerbricht. Tatsächlich wird seit Wochen darüber spekuliert. Die große Klippe dabei: der Haushalt für das kommende Jahr. Schaffen es Scholz, Habeck und Lindner, sich noch einmal zu einigen? Das ist die eine Frage. Die andere Frage ist: Wer würde bei Neuwahlen Kanzlerkandidat der Union? Im Moment scheint Merz die besten Karten zu haben. Aber auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst soll Ambitionen haben, auch wenn er sich noch in der Deckung hält. Eine Entscheidung darüber soll es erst nach den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im September geben.
2023 wiederholt sich nicht
Beim sogenannten kleinen Parteitag vor einem Jahr war das noch anders. Kurz zuvor hatte Wüst in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben, dass die CDU nicht billige populistische Punkte, sondern wie in der Ära Angela Merkels ein Angebot für die politische Mitte machen sollte. Merz empfand das als Angriff, reagierte "angefasst", wie er in einer ARD-Doku einräumte. Laut "Spiegel" wollte er sogar hinwerfen, was sein Umfeld aber dementiert. Damals erlaubte sich Merz in seiner Parteitagsrede einen Seitenhieb gegen den Mann aus Nordrhein-Westfalen und seinen "Namensbeitrag in der FAZ".
Nun, ein Jahr später, gab es keinen solchen Mini-Eklat. Merz ist vorerst unangefochten die Nummer 1 seiner Partei, von schwelenden Konflikten ist nichts zu spüren. Im Gegenteil, Wüst sagte, die nordrhein-westfälische CDU unterstütze Merz "aus voller Überzeugung" und rief dazu auf, ihm den Rücken zu stärken, soll heißen: Ihm bei der Neuwahl zum Parteivorsitzenden ein möglichst gutes Ergebnis zu geben. Falls er in seiner kurzen Rede einen Seitenhieb unterbrachte, dann einen gut versteckten: "Wir sind die Stimme der Mitte und genau das wollen wir bleiben", sagte Wüst, was man als Anspielung auf seinen Gastbeitrag in der FAZ verstehen kann, in dem er geschrieben hatte, die CDU mache "Politik mit dem Herzschlag der Mitte".
Seine eigene Rede begann Merz mit einem Rückblick auf die vergangenen zweieinhalb Jahre seit der verlorenen Bundestagswahl 2021. Die CDU gewinne Wahlen auf allen Ebenen, sei es in Hessen, NRW, Schleswig-Holstein und Berlin oder eben auch auf kommunaler Ebene. Erstmals überhaupt stelle sie etwa den Oberbürgermeister in Mannheim. Auch bundesweit ist die CDU im Trendbarometer von RTL und ntv seit Langem stärkste Kraft, mitunter stärker als SPD, Grüne und FDP zusammen. Der Parteichef schweifte dann weiter und weiter in die Vergangenheit zurück, zählte CDU-Verdienste der vergangenen sieben Jahrzehnte auf.
Referat mit bekannten Positionen
Schließlich näherte sich Merz dem Begriff der Freiheit an. Seine These: Freiheit ist wichtiger als Frieden. "Ohne Freiheit gibt es keinen Frieden", sagte Merz. "In der Ukraine nicht, im Mittleren und Nahen Osten nicht, nirgendwo auf der Welt, auch bei uns in Europa nicht, in Deutschland nicht und in keiner menschlichen Gemeinschaft." An die Adresse der SPD sagte er: "Frieden entsteht nicht allein durch Friedfertigkeit". Merz sagte es an dieser Stelle nicht, aber hier ging es ihm um die Ukraine. Denn diese Gewichtung von Freiheit und Frieden ist eine der Grundlagen der Hilfe für das Land, das sich gegen den Angriff Russlands wehrt.
Später sagte er klar, die Ukraine verteidige auch "unsere Freiheit" und brauche mehr Unterstützung. Konkreter wurde er aber nicht - eine Forderung nach Lieferung des Marschflugkörper Taurus, wie es die Unionsfraktion im Bundestag mehrfach gefordert hatte, war nicht zu hören.
Migration, Leitkultur, Islam - auch hier referierte Merz bekannte Positionen. "Deutschland ist ein Einwanderungsland", sagte er. Deutschland brauche ausländische Fachkräfte, es brauche aber auch eine "Leitkultur" - ein alter Begriff, der auch im Entwurf für das Grundsatzprogramm steht. "Der Begriff grenzt nicht aus, sondern er ist eine Klammer für unsere vielfältige Gesellschaft", so Merz. Er stehe für eine "Reihe von Konstanten, für die wir nicht zur Verfügung stehen, sie zu verhandeln. Sie sind nicht verhandelbar!" Er forderte eine Begrenzung illegaler Zuwanderung: "Lassen Sie uns klar und deutlich sagen, wie es ist. Schon seit Längerem überfordert die irreguläre Migration die Integrationsfähigkeit Deutschlands." Das zeige sich auf dem Wohnungsmarkt, in Schulen und bei den Kinderbetreuungsmöglichkeiten. "Das kann und darf so nicht weitergehen."
Der Funke springt nicht
Anders als im Bundestag, wo Merz durchaus unterhaltsam regelmäßig die Politik der Ampel in Grund und Boden redet, Kanzler Scholz mitunter als "Klempner der Macht" beschimpft, blieb der Lautstärker-Regler diesmal eher unten. Ein paar Spitzen gegen Grüne und SPD gab es immerhin, vor allem die gegen die Grünen wurden mit starkem Applaus bedacht. Noch lauteren Beifall gab es für die deutlichen Attacken gegen die AfD. Merz versprach zudem, das Bürgergeld "in dieser Form" wieder abzuschaffen - obwohl die Union diesem auch in dieser Form zugestimmt hatte - ebenso wie das Heizungsgesetz. Zugleich sprach er sich für steuerfreie Überstunden und Steuerfreibeträge für arbeitende Rentner aus. Scholz, Habeck oder Lindner erwähnte er aber nicht. Teils klang Merz dabei wie der FDP-Chef, als er eine bessere Politik für die Wirtschaft forderte, die die Grundlage auch für Sozialausgaben sei.
Merz ging es erkennbar um das große Ganze, um das Grundsätzliche. Auf einem Parteitag, auf dem ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet wird, mag das passend erscheinen. Phasenweise vermisste man aber den angriffslustigen Merz, wie man ihn aus dem Bundestag kennt. Themen wie die Landtagswahlen im Osten kamen auffallend kurz, obwohl sie die vielleicht wichtigsten CDU-Herausforderungen in diesem Jahr sind. Überall könnte die AfD stärkste Kraft werden. Es steht also viel auf dem Spiel. In der Rede war das aber nur ein Thema von vielen.
Auch der Ukraine widmete Merz nicht mehr Zeit als den anderen Themen. Doch gerade in Ostdeutschland gilt es hier noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn auch in den eigenen Reihen gibt es dort viele Kritiker der Hilfe für das angegriffene Land. Merz sagte das, was er sagen musste. Er zeigte, wo die CDU heute steht. Aber ein überspringender Funke war trotz des langen Applauses kaum zu spüren. Es wirkte eher so, als wollte die Union begeistert sein. Nicht wegen, sondern trotz Merz und seiner Rede.
Quelle: ntv.de