
Joe Biden (r.) und Donald Trump im November bei einem Treffen im Weißen Haus.
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An der Einigung auf einen Waffenstillstand im Nahen Osten ist vieles bemerkenswert: Unter anderem, dass Joe Biden und Donald Trump hier gemeinsam an einem Strang gezogen haben. Klar ist: Es ist Bidens Plan - der ohne Trump nicht umgesetzt worden wäre.
Noch ist unklar, ob die zwischen Israel und der Hamas vermittelte Waffenruhe überhaupt in Kraft tritt. Ganz zu schweigen davon, ob und wie lange sie hält. Dennoch ist allein die Aussicht auf eine Freilassung der Geiseln, auf ein Ende der Kämpfe und des gegenseitigen Raketenbeschusses von größter Bedeutung.
Zwei Fragen liegen nahe: Warum erst jetzt? Und ist der mögliche Durchbruch ein Erfolg des alten und künftigen US-Präsidenten Donald Trump?
Wahrscheinlich habe Trumps Machtwort bei Israels Premier Benjamin Netanjahu zum Einlenken geführt, sagt Nahostexpertin Kristin Helberg bei ntv. "Gleichzeitig war es natürlich die Regierung von Joe Biden, die über Monate genau dieses Abkommen ausgearbeitet hat."
Netanjahu ruft erst Trump an, dann Biden
Netanjahu hat den Krieg gegen die Hamas stets damit begründet, dass die im Gazastreifen herrschende Terrororganisation komplett vernichtet werden müsse. Die Befreiung der Geiseln durch Verhandlungen war für ihn erkennbar weniger wichtig. Das erklärt zum Teil, warum er so lange keinerlei Interesse an einem Ende der Gewalt zeigte.
Zugleich dürfte bei Netanjahu eine Reihe politischer Überlegungen eine Rolle gespielt haben, etwa sein politisches Überleben in einer Koalition, in der er auf die Unterstützung von Rechtsradikalen angewiesen ist. Möglicherweise wollte Netanjahu auch verhindern, dass der Erfolg einer Waffenstillstandsvereinbarung auf das Konto des scheidenden US-Präsidenten Biden einzahlt. Das klingt zwar kindisch. Allerdings rief Netanjahu zuerst Trump an, um ihm für dessen Hilfe zu danken. Ausführlich wird dieser Dank in einer Mitteilung der israelischen Regierung referiert. Erst im vierten Absatz heißt es, Netanjahu habe "danach" auch mit Biden telefoniert. Er "dankte ihm ebenfalls für seine Unterstützung". Deutlicher hätte Netanjahu seine Sympathien kaum machen können.
Bidens Umfeld hatte mit Carter/Reagan-Szenario gerechnet
Trump hatte der Hamas vor wenigen Tagen gedroht, in der Region werde "die Hölle losbrechen", wenn die Geiseln bis zu seiner Rückkehr ins Weiße Haus nicht wieder zuhause sein sollten. Konkreter wurde seine Drohung nicht: "Das wird nicht gut für die Hamas sein, und es wird, offen gesagt, für niemanden gut sein", sagte er bei einer Pressekonferenz in seinem Domizil Mar-a-Lago in Florida.
Tatsächlich war Trump - beziehungsweise sein Nahost-Beauftragter Steve Witkoff - an den Verhandlungen in Katar beteiligt. Schon dies war ein ungewöhnlicher Vorgang: Die Regierung eines scheidenden Präsidenten und das Team des Wahlsiegers arbeiten in der Regel zwar zusammen, um den Übergang zu organisieren. Eine enge politische Zusammenarbeit wie in diesem Fall ist allerdings die Ausnahme. In Bidens Umfeld hatte man sich in den vergangenen Wochen eher an die Amtsübergabe von Jimmy Carter zu Ronald Reagan 1981 erinnert. Seinerzeit ging es um die Geiselnahme von mehr als 50 US-Diplomaten in Teheran durch das iranische Mullah-Regime. Verhandelt wurde die Freilassung noch unter Carter - freigelassen wurden sie allerdings erst unmittelbar nach Reagans Vereidigung. Schon damals stand der Verdacht im Raum, dass Leute aus Reagans Team insgeheim mit dem Iran verhandelt hatten, um zu verhindern, dass die Geiseln vor der Übergabe der Präsidentschaft freikommen.
