
Weiß Söder, weshalb er gegen Laschet stichelt?
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Beim offiziellen Wahlkampfauftakt der Union hält CSU-Chef Söder eine Rede, die vor Sticheleien gegen Kanzlerkandidat Laschet strotzt. Damit schadet der Bayer seiner Union. Warum er es dennoch nicht lassen kann? Das weiß Söder womöglich nicht einmal selbst so genau.
Eins muss man Markus Söder lassen: Reden kann er. Das hat er am Samstag wieder einmal unter Beweis gestellt, als er beim offiziellen Wahlkampfauftakt von CDU und CSU eine fulminante, mitreißende Rede hielt. Aber eben auch eine, in der es von versteckten und offenen Sticheleien gegen Armin Laschet nur so wimmelte. Das fing damit an, dass er seine vorgesehene Redezeit von 15 Minuten verdoppelte, und hörte nicht damit auf, dass Söder den CDU-Chef und Kanzlerkandidaten der Union ständig als "lieben Armin" ansprach.
So sagte er Sätze wie: "Das ist etwas, wo Armin und ich nicht verstehen, was Grüne und SPD eigentlich wollen." "Armin und ich". Während bei den Grünen Robert Habeck sagte: "Annalena, die Bühne gehört dir", möchte der Markus dem Armin die Bühne ganz offensichtlich nicht allein überlassen. Und als er sagte, die Menschen zögen aus Berlin und Nordrhein-Westfalen nach Bayern, weil man sich da so "freier und sicherer" fühle, dürfte das NRW-Landesvater Laschet schon etwas gepikst haben. Dann war da noch die "volle Mütterrente", die die CSU will. Söder sagte: "Ich weiß auch vom Armin, dass er das im Herzen auch will, deshalb wird's auch so kommen." Und zum Nationalen Sicherheitsrat, den Laschet forderte: "Eine gute Idee, aber wir brauchen einen auf europäischer Ebene."
Diesen gönnerhaften und herablassenden Ton ist man von Söder seit Monaten gewohnt - seit dem Kampf um die Kanzlerkandidatur, den er Ende April verlor. Nun aber, fünf Wochen vor dem Wahltermin am 26. September, stellt sich die Frage: Was soll das jetzt noch? Denn eigentlich hat die Union einen Wahlkampf zu führen und muss dringend wieder in den Tritt kommen. In Umfragen gehen Laschets Werte zurück, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz holt auf. Was Söder ebenfalls hervorstellte. Er bemühte dazu eine Fußballmetapher: Wenn man den Ausgleich kassiert habe, müsse man erst recht wieder angreifen, sagte er sinngemäß. Es gebe Mannschaften, die dann aufgäben. Aber die Union sei nicht so eine Mannschaft. Womit sich Söder rhetorisch ganz nebenbei die Kapitänsbinde übergezogen hatte.
Lafontaine konnte sich auch zurückhalten
Auch ausgewiesene CSU-Experten teilen die Verwunderung über Söders Verhalten. Professor Heinrich Oberreuter zum Beispiel. Der Passauer Politikwissenschaftler, der selbst CSU-Mitglied ist, verfolgt die Partei seit Jahrzehnten. Das "permanente Durchschauen lassen, dass man eigentlich der Bessere wäre", werde "keine erfreulichen Ergebnisse bringen", sagt er ntv.de. Im Wahlkampf zähle Geschlossenheit. "Im Unionslager entsteht der Eindruck: 'Die sind sich nicht einig. Warum sollen wir dann einen Kandidaten unterstützen, von dem selbst der engste Kreis nicht überzeugt ist?'" Als Beispiel führt er den damaligen SPD-Chef Oskar Lafontaine an, der 1998 Gerhard Schröder unterstützte und erst nach dem Wahlsieg den Konflikt mit seinem Konkurrenten zum Platzen brachte. "Warum sollte Söder es nicht auch schaffen, sich zurückzunehmen?", fragt Oberreuter.
Auch Peter Siebenmorgen kann dem Verhalten Söders nicht viel abgewinnen. Er legte 2015 eine umfassende Biographie über Franz Josef Strauß ("Franz Josef Strauß - ein Leben im Übermaß") vor, den Übervater der CSU - und bis heute die politische Figur, dem die bayerischen Ministerpräsidenten nacheifern - auch sein aktueller Nachfolger. "Söder kämpft nicht mit dem politischen Gegner, sondern mit dem Freund", sagt Siebenmorgen ntv.de. Er beobachtet gar eine "wachsende Freude, den eigenen Mann zu verprügeln". Warum er das tut? "Ich kann am Verhalten Söders keine Rationalität entdecken", sagt Siebenmorgen.
