Politik

Hilljes Wahlkampfcheck Mit Triellen starten Endspiele des Wahlkampfs

Zwei für die Galerie und eine(r) für das Kanzleramt. Aber wer?

Zwei für die Galerie und eine(r) für das Kanzleramt. Aber wer?

(Foto: picture alliance / Ulrich Baumgarten)

Kein Fernsehformat erreicht vor Wahlen mehr Menschen als die TV-Debatten der Kanzlerkandidaten, die am Sonntag bei RTL starten. In diesem Jahr könnten sie gar wahlentscheidend werden. Denn die Teilnehmer liegen in Umfragen gleichauf und keiner von ihnen kann im Triell die Merkel machen.

Das deutsche Fernsehen wird in den kommenden Wochen zur Dauerwahlsendung. Drei TV-Debatten zwischen Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock erwarten das stimmungsschwankende Wahlvolk. Dazu gibt es eine bunte Mischung mal mehr, mal weniger informativer Formate bei allen größeren TV-Sendern. Das erste der drei ausstehenden "Trielle" steht an diesem Sonntag bei RTL auf dem Programm. Fernsehdebatten zwischen Kanzlerkandidaten finden seit 2002 vor Bundestagswahlen statt. Wie so vieles in unserer Wahlkampfkultur, sind sie ein Import aus den USA. Zum ersten Mal gleicht sich vor dieser Wahl auch die Anzahl der Debatten amerikanischen Verhältnissen an. Dort sind drei Aufeinandertreffen der Standard.

Nicht nur die Menge der Debatten spricht dafür, dass sie einen Einfluss auf die Wahlentscheidung der Menschen nehmen werden. Mindestens aus drei Gründen darf man annehmen, dass den Triellen in diesem Jahr sogar wahlentscheidender Stellenwert zukommt: Erstens sind die TV-Debatten traditionell das meistgesehene Medienformat vor einer Bundestagswahl. 2017 verfolgten 16,3 Millionen Menschen das Aufeinandertreffen von Angela Merkel und Martin Schulz, das manchen Zuschauer allerdings mehr an ein Duett als ein Duell erinnert haben dürfte. Dem Schlagabtausch zwischen Gerhard Schröder und Merkel und wohnten 2005 sogar 20,9 Millionen Zuschauer bei. Punkt eins ist also die enorme Reichweite. Und was Menschen im Wahlkampf erreicht, kann sie potenziell auch beeinflussen.

Entscheidungshilfen für Unentschlossene

Womit wir bei, zweitens, der Wirkung der TV-Debatten wären. Eine Publikumsstudie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz über das Duell zwischen Merkel und Schulz ergab bei der letzten Bundestagswahl: Mit einer gelungenen Performance kann ein Kandidat auch solche Wählerinnen und Wähler überzeugen, die eigentlich einer anderen Partei nahestehen. In einer TV-Debatte werden also durchaus Wählerstimmen verteilt, unter Umständen sogar umverteilt. Das ist in diesem Jahr ein sehr realistisches Szenario, weil es, drittens, zahlreiche unentschlossene, prinzipiell wechselbereite und spät entscheidende Wählerinnen und Wähler gibt. Eine starke Debattenleistung kann bei ihnen den Unterschied machen. Schließlich hat sich bei vorherigen Bundestagswahlen auch gezeigt, dass die Anzahl unentschlossener Wählerinnen und Wähler nach einem Duell abgenommen hat. TV-Debatten sind Entscheidungshilfen.

Auch wenn Angela Merkel 2017 aus offensichtlichen Gründen ein "Debattentraining" nicht für nötig hielt, bereiten sich Kandidaten in der Regel sorgfältig mit ihren Teams auf den Schlagabtausch vor. Auf der Hand liegt, dass die planbaren Eröffnungs- beziehungsweise Abschlussstatements, Geschichten und Punchlines zu den vorher bekannten Themenblöcken genauso eingeübt werden wie gezielte Angriffslinien auf andere Kandidaten sowie Verteidigungs- und Ablenkungsmanöver für erwartbare Gegenangriffe. Weniger offenkundig, aber nicht weniger wichtig ist ein bewusster Einsatz der direkten Publikumsansprache, Kosten-Nutzen-Abwägungen von Unterbrechungen des Gegners, nonverbale Taktiken - wie Einsatz der Hände beim eigenen Reden, Einsatz des Kopfs beim Reden anderer. Ebenfalls wichtig sind Kleidung - 2013 lenkte Merkel die Aufmerksamkeit auf die "Deutschland-Kette" um ihren Hals - und die körperliche Wirkung. 2005 zum Beispiel stand Schröder auf einem Podest, um den Größenunterschied zu Edmund Stoiber wett zu machen.

Merkel-Strategie keine Option

Das Triell am Sonntagabend

Das erste Kanzler-Triell im deutschsprachigen Fernsehen bekommen Sie am Sonntag den 29. August um 20.10 Uhr bei ntv und RTL zu sehen. Moderiert wird die Runde von Pinar Atalay und Peter Kloeppel. ntv.de zeigt die Sendung im Livestream.

Im Zentrum der Strategie steht allerdings die Rolle, die ein Kandidat für sich im Verhältnis zu den Kontrahenten definiert. Operiert man im Angriffsmodus oder konzentriert sich auf Selbstpräsentation, geht man auf den Gegner direkt ein oder ignoriert ihn diszipliniert? Angela Merkels Strategie im Umgang mit Martin Schulz vor vier Jahren könnte man als Strategie der "demonstrativen Asymmetrie" bezeichnen: Sie ging kaum direkt auf Schulz ein, unterbrach ihn nie, ließ seine Attacken ins Leere laufen, machte weniger, aber dafür längere Statements und stellte anhand dieser präsidentiellen Distinktionsmittel unmissverständlich klar: Wir boxen nicht in der gleichen politischen Gewichtsklasse. Man könnte dazu auch sagen: Deklassieren durch Ignorieren.

Freilich ist eine solche Strategie diesmal für keinen Kandidaten eine Option. Schon in den vergangenen Tagen haben sich die Konturen der jeweiligen Rollen abgezeichnet: Laschet wird zwar vorgeben, zusammenzuführen statt polarisieren zu wollen, aber sogleich vor dem Szenario einer "linken Regierung" als drohendem Weltuntergang warnen. Baerbock muss als "Underdog" am angriffslustigsten in beide Richtungen auftreten, wird die Wahl zum Referendum zwischen Veränderung und "Weiter so" erklären.

Scholz ist der Populärste, hat daher am meisten zu verlieren, wird folglich seine stoische Selbstüberzeugung unbeirrt fortsetzen und so lange behaupten "Ich werde Kanzler", bis es alle glauben. Der SPD-Kandidat wird inhaltlich jedoch auch auf seine Teflon-Qualitäten setzen: Laschet und Baerbock stecken im ausweglosen Vertrauenstief. Nach oben kommen sie nur noch, wenn sie Scholz mit nach unten ziehen. Sehr gut möglich, dass die Trielle ihre letzte Chance sind. Es sind die Endspiele um das Kanzleramt.

Entscheidend ist dabei nicht nur, was auf dem Platz passiert. Auf Twitter wird eine Paralleldebatte zwischen Parteifunktionären, Journalisten und unzähligen Hobby-Spin-Doktoren toben. Jedes Statement wird eine Welle von Instant-Interpretationen auf Social Media erzeugen. Am Ende werden Politikjournalismus und Partei-Echokammern versuchen, einen Gewinner des Triells zu definieren. Die Entscheidung kann also auch in der Verlängerung fallen.

Quelle: ntv.de

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