Trump kündigt "wunderbare Dinge" an
Diese mögliche historische Parallele sei dem Weißen Haus durchaus aufgefallen, schreibt die "New York Times", vor allem nach Carters Tod im Dezember. Zwar hat sich die Geschichte nicht wiederholt, Trump nimmt den Erfolg dennoch für sich in Anspruch: Die Vereinbarung wäre ohne seinen "historischen Sieg im November" nicht möglich gewesen. "Wir haben so viel erreicht, ohne überhaupt im Weißen Haus zu sein. Stellt euch all die wunderbaren Dinge vor, die passieren werden, wenn ich ins Weiße Haus zurückkehre", schrieb er auf seiner Plattform Truth Social. Schon vor der offiziellen Bekanntgabe hatte Trump in den für ihn charakteristischen großen Buchstaben gepostet, es gebe einen Deal für die Geiseln im Nahen Osten.
Biden äußerte sich erst, nachdem die Vereinbarung von Katar bestätigt worden war. Er sei "zutiefst zufrieden, dass dieser Tag endlich gekommen ist, zum Wohle des Volkes Israels und der Familien, die in Qual warten, und zum Wohle der unschuldigen Menschen in Gaza, die durch den Krieg unvorstellbare Verwüstungen erlitten haben", sagte Biden bei einem Auftritt im Weißen Haus. Den Erfolg stellte er als Teamleistung dar, wobei er seine eigene Rolle unterstrich: "Ich möchte auch anmerken, dass dieser Deal unter meiner Regierung entwickelt und ausgehandelt wurde. Aber seine Bedingungen werden größtenteils von der nächsten Regierung umgesetzt. In den letzten Tagen haben wir als ein Team gesprochen."
Massiver Druck auf Netanjahu
Das dürfte der Kern des Erfolgs gewesen sein. "Alle reden darüber, wer die Anerkennung für sich beanspruchen darf, aber tatsächlich muss sie geteilt werden, und das erklärt auch, warum es funktioniert hat", sagte die Nahost-Expertin Mara Rudman, unter Präsident Barack Obama stellvertretende Nahost-Beauftragte der USA, der "New York Times". Dabei ging es offenbar weniger um Trumps Drohungen gegen die Hamas als um Druck auf Netanjahu. Die "Washington Post" zitierte einen Diplomaten mit den Worten, es habe den Verhandlungen geholfen, dass es zum ersten Mal "echten Druck auf die israelische Seite" gegeben habe. Israelische Medien berichteten, Witkoff habe so starken Druck auf Netanjahu ausgeübt, dass die Atmosphäre zwischen beiden angespannt gewesen sei.
Der jetzige Plan für eine Waffenruhe ist im Kern Bidens Friedensplan vom Mai 2024. Seither hat sich in der Region einiges verändert: Israel hat die komplette Führungsspitze der Hamas ausgeschaltet, die Hisbollah im Libanon sowie den Iran militärisch geschwächt. Zwischen Israel und der Hisbollah haben die USA bereits einen Waffenstillstand vermitteln können.
"Das geht schon zu lange"
Trump hat zugleich deutlich gemacht, dass er kein Interesse daran hat, den Gaza-Krieg zu erben. Im Juli sagte er dem Sender Fox News in einem Interview, der Krieg könne nicht so weitergehen. "Das geht schon zu lange. Das ist zu viel", sagte er. An seiner Unterstützung für Israel ließ er keinen Zweifel, sagte aber auch: "Israel muss sich um seine Öffentlichkeitsarbeit kümmern. Ihre Öffentlichkeitsarbeit ist nicht gut. Und sie müssen das schnell erledigen, denn die Welt nimmt das nicht auf die leichte Schulter."
Und noch etwas spielt in diesem Zusammenhang möglicherweise eine Rolle: Trumps Verhältnis zu Netanjahu war bereits zum Ende seiner ersten Amtszeit nicht mehr so rosig. Dass der israelische Ministerpräsident dann Biden zu seinem Wahlsieg gratulierte (den Trump bis heute nicht anerkennt), soll den Wahlverlierer von 2020 zusätzlich verärgert haben. Netanjahu dürfte durchaus Gründe haben, sich gut mit Trump zu stellen.
Ob Trumps Druck gereicht hat, muss sich allerdings erst zeigen. Der Wille, die erste Phase des Friedensplans umzusetzen, sei sehr groß, sagt Nahostexpertin Helberg. "Also erst mal Waffenruhe, ein Teilrückzug, massive humanitäre Versorgung für die Menschen in Gaza und natürlich die Freilassung der 33 Geiseln, überwiegend Frauen, Kinder, Männer über 50 Jahre, Verletzte, Kranke. Da gibt es einen großen Willen. Aber was danach kommt, da herrschen einfach sehr unterschiedliche Vorstellungen."
Quelle: ntv.de