Dass er damit der CDU nicht hilft, ist das eine. Aber auch in der CSU bringt ihm dieses Verhalten zumindest keine Pluspunkte. Im "Bayerntrend" des Bayerischen Rundfunks kamen die Christsozialen im Juli dieses Jahres nur auf 36 Prozent - ein Ergebnis, das knapp noch schlechter als das der Landtagswahl 2018 gewesen wäre. Bemerkenswert sei das, sagt Siebenmorgen. Denn bisher habe die Faustregel gegolten, je schlechter es der Bundes-CDU gegangen sei, desto besser steht die CSU da. Falls Söder darauf spekuliert haben sollte, wäre das jedenfalls schiefgegangen.
Was ist Söders Plan?
Ist da also nichts als verletzte Eitelkeit am Werk? Die Frage kann wohl nur Söder selbst beantworten und der sagt lieber Dinge wie am Samstag: "Lieber Armin, du kannst dich auf meine Unterstützung verlassen. Das ist ehrlich gemeint." Professor Oberreuter sagt: "Eitelkeit wäre mir als Erklärung zu banal." Es sei die hohe Selbsteinschätzung Söders. "Es ist das Überlegenheitsgefühl. Das schmerzt ihn." Er sieht in Söder eine "Egozentrik im Sinne der nicht ganz unbegründeten Einschätzung, dass man selbst der Bessere wäre".
Vielleicht verfolgt Söder aber auch einen ganz anderen Plan: Laschets Wahlkampf jetzt torpedieren, damit er selbst triumphaler und unangefochtener Kanzlerkandidat 2025 wird. Oberreuter winkt ab: "Wenn das so wäre, wäre das nicht nur fahrlässig, sondern auch selbstgefährdend für die C-Partei." Zu glauben, dass der Niedergang von CDU und SPD, speziell der CDU, ein personelles Problem sei, findet er "intellektuell defizitär". Damit spielt Oberreuter darauf an, dass die alten Milieus der Volksparteien aussterben und Ergebnisse jenseits der 40 Prozent der Geschichte angehören. "Ein Ergebnis von 30 Prozent wird bei der nächsten Wahl ein Ergebnis sein, über das man sich dann noch mehr freuen wird als jetzt", meint er.
Siebenmorgen glaubt auch nicht, dass Söder solche Pläne verfolgt. "Söder ist ein politischer Zappelphilipp, da kommt jeden Tag etwas Neues", sagt er. Als Beispiel führt er dessen Haltung zu den Grünen an. Mal seien diese ganz toll, dann seien sie wieder ganz schlecht. Oder Angela Merkel - einst sei die Kanzlerin für die CSU die Schlimmste gewesen, nun gebe sich Söder als glühender Verehrer.
"Nur noch destruktiv"
Zu guter Letzt hat Söder mit seinem Auftritt am Samstag noch einmal jenes Harakiri-Gerücht befeuert, das seit einiger Zeit im politischen Berlin kursiert. Also das Undenkbare, nie Dagewesene: Hofft Söder darauf, dass die Union doch noch den Kanzlerkandidaten austauscht? Fünf Wochen vor Schluss? "Wenn ich Söders Sticheleien höre, kann man sagen, er spielt mit dem Gedanken", sagt Oberreuter. Wenn er die Idee auch für "kompletten Blödsinn" hält. "Wie wollen Sie eine Öffentlichkeit überzeugen, dass der Unionshaufen wählbar ist, wenn man selbst vier bis fünf Wochen vor der Wahl nicht weiß, wer der beste Mann ist?" Siebenmorgen sieht das ähnlich: "Diese Diskussion werden Sie nicht mehr los."
Dass Laschet kein guter Kandidat sei, findet der Strauß-Biograf offenkundig. Laschet habe keine Vorstellung davon, wie er das Land positionieren wolle. Das heißt aber nicht, dass er Söder für den besseren Kandidaten hielte. Im Vergleich zu Strauß sieht er gar nur einen Posterboy in ihm, eine "Reclam-Ausgabe" eines Strauß. Ein Kandidatenwechsel würde auch in der CDU für Aufruhr sorgen. Söders Anhängerschaft in der Union sei dadurch, dass Söder nur Wahlkampf gegen den eigenen Mann mache, nicht größer geworden. Siebenmorgen: "Söders Verhalten ist nur noch destruktiv. Was er damit bezweckt, weiß er wohl selbst nicht."
Quelle: ntv.de